Das Team des Alpine Peace Crossing im Windbachtal vor dem Aufstieg auf den Krimmler Tauern. Die Passhöhe auf 2.600 Meter Höhe überquerten 1947 tausende Jüdinnen und Juden zu Fuß, um über Italien nach Palästina auszuwandern.

Foto: Stefanie Ruep

Der neue Obmann des Vereins, Robert Obermair, zeichnet ein Video am Krimmler Tauernhaus auf. Die jüdischen Flüchtlinge sammelten hier ihre Kräfte, bevor sie 1.000 Höhenmeter bis zum Pass überwinden mussten.

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Ein weiterer Video-Zwischenstopp bei der Windbachalm mit Vorstandsmitglied Matthias Schreckeis.

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Beim Aufstieg durch das Windbachtal begleitete das Pfeifen der Murmeltiere die Wanderung der Gruppe.

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Bettina Reiter spricht an einer Stele über den Hain der Flucht, der 2017 angelegt wurde.

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Die Sonne hat es noch nicht über die Berge geschafft, das Krimmler Achental im südwestlichsten Winkel des Pinzgaus liegt im Schatten. Die Wandergruppe ist bereits bereit für den Abmarsch vom Krimmler Tauernhaus auf 1.631 Meter Seehöhe. Doch zuerst wird noch ein Video gedreht. Robert Obermair, der neue Obmann des Alpine Peace Crossing (APC), spricht in die Kamera, stellt sich auf Englisch vor und begrüßt die späteren Zuschauer zur 14. Gedenkwanderung über den Krimmler Tauern.

Es ist heuer eine ungewöhnliche Wanderung. Wo sonst rund 200 Teilnehmer auf der ehemaligen Fluchtroute gehen, macht sich Mitte Juni nur eine kleine Gruppe rund um den neuen Vorstand des APC mit ihren Rucksäcken auf. Aufgrund der Corona-Pandemie musste die für den 27. Juni geplante Veranstaltung dieses Jahr abgesagt werden. Der junge Vorstand wollte den Gedächtnismarsch aber nicht einfach ausfallen lassen. Ein neues Magazin und Videos für eine virtuelle Wanderung sollen stattdessen an die Geschichte der Krimmler "Judenflucht" erinnern.

15-Stunden-Marsch nach Südtirol

Im Sommer 1947 flüchteten 5.000 jüdische Holocaust-Überlebende zu Fuß über den Krimmler Tauern nach Südtirol, um von Italien aus in Richtung Palästina auszuwandern. Der beschwerliche 15-stündige Marsch war die einzige Option, nachdem auf Initiative Großbritanniens den Flüchtlingen die Fahrt über den Brenner verwehrt wurde. Die jüdischen Flüchtlinge und KZ-Überlebenden aus Osteuropa kamen aus dem Lager Givat Adova für "displaced persons" in Saalfelden, wo heute die Anton-Wallner-Kaserne des Bundesheeres steht.

Die Jüdinnen und Juden, die den Tauern passierten, waren ein kleiner Teil der von der jüdischen Flüchtlingsorganisation Bricha arrangierten Massenauswanderung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mitorganisator der Flucht über die Alpen war Marko Feingold, langjähriger Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, der letzten September im Alter von 106 Jahren verstarb. Bis 2018 hielt der Zeitzeuge, der vier Konzentrationslager überlebte, beim Alpine Peace Crossing eine Rede vor den Wanderern. Auch jüdische Flüchtlinge, die selbst als Kinder über den Tauern marschierten, und deren Nachkommen aus Israel nahmen regelmäßig an der Gedenkwanderung teil. 2017 ging auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen Teil der Strecke mit.

Der Weg auf der ehemaligen Fluchtroute startet im Achental entlang blühender Almwiesen bis zum Hain der Flucht, der vor drei Jahren zum Zehn-Jahr-Jubiläum des APC angelegt wurde. Die 49 kleinen Bäume ehren Persönlichkeiten, deren Biografie mit der Flucht verbunden ist oder die sich für Flüchtlinge und Frieden eingesetzt haben. Auch hier nimmt das Team eines der Videos auf, die ab Donnerstag auf der Website und den Social-Media-Kanälen des Vereins ausgestrahlt werden.

Der neue Vorstand des Alpine Peace Crossing beim Abstieg vom Krimmler Tauernpass (v. li.): Caroline Huber, Antonia Winsauer, Robert Obermair, Matthias Schreckeis und Bettina Reiter sowie der wissenschaftliche Beirat Kay-Michael Dankl.
Foto: Stefanie Ruep

Im Oktober wurde das APC auf neue Beine gestellt. Nach 13 Jahren hat der Initiator und bisherige Obmann Ernst Löschner die Geschicke des Vereins an den 31-jährigen Historiker Robert Obermair übergeben. Den Vorstand komplettieren die Historikerin Antonia Winsauer, die Lehrerin Bettina Reiter, die Soziologin Caroline Huber und der Historiker Matthias Schreckeis. Löscher bleibt dem Verein als Ehrenpräsident verbunden und steht dem neuen Team beratend zur Seite. Mit der Neuaufstellung wurde die Spendensammlung für Sozial- und Flüchtlingsprojekte vom Gedenkverein getrennt und wird vom Nachfolgeverein APC-Help weiterbetrieben.

Beim Aufstieg durch das Windbachtal ist bereits von weitem eine der Pyramiden des APC auf der Fluchtroute zu sehen. Das Pfeifen der Murmeltiere begleitet die Gruppe auf dem steinigen Weg, der durch das abfließende Schmelzwasser teilweise einem Bach gleicht. In den Vorjahren mussten hier ältere Teilnehmer umkehren. Menschen unterschiedlichsten Alters, unterschiedlichster Herkunft und alpiner Erfahrung schließen sich ansonsten diesem Marsch auf den Spuren der jüdischen Überlebenden an.

Mit Kind und Koffer über die Alpen

Mit festen Schuhen, Windjacken und Wanderstöcken ist der Aufstieg auch durch die teils noch tiefen Schneefelder im oberen Teil machbar. Kaum vorstellbar, wie diesen Weg die schlecht ausgerüsteten und unterernährten Flüchtlinge bewältigt haben. Sie trugen auch noch ihr gesamtes Hab und Gut mit sich, und Eltern schulterten ihre Kinder.

Das Wissen über die lange vergessene Flucht über den Tauern beruht überwiegend auf Zeitzeugenberichten, denn es gibt bisher wenige erschlossene schriftliche Quellen. "Wann was wie genau passiert ist, wollen wir künftig noch detaillierter historisch aufarbeiten", sagt Historiker Obermair.

Um solche wissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit aktuellen Bezügen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, erscheint heuer erstmals das Magazin Alpendistel. Die Beträge orientieren sich an dem Schwerpunktthema "Im Schatten der Berge" und beleuchten Antisemitismus gestern und heute.

Als die ersten Wolken auf der Passhöhe auf 2.634 Meter Höhe auftauchen, muss das APC-Team heuer kehrtmachen. Eine Überquerung der Alpen bis ins Südtiroler Ahrntal bis nach Kasern, wo die Gedenkwanderung ansonsten endet, ist nicht möglich. Denn die Grenze nach Italien ist bei der Begehung für das virtuelle Format noch wegen der Covid-19-Maßnahmen geschlossen. (Stefanie Ruep, 23.6.2020)