Über die Server des Bundesrechenzentrums laufen fast alle digitalen Daten der Republik (Symbolbild)

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Von A wie Arbeitslosendaten bis Z wie Zahlscheine für Studiengebühren: Das Bundesrechenzentrum (BRZ) ist die digitale Lebensader der österreichischen Verwaltung. Fast alle Daten, mit denen Ministerien hantieren, laufen über das mehr als 1300 Mitarbeiter starke Unternehmen. Würde Österreich elektronisch wählen, wäre dafür dann wohl auch das BRZ zuständig – das E-Voting bei den ÖH-Wahlen wurde bereits von ihm betreut.

Was läuft noch über das BRZ? Finanz Online, der E-Zoll, der elektronische Akt im Bund (Elak), die Personalverrechnung des Bundes, der biometrische Pass, Elga und so weiter und so fort.

Kein Wunder, dass im BRZ höchste Sicherheitsvorkehrungen gelten. Wer in dessen Serverräume will, muss sich nicht nur mittels Zutrittskarte, sondern auch noch mit biometrischen Daten identifizieren.

Das BRZ ist wohl das Musterbeispiel für Einrichtungen, die als "kritische Infrastruktur" gelten. Liefe dort etwas schief, hätte die Republik ein großes Problem. Das hielt die türkis-blaue Regierung aber nicht davon ab, die Teilprivatisierung des Bundesrechenzentrums ins Auge zu fassen.

Das zeigen dutzende E-Mails, Gutachten und bislang geheime Gesetzesentwürfe, in die DER STANDARD, ORF und Profil Einsicht nehmen konnten.

Den Ausgangspunkt nahmen die Überlegungen, die später unter "Projekt Edelstein" firmierten, offenbar im Sommer 2018. Damals wälzte die türkis-blaue Regierung auf der Ebene der Beamten und Generalsekretäre Ideen, wie man die verschiedenen IT-Projekte der Ministerien "konsolidieren" könnte. Sehr früh wurde dann plötzlich eine Teilprivatisierung des BRZ zum zentralen Unterfangen. Der Plan sah vor, dass das Rechenzentrum zuerst in die – damals noch zu gründende – Österreichische Beteiligungs AG (Öbag) verschoben und dann an die Post AG weitergegeben werde, die sich selbst zu 52 Prozent im Besitz der Öbag und somit der Republik befindet.

Stark involviert war der damalige Sektionschef Eduard Müller, der später in der "Expertenregierung" von Kanzlerin Brigitte Bierlein zum Finanzminister und nun zum Chef der Finanzmarktaufsicht avancierte. Er selbst sagt nur: "Ich habe dieses Thema nicht initiiert oder beauftragt." Das Bundeskanzleramt wurde laut einer E-Mail informiert, auch die Post war Feuer und Flamme. Dem Vernehmen nach hatte sie Interesse an der "Druckstraße" des BRZ, wo Amtsverkehr ausgedruckt wird. Nur das BRZ selbst wusste nichts von seinem Dasein als "Edelstein" in diesen Planspielen.

Die Beamten stießen allerdings bald auf große Hürden. Das Bundesrechenzentrum ist aus Prinzip nicht als Unternehmen für den freien Markt, sondern als Dienstleister für die Verwaltung konstruiert worden. So kann der Bund das BRZ direkt ohne Ausschreibung beauftragen (Inhouse-Prinzip), außerdem entfällt die Umsatzsteuer. Im Gegenzug sollte das BRZ nicht gewinnorientiert, sondern nur kostendeckend arbeiten. Wie soll das bei einer Teilprivatisierung funktionieren? Um dieses Dilemma zu lösen, beauftragte das BMF Unternehmensberater und Anwälte, Lösungsvorschläge zu finden – darunter auch die Kanzlei Cerha Hempel, wo auch Post-Aufsichtsratsvorsitzende Edith Hlawati arbeitet. Sie soll allerdings nicht in die Rechtsberatung eingebunden gewesen sein, wird betont.

Gesetzesreform lag auf dem Tisch

Während die Rechtsanwälte tüftelten, trieben die Beamten im Finanzministerium unter dem damaligen Minister Hartwig Löger (ÖVP) die Pläne weiter voran. Im Dezember 2018 legten sie einen konkreten Entwurf für Änderungen des ÖIAG- und des BRZ-Gesetzes vor. Dann passierte lange Zeit nichts – außer dass das Ibiza-Video die Regierung sprengte.

Als am 3. Juni der Sektionschef Eduard Müller dann als Finanzminister im Kabinett Bierlein angelobt wurde, nahm das Projekt wieder an Fahrt auf. Die Gutachten überlegten sogar, das Kostendeckungsprinzip fallenzulassen, auch wenn das "negative Auswirkungen auf den Bund" hätte.

Ein anderes Szenario: Zwischen Öbag, Post und BRZ wird ein "Beirat" oder sogar eine weitere Gesellschaft geschaltet, um das Inhouse-Prinzip beibehalten zu können. Müller sagte dazu: "Ich kann ausschließen, dass ich es (das Projekt, Anm.) in meiner Funktionsperiode als Bundesminister weiter betrieben habe." Aber wer hatte das eigentlich beauftragt? Die Unterlagen wirkten, als hätte die Beamtenschaft im Finanzministerium ein Eigenleben entwickelt. Da wurde überlegt, wann man welche anderen Ministerien einbindet; wurde abgewägt, ob man das lieber "aktiv" als Idee des Finanzministeriums oder "passiv" als Vorschlag der Post präsentiert.

In Industrie-Kreisen war eine Privatisierung des als teuer und ineffizient kritisierten BRZ freilich in den vergangenen 20 Jahren freilich immer wieder favorisiert worden. Die Telekom soll wiederholt großes Interesse am BRZ gezeigt haben. Öffentlich kommuniziert wurden die Überlegungen nie. Sie fanden sich weder im Regierungsprogramm, noch legten parlamentarische Anfragen sie offen.

Norbert Hofer "wusste von nichts"

Dort hieß es etwa, die Anwaltskanzlei, die sich mit der Weitergabe des BRZ beschäftigt, habe das Ministerium "in Rechtsfragen beraten". Aber warum wollte man der Post, die sich zu 47 Prozent im Besitz fremder Aktionäre befindet, unbedingt das BRZ anvertrauen? Der ehemalige Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ), immerhin blauer Regierungskoordinator, sagte auf Anfrage, nichts von den Überlegungen gewusst zu haben. Die, die davon wussten, wollten nicht sehr ausführlich darüber sprechen. Aus dem Bundeskanzleramt hieß es, dass es "Überlegungen gab, Synergien zu nutzen". Mitarbeiter des Kabinetts von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seien eingebunden gewesen, die Idee sei aber "nicht weiterverfolgt" worden.

Die Post sagte, sie verstehe sich "als Digitalisierungspartner der Bundesregierung". Es habe "Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen rund um Themen wie die digitale Zustellung, den E-Brief, die Initiative fit4internet, unsere Handelsplattform shöpping.at, die elektronische Signatur und vieles mehr" gegeben.

Direkte Rivalen

Tatsächlich boten Bundesrechenzentrum und Post manche Services parallel zueinander an. Im Bereich der digitalen Zustellung sind sie direkte Konkurrenten. In den kommenden Jahren soll die Behördenkommunikation, etwa mit Unternehmen, komplett digitalisiert werden. Dadurch entgeht der Post ein Teil ihres Umsatzes aus Portokosten. War das der Grund, warum die Regierung ihr das Bundesrechenzentrum umhängen wollte? Kenner der Materie halten die Überlegungen für "einen der größten Holler", den sie je gehört haben. Das Bundesrechenzentrum habe hohe Fixkosten, die in einem börsennotierten Unternehmen wie der Post nichts verloren hätten.

Außerdem gäbe es wegen der Datenschutzskandale der Post einen großen öffentlichen Aufschrei, würde sie in den Besitz des BRZ-Datenschatzes gelangen. So wurde die Post im vergangenen Herbst – nicht rechtskräftig – zu einer 18-Millionen-Euro-Strafe wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung verdonnert. Bekannt wurden die rechtswidrigen Praktiken der Post bereits im Februar 2019, als die Überlegungen zum BRZ im Finanzministerium noch in vollem Gang waren.

Und heute? Mit der Angelobung der türkis-grünen Regierung im Jänner 2020 wanderte die Ressortzuständigkeit für das BRZ vom Finanz- ins Wirtschaftsministerium. Aus dem Büro von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) heißt es klar: "Es gibt keine Pläne, das Bundesrechenzentrum an die Post zu übertragen." Man nehme die Rolle als Eigentümervertreter in Bezug auf das BRZ "sehr ernst" und wolle dieses zu einem "Kompetenzzentrum für Digitalisierung" ausbauen. "Aktuell laufen Gespräche mit relevanten Stakeholdern und Vorarbeiten zur geplanten IT-Konsolidierung". Zurück an den Start also. (Fabian Schmid, Luise Ungerboeck, 19.6.2020)