Der Wiener Gemeinderat.

Foto: Heribert Corn

Vor einigen Jahren hat das Wahlrecht zur Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl nicht nur für heftige öffentliche Debatten, sondern auch für tiefe Zerwürfnisse in der rot-grünen Koalition gesorgt. Wenige Monate vor der Wahl 2015 warb die SPÖ einen von den Grünen nicht mehr aussichtsreich platzierten Mandatar ab und verunmöglichte so eine blau-grün-schwarze Mehrheit zur Wahlrechtsänderung. (Dass frühe Listenerstellungen – wie bei den Grünen üblich – die Gefahr bergen, dass gescheiterte Bewerber der Partei schaden, sollte den Grünen 2017 durch Peter Pilz ein zweites Mal schmerzhaft vor Augen geführt werden.)

Was hat es nun mit dem Wiener Wahlrecht auf sich?

Die 100 Mandate im Wiener Landtag und Gemeinderat werden in zwei Stufen vergeben. Zunächst in 18 Wahlkreisen (die kleineren Innenbezirke bilden die zwei Wahlkreise Zentrum und Innen-West, alle anderen Bezirke sind ein eigener Wahlkreis), danach auf Landesebene. Für jeden der 18 Wahlkreise wird gemäß der Zahl der Staatsbürger eine Zahl an zu vergebenden Mandaten festgelegt (etwa 3 in Hernals und 11 in Donaustadt). So oft eine Partei in einem Wahlkreis die sogenannte Wahlzahl erreicht, so viele Mandate erhält sie dort.

Die Besonderheit des Wiener Wahlrechts ist die Art und Weise, wie diese Wahlzahl berechnet wird. Dazu wird die Summe der gültigen Stimmen im Wahlkreis durch die – und das ist der entscheidende Punkt – um 0,5 erhöhte Zahl der zu vergebenden Mandate geteilt. Für die Wahl 2015 betrug dieser Teiler sogar noch 1 (kurz nach der Wahl 2015 wurde die Senkung auf 0,5 beschlossen). Zum Beispiel wurden 2015 im fünf Mandate starken Wahlkreis Leopoldstadt 42.495 gültige Stimmen gezählt. Die Wahlzahl berechnet sich demnach wie folgt 42.495 / (5 + 1) = 7.083. Würde – wie etwa bei Nationalratswahlen im Landeswahlkreis – die einfache (also nicht erhöhte) Mandatszahl als Teiler verwendet, ergäbe sich eine höhere Wahlzahl. Im Leopoldstädter Beispiel lautete sie: 42.495 / 5 = 8.499.

Anders gesagt: 2015 war ein Landtagsmandat in der Leopoldstadt 7.083 Stimmen teuer. Wäre die Berechnung etwa analog zur Nationalratswahl durchgeführt worden, hätte jedes Mandat 8.499 Stimmen gekostet. Die Berechnung der Wahlzahl mit dem erhöhten Teiler verbilligt also die Mandate in den Wahlkreisen. Besonders stark fällt diese "Verbilligung" in den kleinen Wahlkreisen – also jenen mit wenigen Mandaten – aus. Dividiert man etwa durch vier statt durch drei Mandate, dann reduziert sich das Ergebnis (die Wahlzahl) um 25 Prozent. (Notabene: Auch Tirol und Niederösterreich erhöhen den Teiler um 0,5, die Steiermark sogar weiterhin um 1.)

Grundsätzlich profitieren große Parteien von dieser "reduzierten" Wahlzahl, weil sie den überwiegenden Teil ihrer Mandate in den 18 Wahlkreisen erzielen (die SPÖ etwa 38 von 44 im Jahr 2015). Am stärksten würde eine große Partei profitieren, die ihre besten Ergebnisse in den kleinen Wahlkreisen erzielt (weil dort die Wahlzahlreduktion am größten ist). Das war aber 2015 bei der SPÖ nicht der Fall, wie die Grafik unten zeigt. Gerade die kleinen Wahlkreise (etwa Hietzing oder Währing) sind nicht durchwegs rote Hochburgen. Die Korrelation zwischen SPÖ-Anteil und Wahlzahlreduktion 2015 ist klar negativ.

Dennoch: Wären die Mandate in Wien 2015 ohne den erhöhten Teiler berechnet worden, hätte die SPÖ vier Mandate weniger (40 statt 44). Auch die (damals sehr starke) FPÖ hätte zwei Mandate (und somit den Vizebürgermeisterposten) eingebüßt. Die anderen Parteien wären besser ausgestiegen (ÖVP: plus drei, Grüne: plus zwei, Neos: plus eins). In Summe hat die Wiener Wahlzahlberechnung Rot-Grün also zwei Mandate gebracht. Selbst der um 0,5 erhöhte Teiler, der im kommenden Herbst zum ersten Mal verwendet wird, könnte bei knappen Mehrheitsverhältnissen entscheidend sein. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 22.6.2020)