Mit deutlich abstehenden Ohren sei er 1935 geboren worden, erzählt Kurt Schwertsik: "Um meine Mutter zu beruhigen, wurde ihr versichert, das deute auf musikalische Begabung …"

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"Zuerst ist nichts da. Dann ist da ein Werk, doch es trägt in sich das Nichts, das vorher da war. Das Nichts lauert innen & außen", postuliert Kurt Schwertsik in Hinblick auf das Metier des Komponierens. Doch auch Grundsätzliches, Existenzielles schwingt in diesen Gedanken mit, die Schwertsik rechtzeitig zu seinem 85. Geburtstag in Buchform unter dem Titel Was und wie lernt man? gebündelt hat. Wobei es diverse Tonlagen mischt: Es ist prall gefüllt nicht nur mit hintersinnigen, ernsten Gedanken; da ist auch Heiteres, Leichtes.

Abseits musikalischer Themen präsentiert der Band auch das charmante Charakterbild eines komponierenden Zeitgenossen, dessen Interessen und Anliegen weit über sein Arbeitsfeld hinausreichen. Da sind Ideen sogar den gesamten Kosmos betreffend enthalten. Auch teilt Schwertsik – weithin in Grün gehalten – seine tiefe Naturverbundenheit mit wie auch seine Sorge um das ökologische und politische Klima.

Mit deutlich abstehenden Ohren sei er, der Sohn eines Schneiderehepaares, am 25. Juni 1935 geboren worden, erzählt er: "Um meine Mutter zu beruhigen, wurde ihr versichert, das deute auf musikalische Begabung …" War nicht gänzlich falsch: Mit viel Selbstironie schreibt Schwertsik von seinen frühen folgenreichen Besuchen in der Wiener Volksoper, dem Klavierunterricht, den ersten unbeholfenen Kompositionsversuchen, dem Hornstudium und dem Kompositionsunterricht bei Kapazitäten wie Joseph Marx und Karl Schiske.

Der Komponist als Hornist

Schwertsiks Verwobenheit mit der Musikgeschichte datiert aus dieser Phase – er vertieft sie allerdings später gründlich als Hornist in Orchestern. Er war ab Mitte der 1950er-Jahre bei den Niederösterreichischen Tonkünstlern, von 1968 bis 1989 spielte er bei den Wiener Symphonikern. Es gab aber auch die andere Welt, jene der komponierenden Avantgarde: In Was und wie lernt man? berichtet Schwertsik von seinen Eindrücken bei den Darmstädter Ferienkursen in den 1950ern, also seinen Begegnungen mit der Musik von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono und Mauricio Kagel. Da war aber auch die Ohren öffnende Wirkung von John Cage: Wie dieser sollte Schwertsik später das I Ging befragen, wenn es um schwierige Entscheidungen ging.

Seine Schilderungen lassen nachvollziehen, welch mutiger Kraftakt auch die Gründung des Neue-Musik-Ensembles die reihe zusammen mit Friedrich Cerha in den 1950er-Jahren war. Anderseits auch, wie lebendig und waghalsig sich die Wiener Nachkriegsavantgarde präsentierte.

Neue Ensembles

Zu den gewichtigen musikalischen Entscheidungen zählte gewiss auch die Abwendung vom strengen Serialismus hin zur ehrwürdigen, aber lebendigen Tonalität. "Ich wurde einfach als Freak betrachtet", erinnerte sich Schwertsik einst an diese Wende zur Tradition, die auch Spuren beim Ensemble MOB art & tone Art hinterließ. Er gründete es als eine Art antidogmatische Plattform in den späten 1960ern mit seinen ihm gleichgesinnten Komponistenkollegen HK Gruber und Otto M. Zykan.

Zuerst schien es, als sei mit Feiern nichts zu machen: Das für Mai geplante Festkonzert im Wiener Musikverein konnte nicht stattfinden. Immerhin steht Kurt Schwertsik nach der schüchternen Wiederaufnahme des Wiener Konzertbetriebs mit der Uraufführung seiner Sonatine 2020 zufällig genau an seinem 85. Geburtstag im Zentrum eines Abends des Altenberg-Trios. Er fühlt sich gut aufgehoben zwischen Werken von Beethoven und Brahms.

Der Jubilar hält übrigens, wie man aus seinem Buch erfahren kann, wenig vom Klischee seiner "humorvollen" Musik. Auf hohem Niveau unterhalten fühlen – das darf man sich von ihr dennoch. Natürlich auch von dem Buch, in dem neben Werkeinführungen und reflektierenden Texten auch ein Gedichtzyklus enthalten ist, der womöglich auf die Qualen des Komponierens verweist – Titel: "Ich schaff’ es nicht! Die dunkle Seite der Erleuchtung & wie ich mich durchgetastet habe". (Daniel Ender, 23.6.2020)