Johannes Rauch, der das Mobilitätskapitel der Regierung mitverhandelt hat, zur Debatte über das 1-2-3-Öffi-Ticket.

Hans Peter Doskozil sorgt sich als Landeshauptmann um seine Burgenländerinnen und Burgenländer. Gegen Ungemach von außen geht er lautstark und streng vor. Das ist per se nichts Schlechtes, wenn auch hin und wieder übertrieben, wie die Sperre der Gestade des Neusiedler Sees für alle Nichtburgenländer zu Corona-Zeiten zeigt.

Nun ortet er durch die geplante Einführung des 1-2-3-Öffi-Tickets eine "schwere Ungleichbehandlung" seiner Pendlerinnen und Pendler und droht der Klimaministerin Leonore Gewessler gar mit Klage beim Verfassungsgerichtshof.

Vorarlberg, am anderen Ende der Republik gelegen und gleich groß oder klein wie das Burgenland, staunt: Kaum jemand käme hierzulande auf die Idee, gegen eine weitere Verbesserung des öffentlichen Verkehrs zu klagen, jedenfalls heutzutage nicht mehr. Der Vorarlberger Landtag hat im November 2012 einstimmig (!) eine Tarifreform mit dem Kernstück einer landesweit gültigen Jahreskarte um 365 Euro beschlossen. Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt und Mobilität macht nun erfreulicherweise mit dem ersten Schritt, dem österreichweit gültigen 3er-Ticket, dasselbe.

Das 1-2-3-Ticket ist eines der großen Projekte, die Türkis-Grün umsetzen will: Die günstige Karte soll für ganz Österreich gelten.
Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

Ein kurzer Blick zurück: Bei Einführung des 365-Euro-Tickets mit 1.1.2014 fürchteten sich die Kommunen des Landes so sehr vor einem Flop, dass sie sich vom Land Vorarlberg eine Ausfallhaftung für den Fall von Mehrkosten geben ließen. Schon im ersten Jahr war klar: Da kommt nicht weniger, sondern mehr Geld in die Kasse. Der vorübergehend rückläufige Verkauf von Einzelfahrscheinen ist mittlerweile mehr als kompensiert, aktuell besitzen 75.000 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger eine Jahreskarte – 2013 waren es 50.000 Personen. Das sind derzeit rund 44 Prozent der Haushalte. Um es nochmals zu präzisieren: Der Anteil der verbundweit gültigen Jahreskarten stieg mittlerweile auf stolze 81 Prozent an. Was das an Planungssicherheit für den Verbund mit sich bringt, kann sich jeder Mensch vorstellen.

Es wird gependelt

Zugegeben: Einen Ballungsraum wie das Rheintal gibt es im Burgenland nicht. Gependelt wird aber mindestens so viel wie im Burgenland, innerhalb des Landes und auch über die Grenzen. Mehr als 15.000 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger tun dies täglich in die Schweiz, nach Liechtenstein oder Deutschland.

Gravierendster Unterschied zum Burgenland dürfte wohl sein, dass hierzulande seit mehr als zehn Jahren massiv in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs investiert wurde. Damit sind sowohl der Ausbau der Infrastruktur (Bus, Bahn, Haltestellen, Bahnhöfe) wie auch der Ausbau des Fahrplanangebotes und attraktive Tarife gemeint. Bahnhöfe und Haltestellen wurden und werden kontinuierlich zu modernen Mobilitätsdrehscheiben, eigene Busspuren, Fahrradabstellanlagen, P&R-Plätze, Carsharing inklusive. Auch in die Talschaften gibt es zumindest einen Stundentakt, in der Frühspitze einen Halbstundentakt. Es macht für die Fahrgäste einen Unterschied, ob die Busse Museumscharakter haben, das Durchschnittsalter der Linienbusse vier Jahre ist, bewusst in Mobilitäts- und Zugbegleiter investiert und versucht wird, den Servicegedanken tatsächlich zu leben.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
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Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, fürchtet sich ganz sicher nicht vor dem 1-2-3-Ticket, sondern profitiert davon – in unserem Fall, einem Bundesland bekanntlich ohne eigene Universität – beispielsweise die Studentinnen und Studenten, die in Innsbruck, Wien oder Graz studieren.

Besser verhandeln

Wer seine Hausaufgaben im eigenen Land nicht gemacht hat, für den sollte das 1-2-3-Ticket Anreiz sein, endlich massiv zu investieren. Anstatt dem Bund mit Klage zu drohen, wäre es im Falle von Doskozil also eher angebracht, die eigenen Versäumnisse in der Vergangenheit zu beklagen. Klüger, als zu klagen, wäre außerdem, in Verhandlungen einzutreten und für die wenigen, die tatsächlich negativ betroffen sein könnten, attraktive Streckenkartenmodelle zu sichern. Das Problem ist bei gutem Willen lösbar.

Letztlich entscheidend ist, mit welcher politischen Grundhaltung man an den Ausbau des öffentlichen Verkehrs herangeht: "Wir tun erst dann etwas, wenn die Nachfrage da ist" oder "Schaffe das Angebot und du bekommst die Nachfrage". Wir im Westen haben uns, wohl auch, weil eher die Schweiz mit ihrem richtungsweisenden Öffi-Angebot Vorbild war und weniger das Burgenland, für Letzteres entschieden.

Und mit Angebot ist das qualitativ beste, das man sich vorstellen kann, gemeint. Umgestiegen wird nämlich nicht, weil man besonders brav, gut, grün oder ökologisch sein will. Umgestiegen wird, wenn das Gesamtangebot passt. (Johannes Rauch, 23.6.2020)