Die Bundeswehr hilft beim deutschen Fleischverarbeiter Tönnies bei Corona-Reihenuntersuchungen und der Kontaktpersonennachverfolgung.

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Die Zahl der Corona-Infizierten in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück ist auf 1.331 gestiegen. Die Reihentestungen auf dem Gelände der Firma sind am Samstag abgeschlossen worden. Insgesamt sollen 6.139 Tests durchgeführt worden sein, 5.899 Befunde lägen bereits vor.

In den vier Krankenhäusern im Landkreis Gütersloh werden derzeit 21 Covid-19-Patienten stationär behandelt. Davon liegen sechs Personen auf der Intensivstation, zwei von ihnen müssen beatmet werden. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftigte.

Lockdown möglich

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet schließt einen Lockdown für die Region Gütersloh weiter nicht aus, nachdem das Corona-Virus dort in einem Schlachthof der Firma Tönnies ausgebrochen ist. "Wir haben Schulen und Kitas geschlossen, das ist der erste Teil eines Lockdowns. Und wir werden weitere Schritte in diesen Tagen prüfen." Noch sei das Virus-Geschehen lokalisierbar, betont Laschet. "Wir haben explodierende Zahlen, die eng mit der Fleischindustrie verbunden sind", sagt er. Die Mitarbeiter müssten nun in Quarantäne bleiben. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann mahnte erneut verschärfte Regeln für die Fleischindustrie an, um den Arbeitsschutz zu verbessern.

Der Kreis Gütersloh hat unterdessen Hinweise, dass Beschäftigte vor der Quarantäne für sämtliche Tönnies-Mitarbeiter abgereist sind. "Wir haben vermehrte Mobilität wahrgenommen", beruft sich eine Kreissprecherin auf Informationen von Bürgerinnen und Bürgern. "Eine Handhabe, das zu unterbinden, hatten wir zu der Zeit nicht."

Insgesamt 6.500 Mitarbeiter aus 87 Nationen

Am Standort Rheda-Wiedenbrück, dem größten Schlachtereibetrieb Deutschlands, sind nach Unternehmensangaben rund 6.500 Menschen tätig. Rund die Hälfte aller Beschäftigten in der gesamten Tönnies-Unternehmensgruppe arbeiten nach Angaben eines Sprechers über Subunternehmen für Tönnies. Insgesamt seien Menschen aus 87 Nationen für Tönnies tätig. Die mit Abstand größten Gruppen kämen aus Rumänien und Polen. Rund ein Drittel der Beschäftigten mit ausländischer Nationalität lebe mit ihren Familien in Deutschland.

Nach Angaben der Kreissprecherin hat der Leiter des Krisenstabs, Thomas Kuhlbusch, im Zusammenhang mit den Abreisen bereits Kontakt zu den Botschaften der Herkunftsländer aufgenommen und sie darüber informiert. Einige Botschaften hätten sich auch selbst gemeldet.

Mehrere Mehrfamilienhäuser unter Quarantäne

Ein wichtiges Thema bleibt die Einhaltung der Quarantäne durch die infizierten Mitarbeiter. Nach positiven Corona-Tests bei zahlreichen Tönnies-Mitarbeitern hatte die Stadt Verl (sie liegt ebenfalls im Landkreis Gütersloh) am Samstag in einem Stadtteil eine Quarantänezone eingerichtet. Mehrere Mehrfamilienhäuser, in denen Werkvertragsarbeiter der Firma Tönnies untergebracht sind, wurden unter Quarantäne gestellt. Der gesamte Bereich wurde mit Bauzäunen abgeriegelt. In den betroffenen Häusern leben in drei Straßenzügen insgesamt knapp 670 Menschen.

In Verl wurde eine gesamte Wohnsiedlung von ausländischen Mitarbeitern des Fleischbetriebs Tönnies in Quarantäne geschickt, Häuser wurden mit Zäunen umringt nachdem über 1.000 Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Nun wird die Versorgung von der Bundeswehr und dem Deutschen Roten Kreuz unterstützt.
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Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte angesichts der Corona-Ausbrüche der vergangenen Tage vor sozialen Konflikten. "Wir dürfen Menschen nicht diskriminieren oder benachteiligen, die zum Beispiel im Niedriglohnbereich unter schlechten Wohnverhältnissen die preiswerte Fleischproduktion in bestimmten Betrieben gewährleistet haben", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er betonte, man dürfe Menschen, die in beengten Verhältnissen wohnen, keinen Vorwurf machen, weil es dort eher zu Infektionen kommen kann. Hier seien insbesondere die Betriebe gefordert, auch für anständige Wohnverhältnisse mit Hygienestandards zu sorgen.

Verteilungsdebatte

Der Fleischkonzern Tönnies wird nach Ansicht des deutschen Arbeitsministers Hubertus Heil (SPD) für entstandene Schäden haften müssen. "Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben", sagte Heil am Sonntag in einer "Bild"-Internetsendung. Heil geht nicht davon aus, dass der Tönnies-Konzern mit Mitteln aus den staatlichen Rettungsschirmen unterstützt werden muss. Das Unternehmen habe in den vergangenen Jahren "wahnsinnig viel Geld verdient". Der Chef des Fleischkonzerns, Clemens Tönnies, hatte sich am Samstag für den Ausbruch des Erregers unter Mitarbeitern seines Betriebs entschuldigt.

Auch der SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans fordert höhere Fleischpreise und eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit. "Alles ist dem Gewinnstreben untergeordnet – Hauptsache am Wochenende gibt es Steak im Sonderangebot." Dass sich Geringverdiener nur billiges Fleisch leisten könnten, sei ein Beleg dafür, dass die Verteilung des Reichtums nicht stimme. "Wenn Klein- und Mittelverdiener in Deutschland ihren Lebensstandard nur sichern können, weil Osteuropäer in unseren Schlachthöfen oder Näherinnen in Bangladesch für unsere Textilien ausgebeutet werden, dann läuft etwas gewaltig schief."

"R"-Faktor über 2

Der Virus-Reproduktionsfaktor "R" in Deutschland ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts weiter deutlich über den kritischen Wert angestiegen. Der "4-Tage-R" werde nun auf 2,88 geschätzt, der "7-Tage-R" auf 2,03, teilte das Institut am Sonntagabend in seinem täglichen Lagebericht mit. Das sei vor allem auf lokal begrenzte Ausbrüche unter anderem auf dem Schlachthof in Gütersloh zurückzuführen.

Ziel ist ein Wert von unter 1, weil damit die Zahl der Infizierten rechnerisch sinkt. Das ist auch mit Blick auf die Frage wichtig, ob Lockerungen ausgeweitet oder wieder zurückgenommen werden müssten. (red, Reuters, 22.6.2020)