Kindern und Jugendlichen werden über Medien und Spielzeug Körper vorgesetzt, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Foto: imago images / Michael Eichhamme

Der Satz, der dem neuen Buch von Sonja Eismann seinen Titel verleiht, kann auf zwei Arten ausgesprochen werden. Vorwurfsvoll bis verhöhnend gegenüber allem, was zu weit von der herrschenden Norm entfernt ist. Oder neugierig bis begeistert darüber, womit die Vielfalt von Körpern aufwarten kann. Das Buch "Wie siehst du denn aus? Warum es normal nicht gibt" will Letzteres stärken und Mädchen und Buben zeigen, welche vielfältigen Formen Hintern, Nasen, Vulven und Beine haben – und dass sie okay sind genau so, wie sie sind.

STANDARD: Das Buch verrät nicht auf den ersten Blick, für welche Altersgruppe es ist. Wann tauchen für Kinder Fragen und Probleme mit Körpernormen und Schönheitsidealen auf?

Eismann: Das Buch ist ab zehn Jahren, aber es ist absichtlich so gemacht, dass es möglichst alle ansprechen soll und bei den Kindern jene, die gerade beginnen, über ihre Körper nachzudenken. Normen und Vergleiche beginnen meist im Pre-Teen-Alter. Wir wollten ein offeneres Gefühl verbreiten, eine Rückversicherung, dass alles okay ist mit ihnen, auch wenn sie vielleicht anders aussehen als die Leute um sie herum oder in der Werbung. Und wir wollten sie in einer Zeit damit erreichen, wo sie anfangen, sich damit zu befassen, aber noch nicht völlig zugeballert sind mit Normen.

STANDARD: Der Ton in den Texten ist unaufgeregt. Wollten Sie damit vermittelt, dass man letztlich nicht zu viel Bahöl um das Äußerliche machen sollte?

Eismann: Ja, auf jeden Fall. Wir wollten Beiläufigkeit suggerieren und das Thema nicht noch mehr überfrachten, sondern einfach zeigen, was es alles gibt, dass alles nebeneinander steht und alles gar nicht so wild ist. Andererseits wollen wir auch ein positives Staunen über die Fähigkeiten unserer Körper mitliefern. Es ist doch faszinierend, was sich Menschen alles zu Körpern ausgedacht haben und wie sehr es sich wandeln kann, was wir schön, schrecklich und unnormal finden. Deshalb ziehen wir auch Vergleiche zwischen Weltregionen und dass man mal schwarze Zähne und Monobrauen bei Frauen cool fand. Unser Schönheitsideal ist doch völlig übergeschnappt und repräsentiert eine sehr geringe Bevölkerungsgruppe. Stereotype von blonden, weißen, dünnen Frauen haben mit dem überwiegenden Teil der Bevölkerung nichts zu tun hat. Das gilt auch für den Zusammenhang mit Migration: Wir haben in einem mitteleuropäischen Land praktisch nur Bücher und Filme, in denen weiße Normkörper vorkommen. Doch das ist nicht die Realität, und vielerorts decken sich die Erfahrungen der Kinder nicht mit dem, was sie medial vermittelt bekommen. Das wollten wir unaufgeregt korrigieren.

Sonja Eismann, Amelie Persson, "Wie siehst du denn aus? Warum es normal nicht gibt". 15,40 Euro / 90 Seiten. Beltz-Verlag, 2020

STANDARD: Sie verweisen im Buch auch auf Hashtag-Kampagnen und Instagram-Accounts, die die Vielfalt von Körpern zeigen. Der viel größere Teil der Accounts verschärft aber beschränkende Körperideale.

Eismann: Ja, das ist auch der Grund, warum wir das Buch für Kinder ab zehn Jahren ansetzen. Das ist das Alter, in dem Kinder anfangen, ohne Eltern im Netz zu sein, erstmals ein Smartphone haben und Tiktok-Videos machen und sich damit gegenseitig dissen. Instagram kann durch seine Niederschwelligkeit durchaus dazu beitragen zu zeigen, dass es auch andere Körperbilder gibt, allerdings erreicht das die Kinder meist nicht. Sie schauen sich Shirin David oder Capital Bra an – und da werden ganz andere Körperbilder gespiegelt. Viele Kinder wissen, dass das Inszenierung ist, sie können das in gewisser Weise auch einordnen, weil sie eine ganz gute Medienkompetenz haben. Trotzdem machen diese Bilder etwas mit ihnen, und sie sind eben auch Teil unserer Lebensrealität. Es ging uns nicht darum, irgendetwas zu verteufeln, sondern wir wollen ihnen ein Werkzeug mitgeben, damit sie das, was sie sehen, durch eine andere Linse betrachten können.

STANDARD: Gelassenheit gegenüber dem Körper verlangten zuletzt auch einige Autor*innen des Feuilletons. Anlass war ein Video von Billie Eilish, in dem sie die Bewertung von Körpern kritisierte. Autor*innen wie etwa Ronja von Rönne in der "Zeit" reagierten darauf mit der Aufforderung, dass wir uns doch auf die Inhalte, die Kunst konzentrieren sollten. Ein naiver Zugang?

Eismann: Ich fände es auch schön, wenn wir gelassen damit umgehen könnten, aber das ist ein Privileg derer, deren Körper nicht infrage gestellt werden. Andere Leute, die nicht die Norm erfüllen, haben gar nicht die Möglichkeit, ihre Körperlichkeit nicht infrage zu stellen. Selbst ein souveräner Superstar wie Billie Eilish musste sich aufgrund ihres Kleidungsstils anhören "Warum versteckst du dich?", "Warum zeigt du deinen Körper nicht"?. Und wenn sie dann mal ihren Pulli ausgezogen hat, dann gab es gleich ein "Boob-Pic" von ihr als gerade mal 17-Jähriger! Das ist brutal, und gerade Frauen werden immer noch auf ihre Körper zurückgeworfen.

Es wäre schön, wenn wir uns nur für die hehre Kunst interessieren würden, aber das funktioniert meistens nur bei alten Männern, bei denen man davon ausgeht, dass sie keine Körper haben oder dass sie keine Rolle spielen. Die Dualität "Männer sind Geist und Frauen sind Körper" ist ja leider noch immer intakt. Doch auch jüngere Männer, die kein intellektuelles Kapital haben, werden heute immer stärker auf ihren Körper reduziert, deshalb wollen wir mit dem Buch Jungs und Mädchen ansprechen. Aber natürlich ist es so, dass bei einem weiblichen Superstar die Leute immer noch wissen wollen, was unter ihrer Kleidung ist. Erinnern wir uns daran, wie besessen die Leute bei Lady Gaga davon waren, ob sie womöglich ein Mann sei, weil sie teilweise nicht klassisch feminin aussah. Da gab es bei Google enorm viele Suchanfragen zu "Lady Gaga und Penis".

Sonja Eismann: "Die Dualität 'Männer sind Geist und Frauen sind Körper' ist ja noch intakt.
Foto: privat

STANDARD: Body-Positivity ist ein stark kommerziell genutztes Thema. Wo liegt der Unterschied zwischen der Diversität, die zum Beispiel die Körperpflegemarke Dove in ihren Kampagnen abbilden möchte, und dem Anliegen Ihres Buches?

Eismann: Natürlich ist ein Buch auch ein Produkt, aber bei Dove wird in gewisser Weise Attraktivität verkauft. In unserem Buch soll in diesem Sinn eben nichts verkauft werden. Der Grundgedanke von Body-Positivity-Werbung ist meist: "Alle Körper sind schön." Das gibt den Leuten sicher ein gutes Gefühlt, aber "schön" ist immer etwas, das mit Normen einhergeht. Auch Plus-Size-Models müssen die Kurven an der richtigen Stelle haben. Damit werden Normen nicht dekonstruiert, sondern nur ausgeweitet. Die Zeichnungen von Amelie Persson in unserem Buch sind schön im Sinne von liebevoll, denn es soll Freude machen, sich damit zu befassen. Aber in erster Linie wollen wir zeigen, was es für eine riesige Bandbreite an Körperformen gibt, ohne zu werten. Wir können allerdings keinen erschöpfenden Überblick liefern, aber genau das ist eine wichtige Erkenntnis – es gibt so viele unterschiedliche Körper, wie es Menschen gibt, und alle sind liebenswert.

Body-Positivity ist außerdem ein Konzept, das für Erwachsene erdacht ist, und es setzt quasi Body-Negativity voraus. Kinder verstehen das noch nicht, weil sie ursprünglich sowieso einen positiven Zugang zu ihrem Körper haben. Hier wollen wir ansetzen, wir wollen diesen positiven Zugang bewahren.

STANDARD: Was können Eltern tun, damit Kinder ihr gutes Verhältnis zum Körper bewahren? Müssen vor allem Mütter ein gutes Vorbild sein, wie es oft heißt?

Eismann: Da kenne ich kein einfaches Rezept. Klar könnte man sich einfach allen Normen verweigern. Ich finde aber, das kann man nicht von Eltern verlangen, die sich damit durchaus giftigen Blicken aussetzen. Die Forderung dieser Art von Verweigerung finde ich zu eindimensional, weil sie ausblendet, dass es tatsächlich gesellschaftliche Reaktionen darauf gibt – und die können auch für die Kinder unangenehm sein. Ich glaube, es ist am besten, dass man all das oft und viel mit Kindern bespricht, dass sie sehen und erleben, dass man verschiedene Körper positiv bewertet. Und wir können offen darüber reden und transparent machen, warum man jenes an sich macht und manches auslässt. (Beate Hausbichler, 23.6.2020)