Polizisten kontrollieren nun die Quarantäne von Tönnies-Mitarbeitern.

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Düsseldorf/Rheda-Wiedenbrück/Wildeshausen – Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies schränken die Behörden im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen das öffentliche Leben in den Kreisen Gütersloh und Warendorf massiv ein.

Erstmals in Deutschland werde ein gesamter Kreis wegen des Infektionsgeschehens wieder auf die Schutzmaßnahmen zurückgeführt, die noch vor einigen Wochen gegolten hätten, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in Bezug auf Gütersloh. Später wurden auch für Warendorf die Schließung von Kindergärten und Schulen, Kontaktbeschränkungen und das Verbot von zahlreichen Veranstaltungen angekündigt.

Im Kreis Gütersloh handle es sich um das bisher "größte Infektionsgeschehen" in Deutschland, so Laschet. Beim Schlachtbetrieb des Marktführers im westfälischen Rheda-Wiedenbrück hatten sich mehr als 1.550 Beschäftigte nachweislich mit dem Coronavirus infiziert.

Weiterer Betrieb betroffen

Nicht nur der Fleischverarbeiter Tönnies, sondern Schlachthöfe generell könnten in den nächsten Wochen vermehrt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit verbleiben. Am Dienstag wurde bekannt, dass ein weiteres Unternehmen betroffen ist. Es handelt sich um einen Betrieb, der für die Marke Wiesenhof bekannten PHW-Gruppe. Beim Test von 50 Personen aus dem Betrieb im niedersächsischen Wildeshausen habe es bei 23 ein positives Ergebnis gegeben, teilte der Landkreis Oldenburg am Dienstag mit.

Das Unternehmen Geestland Putenspezialitäten (GPS), das den Schlachthof führt, kündigte an, dass nun alle 1.100 Mitarbeiter auf Covid-19 getestet werden sollen. Die Ergebnisse sollten bis Freitag vorliegen.

Eine Woche Lockdown

Dann wird sich herausstellen, ob es in Teilen Niedersachsens zu ähnlichen Konsequenzen kommen wird wie in Teilen Nordrhein-Westfalens. Der Lockdown in Gütersloh gilt zunächst für eine Woche. Bis 30. Juni werde man dann mehr Klarheit haben, inwieweit sich das Virus auch bei Menschen, die nicht bei Tönnies arbeiten, ausgebreitet habe, sagte Laschet. Bisher gebe es hier nur 24 nachgewiesene Infektionen. Die Behörden werden die Tests in der Bevölkerung massiv ausweiten, betonte der Regierungschef. Ein Ausreiseverbot für den Kreis besteht nicht. Fragen des Schadenersatzes gegen die Firma Tönnies könnten nach der Krise geprüft werden.

Rund 7.000 Mitarbeiter stehen mitsamt ihren Familien seit einigen Tagen unter Quarantäne. Die Einhaltung der Quarantänemaßnahmen gestaltet sich aber schwierig. Die Landesregierung habe drei Einsatzhundertschaften der Polizei in den Kreis Gütersloh geschickt, sagte Laschet. Die Polizisten sollen die Quarantäne der Tönnies-Mitarbeiter kontrollieren. Laschet warf dem Branchenriesen mangelnde Kooperationsbereitschaft vor. Daher hätten die Behörden die Herausgabe von Daten der Werkarbeiter von Tönnies durchgesetzt.

Vorübergehender Produktionsstopp

Schulen und Kindertagesstätten im Landkreis Gütersloh mit rund 370.000 Einwohnern waren bereits zuvor geschlossen worden. Für die größte deutsche Fleischfabrik war zudem ein vorübergehender Produktionsstopp verhängt worden. Auch im benachbarten Kreis Warendorf werde es Einschränkungen geben, hieß es.

Im Kreis Gütersloh werden Laschet zufolge nun unter anderem wieder Kontaktbeschränkungen eingeführt. Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen sind nicht gestattet, Ausstellungen und Museen müssen schließen. Restaurants und Speisegaststätten können geöffnet bleiben, aber nur noch für Menschen aus einem Haushalt.

Wohnsituation und niedrige Temperaturen

Warum es besonders in der Fleischindustrie vermehrt hohe Zahlen von Corona-Infizierten gibt, kann der Präsident des Robert-Koch-Instituts noch nicht sagen. Lothar Wieler verwies bei einer Pressekonferenz am Dienstag zum einen auf die Wohnsituation der Arbeiter in der Fleischindustrie, aber auch auf die niedrigen Temperaturen in den Schlachthöfen. "Wir gehen davon aus, dass es 'sowohl – als auch' ist", sagte Wieler. In engen Wohnungen habe es das Virus einfacher. Niedrige Temperaturen, um das Fleisch zu kühlen, könnten bei der Übertragung ebenso eine Rolle spielen wie Aerosole, bei der über die Luft Stoffe übertragen werden.

Die Menschen in Deutschland müssten sich auch für die nächsten Monate auf ein Leben mit Einschränkungen einstellen. Man werde das Virus kontinuierlich im Land haben, lokale Ausbrüche werde es wohl weiter geben. "Das wird die neue Normalität sein für die nächsten Wochen und Monate", sagte Wieler. Optimistisch äußerte sich der RKI-Präsident bezüglich einer zweiten Infektionswelle: "Wir können eine zweite Welle verhindern." Die Zahl der Neuinfektionen liegt in Deutschland seit Wochen deutlich unter 1.000 pro Tag. Wegen lokaler Ausbrüche in Wohnblocks oder Schlachthöfen war die Zahl der akut Infizierten aber zuletzt nicht mehr gesunken und die Ansteckungsrate gestiegen.

Bayern untersagt Beherbergung

Angesichts des Ausbruchs untersagt Bayern die Beherbergung von Menschen, die aus Gütersloh und aus anderen schwer betroffenen Landkreisen einreisen. Betriebe dürfen künftig keine Gäste mehr aufnehmen, die aus einem deutschen Landkreis einreisen, in dem die Zahl der Neuinfektionen in den zurückliegenden sieben Tagen bei mehr als 50 pro 100.000 Einwohner liegt. (APA, red, 23.6.2020)