Im Jahr 2015 wollte Claus Wiesinger Bürgermeister von Linz werden. Er trat für die Piratenpartei an und heimste 836 Stimmen ein. Das war ein bisserl zu wenig für den Chefposten in der drittgrößten Stadt Österreichs und es hat Wiesinger offenbar etwas den Spaß an der Demokratie und ihren Spielregeln vergällt. "Demokratie ist die Diktatur der Mehrheit" schimpft er Nora Zoglauer, einer Reporterin der ORF-Sendung "Am Schauplatz" ins Mikrofon und wenn man Wiesinger länger zuhört, hat man das Gefühl, dass ihn dabei die Diktatur weniger stört als die Mehrheit.

Der Schauplatz für "Am Schauplatz" ist heute der Hauptplatz Linz. Jeden Freitag findet hier die Kundgebung "Freitag für Freiheit" statt. Wiesinger tritt später - wie bereits Wochen zuvor - als Redner auf der Demo auf, jetzt darf er Ross und Reiter beim Namen nennen und warnen: "Wählen ist eine Kriegserklärung gegen friedliche Menschen (...) Geht nicht mehr wählen und nehmt die Scheiße in eure eigene Hand." Für das Interview mit dem ORF-Team zuvor hat sich Wiesinger halbwegs unauffällig beworben, indem er um das Kamerateam schlich, ein paar Minuten später richtet er dem ORF von der Bühne Deftiges aus: "Ihr Arschgeigen betreibt Kreiswixen". Die Menge - wenn man das Wort angesichts von kaum 100 Demoteilnehmern verwenden darf - klatscht und johlt so laut, wie nie mehr an diesem Tag. Zoglauer lässt das kalt, sie hat schon mehrere Reportagen über Staatsverweigerer, Verschwörungsplauderer und Esoteriker gedreht und eine dicke Haut. 

Der "investigative Journalist" ist sich "zu gut" für den ORF

Ich nehme zum ersten Mal an einer derartigen Veranstaltung teil, "eingeladen" hat mich Steve Wyborowa. Er hat sich bei mir vor kurzem unaufgefordert via E-Mail vorgestellt als "investigativer Journalist" und mir "Meinungsfaschismus" vorgeworfen. Anlass war ein Beitrag über einen Arzt, der freihändig Atteste für Menschen erteilt, die partout keine Schutzmasken tragen wollen. Wyborowa ist so einer, der keine Schutzmasken tragen will, aus Prinzip. 

Mit dem ORF will er auch aus Prinzip nicht reden, das teilt er seiner Kollegin Zoglauer bei seiner Rede mit. "Dafür bin ich mir zu gut," brüllt er ins Mikrofon. Es folgt der zweitlauteste Applaus des Abends. Es gibt auch Journalistenkollegen, denen Wyborowa freundliche Nasenlöcher zeigt. Einen Kommentar des  "Servus TV"-Anchorman Ferdinand Wegscheider lobt er auf seiner Facebook-Seite: "Top-Kommentar". Wegscheider schimpft darin ein wenig über "Mainstreammedien" und deren angeblich unfaire Behandlung von Verschwörungsplauderern, die man für "vogelfrei erklären" würde. Wegscheider schließt den Kommentar mit den Worten: "In dunklen Zeiten sind Kinder und Narren die einzigen, die die Wahrheit sagen." Das werden wir uns merken, obwohl heute in Linz keine Kinder reden. 

Wyborowa tingelt seit einiger Zeit durch Österreich und referiert bei Kundgebungen und Veranstaltungen als "investigativer Journalist" zum Thema 5G. Am Freitag in Linz, am Samstag in Wien. Die Welt will schließlich informiert werden wegen dieser Teufelssache, die er hinter dem neuen Mobilfunkstandard vermutet. Wyborowa macht das mit Verve. Er ist rhetorisch top, kein Stottern, kein "Äh", er hat eine Bühnenpräsenz wie ein geübter Politiker im Wahlkampfmodus, er spricht locker und frei und ohne Spickzettel, die Reden folgen einer professionellen Dramaturgie. Wyborowa spielt gekonnt mit Stimme und Stimmung.

Juergen Lessner

5G ist eine "Massenkontrollwaffe"

Punkteabzüge gibt es für die Inhalte. 5G sei eine Massenkontrollwaffe und Militärtechnologie. Wir würden damit versklavt, 42.000 Satelliten würden künftig Mikrowellenstrahlung auf uns herab beamen. In die Rede des Tages mischen sich auch Codes, die man aus der Staatsverweigerer- und Freeman-Szene kennt. Das scheint kein Zufall zu sein. Auf seiner Facebook-Seite teilt Wyborowa ein Statement des "Freeman-Austria". Dahinter steckt "Joe" Kreissl, ein ehemaliger Anchorman der Szene, der ob flapsiger Äußerungen zum Holocaust vor Jahren schon Kalamitäten mit der Staatsanwaltschaft hatte. Wohlwollende Empfehlungen gibt es von Wyborova auch für den Briten David Icke. Der ehemalige Pressesprecher der britischen Grünen vermutet einen Zusammenhang von Corona und der Etablierung des 5G-Netzes und ist schon seit Jahren eine große Nummer in der rechtsextremen Esoterikszene. Icke stellte schon mal keck die Behauptung in den Raum, dass "Hitler ein Rothschild" gewesen sei. 

Mit dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten würde Wyborowa gerne ein ernstes Wort reden. In einem offenen Brief warnt der Aktivist Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor der "lebenszerstörerischen Agenda der Digitalisierung durch 5G" und vor den Konsequenzen für sein "kriminelles Verhalten", sollte 5G nicht gestoppt werden. 

Auch die anderen Redner des Abends verstehen ihr Handwerk. Einer der Demoorganisatoren ist der Gärtner Florian Ortner. Er führt mit einem flotten Mundwerk durch das Programm. Gleich zu Beginn liest er ein obskures Manifest der "Ärzte gegen den Impfterror" vor. Die kennt zwar niemand, aber sie beklagen eine "naturferne und verirrte" Medizin und warnen vor einer "Kabale", gegen die man sich wehren müsse und vor "nanotechnologischen Minirechnern". Die würden uns demnächst mit Impfungen implantiert. Aber die Sache werde demnächst dank tapferer Whistleblower aufgedeckt und dann werde es schön scheppern. Ortner ist barfuß und in der lässigen Dreiviertelhose zur Veranstaltung gekommen. Ortner ist Präsident des Vereins "Genuss-Garten" der zu Biogärten berät, Wildkräuterführungen anbietet und das Saatgut alter Pflanzensorten bewahrt. Zeitgleich findet in Linz eine "Fridays for Future"-Demo statt. Dort würde Ortner eher hinpassen, könnte man meinen, ehe er auf der Bühne den Mund aufmacht.  

Mit dem Bullshit-Bingo ist man schnell fertig  

Ortner hat die Rede des demokratiemüden Piraten Wiesinger offenbar gefallen und er schiebt noch ein paar Wuchteln gegen das morsche System nach. Wer bei solchen Gelegenheiten Bullshit-Bingo mit szenetypischen Begriffen spielt, hat sein Bingo bald voll. Ich wette mit einer Passantin, die dem Theater mit ungläubigem Staunen ein paar Minuten ihrer Aufmerksamkeit schenkt, dass noch ein spezieller Kalauer mit einer "Wahlurne" kommen werde. Er kommt, als krönender Abschluss in Ortners Rant: "Wir werfen unsere Stimme in ein Behältnis für sterbliche Überreste. Nur damit jeder weiß, was er tut, wenn er wählen geht." Bingo! Das Publikum hat aber nicht ganz mehr so viel Spaß wie bei den Angriffen auf den ORF. 

Ein paar Recherchen zu Ortner zeigen, dass er nur im Biogarten mit der feinen Klinge arbeitet, bei den Demos aber mit dem schweren Gerät auffährt. Gesundheitsminister Rudolf Anschober empfahl Ortner bei einer der Kundgebungen, anstelle einer Impfung ein "Allround-Zapferl zur Unsterblichkeit" zu entwickeln. Abschließend rät er "unserem Rudi" - Ortner ist mit Anschober vermutlich per Du - ein Buch zu schreiben mit dem Titel: "Gesundheit für den Arsch." 

Fazit: Eine Freakshow und ein Kabarett

Mein Fazit des Abends:  faszinierend, unheimlich, eine Freakshow. Das klingt despektierlich, ist angesichts der Inhalte aber gerechtfertigt. Leute, die sich gerne reden hören referieren vor Leuten, denen ein Mix aus Esoterik, bizarren Verschwörungsfantasien und einem kräftigen Schuss Staatsverweigerung gefällt. Was beruhigt: Eine Massenbewegung sieht anders aus. In den Gastgärten ringsum am Linzer Hauptplatz begrüßen weit mehr Leute den lauen Wochenendbeginn bei einem Seiterl, als sich bei dieser Demo die Dröhnung der Verschwörung zu geben. Manch einer sitzt aber regelmäßig an den Freitagen um 17 Uhr dort, und das seit Wochen und aus Gründen. Ein fein gekleideter Herr erzählt der Reporterin vom ORF: "Die Theater sind ja ewig schon zu, darum geb ich mir das hier jede Woche. Das ist das beste Kabarett." In den nächsten Wochen ist der ORF vermutlich nicht mehr dabei, da wird es weniger lustig werden. (Christian Kreil, 25.6.2020)

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