So illustrierten Rüstungsgegner im vergangenen Jahr in Berlin ihren Protest gegen ein drohendes neues Wettrüsten. Auch in Wien werden Proteste aus Anlass des High-Level-Meetings erwartet. Zum Beispiel ab 10 Uhr am Heldenplatz.

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Russland und die USA wollen am Montag in Wien bei Gesprächen auf Ebene der Außenministerien über eine mögliche neue atomare Abrüstungsvereinbarung sprechen. China schickte trotz Einladung vonseiten der USA keine Vertretung.

Der letzte große atomare Abrüstungsvertrag New Start, der die Begrenzung strategischer Kernwaffen regelt, läuft am 5. Februar 2021 aus. Er sieht vor, die Nukleararsenale Russlands und der USA auf je 800 Trägersysteme und 1.550 einsatzbereite Atomsprengköpfe zu verringern. Erst im vergangenen Sommer war ein anderes wichtiges Abrüstungsabkommen beider Länder aufgekündigt worden: der INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Kurz- und Mittelstreckenwaffen.

Warnung vor Wettrüsten

Russlands Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, warnte am Wochenende vor einem neuen Wettrüsten. Die Zukunft des am 5. Februar 2021 auslaufenden New-Start-Vertrags sei eine der Hauptfragen der Gespräche in Wien, erklärte er. "Sollten die USA die Entscheidung treffen, den Vertrag nicht zu verlängern, wird unsere Reaktion ruhig, durchdacht und ausgewogen sein", erklärte Antonow.

Heftige Kritik äußerte der Botschafter an militärischen Plänen der USA, die auf eine "Containment-Politik" in Bezug auf Russland und China hinausliefen. "Uns wird hier das Konzept eine Wettkampfs der Großmächte vorgeschlagen, dem Wesen nach ist die Rede von einem Wettrüsten", erläuterte der Botschafter und betonte, dass Russland eine derartige Entwicklung vermeiden möchte.

Die unterschiedlichen Positionen zur atomaren Abrüstung im Überblick:

  • Die US-amerikanische Position: Nicht ohne China

Für die Regierung Donald Trumps steht auch der Wiener Dialog mit Russland unter dem Vorzeichen des Ringens mit China, dem Land, in dem die Vereinigten Staaten längst ihren härtesten Rivalen sehen. Solange das chinesische Kernwaffenarsenal nicht berücksichtigt werde, argumentieren sie, vertrage sich der zur Verlängerung anstehende New-Start-Vertrag nicht mit der Wirklichkeit. Man werde keinen Deal unterschreiben, der den Realitäten der heutigen Welt nicht gerecht werde, betont Marshall Billingslea, der Sonderbeauftragte des US-Präsidenten für Rüstungskontrolle. Von Moskau erwarte man, dass es helfe, Peking an den Verhandlungstisch zu bringen.

Nach einer Prognose des amerikanischen Militärgeheimdiensts will die Volksrepublik ihr nukleares Arsenal demnächst verdoppeln, um den Abstand zu den beiden größten Atommächten zu verkürzen. Nach einer Übersicht der Federation of American Scientists, eines Thinktanks, verfügen die USA derzeit über rund 5.800 nukleare Sprengköpfe, während Russland etwa 6.370 und China schätzungsweise 320 besitzt. Da China ein großes Geheimnis um seine Aufrüstungspläne mache, so die Logik des Weißen Hauses, müsse es umso dringlicher in die Gespräche einbezogen werden. Nur wenn Transparenz einziehe, lasse sich ein Rüstungswettlauf zwischen den drei Staaten verhindern. Dem Kreml wiederum wirft Washington Tricksereien vor, wenn es um die Einhaltung bereits getroffener Abmachungen geht. Folglich müsse der Verifikationsmechanismus verbessert werden.

Zur Strategie der Amerikaner gehört offenbar auch das Kalkül, dass jeder Widersacher – wie einst die Sowjetunion – wirtschaftlich über kurz oder lang überfordert ist, falls er sich auf ein Wettrüsten mit ihnen einlässt. Billingslea hat das Szenario im Mai bei einem Auftritt am Hudson Institute mit bemerkenswert undiplomatischen Sätzen ausgemalt. Man wisse, wie man solche Rennen gewinne, sagte er. Man wisse, wie man so viel Geld ausgebe, dass der Gegner am Ende nur kapitulieren könne. Falls Amerika noch einmal dazu gezwungen sei, werde es dies ein zweites Mal tun – "aber wir würden es natürlich viel lieber vermeiden". China, fügte Billingslea diplomatischer hinzu, sei doch sehr daran gelegen, seinen Großmachtstatus bestätigt zu bekommen. "Und gibt es einen besseren Weg, als sich mit den USA und Russland an einen Tisch zu setzen?"

  • Russlands Position: Moskau will nicht als Schreckgespenst herhalten

Große Hoffnung setzt Moskau nicht auf die Gespräche in Wien, bei denen die russische Seite durch Vizeaußenminister Sergej Rjabkow vertreten wird. Nach dem jüngsten Spionageskandal, der Verurteilung des US-Amerikaners Paul Whelan in Russland zu 16 Jahren Haft, beschied ebenjener Rjabkow auf die Drohung des US-Botschafters John Sullivan, dass sich das bilaterale Verhältnis durch das Urteil verschlechtern würde, die Beziehungen seien bereits so mies, dass es kaum noch schlechter gehe.

Das betrifft auch und gerade den Bereich Abrüstung. Im vergangenen Sommer kündigte Donald Trump das INF-Abkommen zur Begrenzung landgestützter Mittelstreckenraketen, nun das Open-Skies-Abkommen zur gegenseitigen Luftüberwachung, und auch der New-Start-Vertrag über die Reduzierung von Atomwaffen soll im nächsten Jahr auslaufen. Die Chancen auf eine Verlängerung, die Russland vorschlage, tendieren gegen null, räumte Rjabkow ein.

Was den Russen besonders bitter aufstößt: Stets schiebt Washington die Schuld dafür Moskau zu. Russland dementiert nicht nur vehement, mit seinen Marschflugkörpern R-500 aus der Iskander-Familie gegen das INF-Abkommen zu verstoßen, sondern wirft seinerseits den USA Verfehlungen vor. Speziell der US-Raketenschild in Osteuropa ist ein rotes Tuch für Präsident Wladimir Putin. Seit Jahren hat Russland dagegen angekämpft – erfolglos. Daher war auch Moskau nicht absolut unglücklich über die Kündigung des INF-Vertrags. Schließlich hatte der Kreml-Chef schon 2007 den Vertrag als unvorteilhaft für Russland beklagt, da er das Land in seiner militärischen Entwicklung behindere. Seit dem Ende testet Russland eifrig Mittelstreckenraketen. Bereits im nächsten Jahr – so die Schätzung – könnte der erste Prototyp fertig sein.

Insgesamt ist Russland aber deutlich stärker an einer Rüstungsbegrenzung interessiert als die USA. Im Kreml werden die finanziellen Möglichkeiten beider Mächte nüchtern gegenübergestellt. Einen Rüstungswettlauf, in dem die UdSSR schließlich die Puste ausging, will Russland nicht wiederholen.

  • Chinas Position: US-amerikanischem Einfluss entgegenwirken

"Nicht ganz so stark" wolle man dieses Jahr die Militärausgaben erhöhen, hieß es noch Ende Mai aus dem chinesischen Verteidigungsministerium. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das 6,6 Prozent oder 163 Milliarden Euro. Kaum ein anderes Land der Welt erhöht jedes Jahr seinen Wehretat so heftig wie die Volksrepublik China. 2019 waren es 7,5 Prozent.

Natürlich wächst auch die chinesische Wirtschaft jedes Jahr so stark wie kaum eine andere auf der Welt. Trotzdem wachsen die Ausgaben für die Armee meist etwas mehr als die Wirtschaftsleistung.

Zweierlei Motive treiben Peking an. Zum einen sieht man sich als Aufsteigernation, die dabei ist, sich ihren angestammten Platz in der Staatengemeinschaft wieder zurückzuholen. Die in langen Linien denkenden Apparatschiks im Pekinger Politbüro orientieren sich dabei eher am 18. Jahrhundert, als China unter der Yuan-Dynastie seine größte territoriale Ausdehnung erreichte, oder an der Ming-Dynastie vor 500 Jahren. Das 20. Jahrhundert mit seinen von Bürgerkriegen und Wirtschaftskrisen gebeutelten China wird als historische Anomalie gesehen.

Noch treibender für die Aufrüstung ist der geopolitische Konflikt mit den USA. In Peking fühlt man sich umzingelt: Überall in der angrenzenden Nachbarschaft sind amerikanische Verbündete, Nordkorea eine der wenigen Ausnahmen. In den angrenzenden Meere lauern amerikanische Flugzeugträger.

Schließlich, argumentiert Peking faktisch richtig, betrage das eigene Verteidigungsbudget auch nur ein Viertel des amerikanischen. Während die Vereinigten Staaten über zwölf Flugzeugträger verfügen, hat China nur zwei, und auch die erst seit kurzem. Um diese Lücke zu schließen, müsse man ja zwangsläufig jedes Jahr etwas mehr für das eigene Militär ausgeben. Die meisten Investitionen fließen dabei in die Entwicklung von Marschflugkörpern (um die amerikanische Überlegenheit auf See zu neutralisieren) und in den Krieg im Weltraum und im Cyberspace. Denn mit mit 2,2 Millionen aktiven Soldaten ist die Volksbefreiungsarmee schon die personell stärkste der Welt. (Frank Herrmann, Philipp Matttheis, André Ballin, red, 22.6.2020)