Die Österreicher Willy Angerer (Simon Schwarz) und Edi Rainer (Georg Friedrich) folgen der deutschen Seilschaft Toni Kurz (Benno Fuhrmann) und Andi Hinterstoißer (Florian Lukas) durch einen Felskamin an der Eiger Nordwand.

Foto: SWR/BR/Majestic

Ruft man Kurt Diemberger an, so meldet sich der 88-Jährige von einem Hügel in der Nähe von Bologna. Dort lebt der neben Hermann Buhl einzige Erstbesteiger von gleich zwei der 14 Achttausender nicht wegen der eines Bergsteigers Herzen erfrischenden Erhebungen ringsum – die gibt es am nahen toskanischen Apennin nicht wirklich – sondern weil der gebürtige Villacher seiner Amore nach bella Italia gefolgt ist.

Aber das ist eine andere Geschichte. Diese dreht sich vorrangig um die Eiger-Nordwand, den Streifen Nordwand. "Das ist ja der Film, der zwar gut ausschaut, aber wie ich erfahren habe, zum größeren Teil in einer Gefrierkammer in Graz gemacht worden ist", fällt Diemberger spontan dazu ein. "Es ist besser, sie veröffentlichen nichts von meiner Seite über den Film." Warum? "Ja, mein Gott, weil ich etwas dagegen habe, dass er nicht dokumentarisch ist.

Der Trailer zum Film.
20th Century Studios DE

Der diplomierte Handelslehrer, promovierte Betriebswirt, Bergführer, Fotograf, Filmemacher und Autor hat seine Prinzipien. Er drehte unter anderem am Everest und am K2 mit Bergpartnerin Julie Tullis authentische und mit Preisen ausgezeichnete Filme wie K2 – Traum und Schicksal und versteht sich als Dokumentarfilmer: "Man muss dann filmen, wenn der Sturm tobt. Nicht den Sturm durch eine Maschine erzeugen." Er könne verstehen, dass diese Hilfsmittel hergenommen werden, aber es gehe darum, die Wirklichkeit festzuhalten. "Ich kann mir so einen Film schon anschauen und kann sagen, er ist interessant, aber ich darf mir als Dokumentarfilmer kein Urteil darüber erlauben."

Nordwand, das Bergsteigerdrama des deutschen Regisseurs Philipp Stölzl von 2008, basiert auf wahren Begebenheiten. 1936 wollten die Deutschen Toni Kurz und Andi Hinterstoißer und die Österreicher Willy Angerer und Edi Rainer die ebenso imposante wie berühmt-berüchtigte 1800 Meter hohe Wand des Eigers unter gebannten Blicken von Schaulustigen mit Ferngläsern erstmals meistern. Auf Grund eines Wetterumschwungs kommt es zur Katastrophe, die schlussendlich allen vier das Leben kostet. Besonders ergreifend ist der Tod von Kurz, der von Erfrierungen schwer gezeichnet vor den Augen eines Rettungsteams stirbt, weil er beim Abseilen einen Knoten nicht überwinden kann.

Die vier Bergsteiger in prekärer Lage.

Dass damals die Nationalsozialisten die waghalsige Unternehmung für ihre Propaganda zu missbrauchen verstanden, war nicht überraschend. Sehr wohl aber, dass auch der Film entsprechende Distanz zu diesem abscheulichen Abschnitt deutscher Geschichte vermissen ließ. Kritiker bemängelten das Abfeiern deutscher Tugenden wie Heldenmut, Opferbereitschaft und heroisches Sterben. Diemberger dazu: "An das kann ich mich nicht mehr erinnern. Mein Gott, das interessiert mich nicht. Ich bin mit Fleisch und Blut ein Dokumentarfilmer."

Die Corona-Krise hat auch ihm zugesetzt. "Die räumliche Beschränkung ist auch schlecht für den Geist", sagt er. Und so konnte er sein jüngstes Projekt, das Schreiben des Buches Das Quantum Glück trotz vermeintlich viel Zeit nicht wie erhofft vorantreiben. Seinen Hügel verließ er schon länger nicht mehr. "Ich bin natürlich im Zielgebiet. Man lebt nur einmal und auch wenn die Gefahr jetzt nachlässt, ist es besser, man wartet noch ein bisserl. Wer langsam geht, geht gut. Wer gut geht, geht weit, besagt ein altes Bergführersprichwort." Man dürfe nichts überstürzen, müsse immer aufpassen. Das beherzige stets auch Gerlinde Kaltenbrunner und das finde er vernünftig. "Man muss immer die Situation beurteilen, darf nicht glauben, dass es schon gut gehen wird."

Wenn Diemberger heute geht, ist er "oft noch hoch oben und alles ist wieder gegenwärtig."
Foto: Archiv Diemberger

Motiviert hat den früheren Profialpinisten stets der Aufbruch ins Ungewisse, was auch Titel eines seiner Erfolgsbücher ist. "Ich bin kreativ tätig und dafür brauche ich Freiraum." Lässt es die Situation zu, dann hofft er vielleicht schon im Herbst wieder Vorträge halten zu können, so wie er es vergangenes Jahr etwa in Südkorea getan hat.

Am 9. Juni 1957 hat er mit Buhl, Marcus Schmuck und Fritz Wintersteller als Erstbesteiger des Broad Peak (8051 m) Alpingeschichte geschrieben. Erstmals wurde ein Achttausender im "Westalpenstil" ohne Flaschensauerstoff und Hochträger bezwungen. 1960 meisterte er mit einer Schweizer Expedition erstmals den Dhaulagiri (8167 m). "Für mich war Hermann wie ein Bergvater. Ich habe ihn sehr hoch geschätzt und leider ist er an der Chogolisa auf die falsche Seite aus der Spur gegangen." Wie das passieren konnte, zumal Buhl nur zehn Meter hinter ihm vom 7654 m hohen Berg stieg, dafür hat er keine Erklärung. "Nach menschlichem Ermessen wäre ja ich dort hinuntergefahren, weil ich vorausging. Vielleicht hat er sich gewundert, warum ich einen Bogen mache und sich gedacht, er geht lieber gerade. Aber in dem Fall hätte er nicht gerade gehen dürfen. Es kann ihm eine starke Sturmböe die Sicht genommen haben, aber genau wissen wir es nicht."

Diemberger kam ein weiteres Mal mit dem Schrecken davon. Während Tullis im "schwarzen Sommer" 1986 am K2 an Erschöpfung starb, nachdem sie mit ihm und anderen Alpinisten tagelang wegen eines Sturms in über 8000 m festsaß, schaffte es Diemberger mit abgefrorenen Fingern ins Tal.

Am Gipfel: Diemberger bei der Erstbesteigung des 7500 Meter hohen Shartse im Sommer 1974.
Foto: APA/ WARTH/ARCHIV DIEMBERGER

Seinen Durchbruch als Alpinist hat er der mittlerweile längst abgeschmolzenen "Schaumrolle" zu verdanken. Durch die erfolgreiche Besteigung der Nordwand der Königsspitze in der Ortlergruppe über die mächtige Schneewechte 1956 sei Buhl auf ihn aufmerksam geworden. Danach folgten zahlreiche Expeditionen im Himalaya.

Begonnen aber hat sein Abenteuer mit einer Leidenschaft: Dem Mineralien suchen. "Mich haben die Bergkristalle in die Berge getrieben." Eines Tages habe er sich gefragt: "Was finden eigentlich die, die rauf gehen und mit nichts herunterkommen?" Auf dem 3014 m hohen Larmkogel, seinem ersten Gipfel in den Hohen Tauern, kam die Erkenntnis: "Ich war so glücklich, dass ich mir gesagt habe, dass ich das noch öfter machen muss."

Wenn er nun mit "Skistöcken" geht, ist Diemberger in Gedanken "oft noch hoch oben und alles ist wieder gegenwärtig. Das ist absolut schön." Und die persönlichen Erfahrungen mit der Eiger-Nordwand? "Bitte in meinen Büchern nachlesen. Da steht alles drin!" (Thomas Hirner, 22.6.2020)