Kunst im öffentlichen Raum wird zur Dialoggrundlage: Auto- und Kunstnarren kommen über diese fast erotische Skulptur von Alfredo Barsuglia ins Gespräch. So soll es sein.

Foto: Verein Kulturdrogerie

Wie wichtig der öffentliche Raum für das Miteinander verschiedener Gesellschaftsschichten ist, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Zufällige Begegnungen wurden auf ein Minimum reduziert – sie fehlten, genauso wie Kunst und Kultur.

Das Angewandte-Festival (23. bis 26. Juni), das vergangenes Jahr neu konzipiert wurde, wollte nicht mehr eine reine Leistungsschau von und für Kunststudierende sein, sondern unterschiedliche Leute via Fest auf den Kunstgeschmack bringen. Den öffentlichen Raum zu erobern, das gehörte dazu. Hier hätte man heuer sicherlich gern angeschlossen, doch Corona und die lange Unklarheit über die Sicherheitsvorgaben machte die Planung aller größeren Veranstaltungen schwierig.

Ausnutzen der Graubereiche

Die Angewandte entschied sich, ihr Festival vor allem digital unter www.angewandtefestival.at abzuhalten. "Letztes Jahr haben wir die Straße am Oskar-Kokoschka-Platz vor der Universität für den Verkehr gesperrt und mit allen Festivalbesucherinnen und -besucher temporär eingenommen. Das können wir heuer nicht, aber einige Projekte sind auf der Suche nach alternativen Präsentationsflächen im öffentlichen Raum gelandet – fast einer Rückeroberung gleich. Das Ausloten dessen, was möglich ist, und das Ausnutzen der Graubereiche stellt durchaus einen Reiz dar", erzählt die Kuratorin des Festivals, Lena Kohlmayr.

Wie so eine Rückeroberung aussehen kann, zeigen Studierende der Social-Design-Abteilung, indem sie im Donaukanal schwimmen gehen. Sie eignen sich mit damit einen flüssigen Teil der Stadt an – nicht zuletzt, um auch den zufällig an der Promenade Zusehenden Lust zu machen, den Sprung in den Kanal zu wagen. Wem gehört die Stadt? Wem das Wasser? So denkt man es sich da in Anspielung an ein gewisses Video aus Ibiza.

Eine Litfaßsäule pro Bezirk gestalteten Studierende der Universität für angewandte Kunst.
Foto: Sebastian Kraner

In jedem Wiener Bezirk wird auch eine Litfaßsäule für die Dauer des Festivals von einer Abteilung der Angewandten gestaltet; die Fotografie-Klasse verwirklicht sich am Mariahilfer Gürtel, die TransArts bespielten passenderweise das transdanubische Floridsdorf. Kunst wird aber auch per Klein-Lkw geliefert: Drei Stück sind während des Festivals in der Stadt unterwegs und dienen als mobile Ausstellungsdisplays. Zu sehen sind bei der "Asphalt Gallery" Arbeiten aus der Abteilung künstlerische Fotografie.

Von Fischen und Parkplätzen

Neben dem Angewandte-Festival gibt es momentan noch weitere spannende Kunstprojekte im öffentlichen Raum, die im Juni und Juli starten. Zum Beispiel "Wien Fischgeschichte(n)" von Tracing Spaces. Der seit 2015 von Michael Hieslmair und Michael Zinganel geleitete Projektraum am Areal des Nordwestbahnhofs im 20. Bezirk eröffnete letztes Wochenende wieder – und zwar mit dem Schwerpunkt Fisch. Eine Sonderausstellung feiert das Wassertier und wird von einem Programm mit Stadtrundgängen und performativen Exkursionen ergänzt.

Orte wie ein Fischfriedhof oder eine Fischfabrik werden besucht, eine Fischprozession macht sich zu historischen Fischmärkten im Wiener Stadtgebiet auf. Aber wieso Fische? Es seien die "eigentlichen Ureinwohnerinnen" von Wien-Brigittenau und mit dem Nordwestbahnhof verbunden: Dieser liegt direkt über einem ehemaligen Seitenarm der Donau. Die Menschen eroberten das Gebiet, die Fische mussten weichen.

Wunder Auto

In Währing gibt es noch bis 1. Juli die Installation "Das Wunder" des Künstlers Alfredo Barsuglia zu sehen. In der Parklücke vor der "Kulturdrogerie" in der Gentzgasse sorgen zwei aufgestapelte Pkws für verwunderte Blicke: Ein schwarzer Škoda liegt auf dem Dach, ein silberner Peugeot auf ihm drauf.

"Das fällt auf hier in Währing", sagt der Künstler Markus Hiesleitner, der den Projektraum gemeinsam mit Franz Tišek vor 15 Jahren gegründet hat. Passanten würden immer wieder stehen bleiben, um sich die ortsspezifische Arbeit anzusehen oder Selfies zu machen, sogar Autofans kämen extra angereist. Seit etwa fünf Jahren darf die Kulturdrogerie die Parkfläche vor dem Verein für Kunst nutzen – das gefällt nicht immer allen.

Auch Barsuglia provoziert mit seiner Skulptur und zwingt Menschen über Parkpickerl und Stadtverkehr nachzudenken. "Hier entsteht ein Dialog", so Hiesleitner. Genau das mache Kunst im öffentlichen Raum auch aus. "Es ist gelebte Kunst." (Amira Ben Saoud, Katharina Rustler, 23.6.2020)