Die politische Konkurrenz, ob rechts oder links der Mitte, wundert sich schon seit geraumer Zeit über die scheinbar immense und ungebrochene Außenwirkung des jungen Bundeskanzlers aus den Reihen der ÖVP. Dabei ist das Kurz-Prinzip ein nicht so großes Mysterium wie viele glauben mögen oder sich aus Selbstschutz und mangelndem Willen an individueller Entwicklung einreden. Vier Faktoren spielen beim politischen Aufstieg und Erfolg des aktuellen ÖVP-Chefs und Bundeskanzlers eine wichtige Rolle.

Vier Faktoren spielen beim politischen Aufstieg und Erfolg von Sebastian Kurz eine wichtige Rolle.
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1. Balance zwischen Kopf und Bauch

Reine Motivation ohne Kompetenz ist sicher nicht ausreichend, man visualisiere das Peter-Prinzip. Die reine Kopflastigkeit demonstriert an der Fallstudie SPÖ führt jedoch genauso wenig zum Erfolg. Es geht um die richtige Balance zwischen Kopf und Bauch, wobei am Anfang immer die richtige konnotative Färbung - sprich positive Emotionen - steht ohne die Lernen und das kognitive Verarbeiten von Stimuli schwerer möglich ist. Dass es sich rächen kann die kognitive Ebene gänzlich zu vernachlässigen, kann man gut an der Genese der FPÖ beobachten.

Ebenso macht sich das reine Bewegen in höheren Wertesphären, wie dies die SPÖ zu lange gemacht und damit die Grundbedürfnisse ihrer Basis vernachlässigt hat, nicht wirklich bezahlt. Sebastian Kurz stellt somit am besten von allen politischen Bewerbern einen relativ guten Hybrid aus Emotion und Kognition dar und ist somit bei den Wahlen am erfolgreichsten. Was jedoch geschieht, wenn man die emotionale Karte zu stark ausspielt, konnte er bei der Corona-Thematik sehen, bei welcher er den Bogen in Richtung Angst und Verunsicherung zu überspannen drohte.

2. Emotion steht vor Kognition

Wer ein Team leitet oder ein Unternehmen führt weiß, dass es sehr oft neben der fachlichen Kompetenz vor allem um die authentische Motivation und emotionale Führung der Mitarbeiter geht. Der sogenannte "Spirit" und der "Drive" müssen passen, sonst helfen einem selbst die klügsten Köpfe nicht. Diese Form der emotionalen Einigung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn auch nicht mit einer tieferen Ideologie, ist der Österreichischen Volkspartei geglückt. Sie lautet Sebastian Kurz und wird wie ein Mantra von scheinbar allen in der Partei nachgebetet. Die Tiefe und Intellektualität kommen, wie bei so vielem im Leben, erst viel später zum Tragen oder werden oft überschätzt.

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3. Kontrastphänomen

In der Psychologie versteht man unter dem Kontrastphänomen den verstärkt empfundenen Gegensatz zwischen zwei verschiedenen Wahrnehmungsinhalten des gleichen Sinnesgebietes. Kontrastphänomene sind beispielsweise zur Diskrimination von Tönen wichtig. So stellt ebenso Sebastian Kurz ein "Kontrastphänomen" zu seinen Mitbewerbern durch seine klare Performance mit der Hilfe von verschiedensten Beratern und Teammitgliedern dar, die wie eine gute Fußballmannschaft perfekt auf ihn abgestimmt sind. Während sich die einen in Dampfplauderdiskussionen oder artifiziellen Gender-Debatten ergehen, verfolgen Kurz und sein Team eine einfache und klare Agenda, nämlich christliche Werte, Leistung, sozialer Aufstieg, Erfolg und Wohlstand. Ob diese immer kongruent miteinander vereinbar sind, sei vorerst außer Acht gelassen.

Wirkliche High-Potentials hat die politische Konkurrenz nicht aktiv gesucht oder gar im Sinne einer professionellen Personalauswahl ausgewählt, sondern auf brave Phrasen-Reproduzierer oder Klone gesetzt. So gesehen können die Sozialdemokraten lange in ihren Thinktanks über die Verteilungsfragen debattieren während der Kanzler seine Fans quer über alle Gesellschaftsschichten von der Omama bis zu ihren Enkeln mit oder ohne Babyelefantenabstand abholt. Die Freiheitlichen haben für geraume Zeit ihr Potenzial für eine ernsthafte Konkurrenz und die Glaubwürdigkeit auf einer Mittelmeerinsel mit den dazugehörigen Nachwirkungen verloren. Taucht nicht irgendwo ein Wunderwuzzi in beiden Bewegungen auf dürfte die ÖVP mit ihrem Kanzler noch länger den Kanzlersessel innehaben.

4. Konsum und Kapital als Ersatzreligion

Im Diktat unserer kapitalistischen Konsumgesellschaft gibt es anscheinend kaum mehr Ideologien. An deren Stelle treten Ersatzreligionen und Kompensationen wie der Konsum und das Streben nach Erfolg und Selbstverwirklichung auf banalen Ebenen. In dieses mentale Vakuum stößt der modern-adrette Bundeskanzler mit einer klaren Botschaft, nämlich er selbst als Identifikationsobjekt und Projektionsoberfläche. Sebastian Kurz ist bei weitem kein Übermensch, aber er verfügt über den entsprechenden Willen, Disziplin und Ehrgeiz, manifestiert in einer neoliberalen Leistungsmoral, während seine politischen Gegner sich auf dem bereits durch ihre Vorvorvorgänger Geleisteten ausruhen. (Daniel Witzeling, 24.6.2020)

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