Im September 2015 gelang Forschern mithilfe von LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory), einem Doppel-Observatorium in Hanford (Washington) und in Livingston (Louisiana), erstmals die direkte Messung von Gravitationswellen. Die Wissenschafter Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne wurden für diesen bahnbrechenden Erfolg 2017 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. In den fünf Jahren seit dem erstmaligen Nachweis dieser Stauchung und Streckung der Raumzeit hat sich die Beobachtung von Gravitationswellen zu einem festen Bestandteil der Astronomie etabliert, die davor praktisch ausschließlich auf die Beobachtung von elektromagnetischer Strahlung basierte.

Ausgelöst wird das Phänomen, das Albert Einstein bereits 1916 in der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hat, von einander umkreisenden und verschmelzenden astronomischen Objekten. Damit Gravitationswellen einen nennenswerten und messbaren Effekt auf Materie ausüben, müssen sie freilich von massereichen kompakten Himmelskörpern kommen, also Schwarzen Löchern oder Neutronensternen. Ein solches Gravitationswellen-Signal wurde nun mit den Detektoren LIGO und Virgo entdeckt – doch die Messergebnisse stellen die Astrophysiker vor ein Rätsel. Offenbar war der Auslöser des Signals mit der Katalognummer GW190814 ein außergewöhnliches Ereignis: die Verschmelzung eines Schwarzes Lochs mit 23 Sonnenmassen und eines Objektes von lediglich 2,6-facher Sonnenmasse.

Diese Illustration zeigt den Zusammenprall eines Schwarzen Lochs und eines deutlich kleineren kompakten Objekts, die einander umkreisen, verschmelzen und dabei Gravitationswellen aussenden.
Illustr.: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration

Merkwürdiges System

Es ist vor allem das kleinere der beiden Objekte, das den Forschern Kopfzerbrechen bereitet. Es ist massereicher als die schwersten bekannten Neutronensterne, jedoch kleiner als die bislang leichtesten Schwarzen Löcher. Das merkwürdige Duo stellt damit das aktuelle Verständnis der Entstehung und Entwicklung solcher Systeme infrage, denn nie zuvor haben Astronomen eine Gravitationswelle von einem System gemessen, in dem sich die Einzelmassen so unterschiedlich verteilen. GW190814 wurde sowohl von den beiden LIGO-Detektoren in den USA als auch von der Anlage Virgo in Italien am 14. August 2019 während des dritten Beobachtungslaufs (O3) der Observatorien beobachtet – auf den Tag genau zwei Jahre nach GW170814, dem ersten von allen drei Instrumenten gemeinsam registrierten Signal.

"GW190814 ist eine unerwartete und wirklich aufregende Entdeckung", sagt Abhirup Ghosh vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Zudem rätseln die Forschenden, was hinter dem massearmen Objekt steckt. "Wenn es sich tatsächlich um ein Schwarzes Loch handelt, ist es das leichteste bekannte. Ist es hingegen ein Neutronenstern, so ist dies der massereichste, den wir je in einem Doppelsystem beobachtet haben", so Ghosh.

Wegen der so unterschiedlichen Massen ist die Gezeitenverformung des Neutronensterns, die seine Anwesenheit verraten würde, in GW190814 schwer zu erkennen – und wurde auch nicht nachgewiesen. Würde es sich bei dem Objekt tatsächlich um eine solche kompakte Sternleiche von nur 20 Kilometer Durchmesser handeln, wäre sie außergewöhnlich schwer. Das würde unser Verständnis davon, wie sich Neutronenstern-Materie verhält und wie massereich diese exotischen Objekte sein können, herausfordern.

Gravitationsmusik

"Weil die Massen der Objekte so unterschiedlich sind, konnten wir das Brummen einer höheren Harmonischen der Gravitationswelle, das den Obertönen von Musikinstrumenten ähnelt, eindeutig identifizieren", sagt Jonathan Gair, Gruppenleiter am Potsdamer Max-Planck-Institut und Koautor der in den "Astrophysical Journal Letters" veröffentlichten Studie. Diese Oberschwingung, deren Frequenz wie in der Musik ein ganzzahliges Vielfaches einer Grundfrequenz ist, wurde bei GW190814 erst zum zweiten Mal überhaupt nachgewiesen. "Das erlaubt es uns, einige astrophysikalische Eigenschaften des Doppelsystems genauer zu messen." Vorstellbar seien zudem neue Tests von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie.

Jede dieser vier Spiralen zeigt einen anderen Oberton des Gravitationswellensignals. Von links nach rechts und von oben nach unten sind das quadrupolare (orange), oktupolare (magenta), hexadekupolare (violett) und 32-polare (blau) Mode.
Illustr.: N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration

"Durch den günstigen Umstand, ein so lautes Signal mit ganz unterschiedlichen Komponentenmassen über eine Dauer von etwa zehn Sekunden beobachtet zu haben, konnten wir die bisher präziseste Messung der Eigenrotation eines Schwarzen Lochs mittels Gravitationswellen vornehmen", sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Dies sei wichtig, weil die Eigenrotation eines Schwarzen Lochs Informationen über dessen Entstehung und Entwicklung enthält. "Wir fanden heraus, dass sich dieses Schwarze Loch mit 23 Sonnenmassen ziemlich langsam dreht, nämlich mit weniger als sieben Prozent der von der allgemeinen Relativitätstheorie erlaubten maximalen Eigenrotation", so Buonanno.

Zwei mögliche Entstehungsorte

Laut Frank Ohme, Leiter einer unabhängigen Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, ist es schwierig, etwas über die Umgebung, in der dieses ungewöhnliche Doppelsystem geboren wurde, und über seine Entwicklung herauszufinden: "Es ist anders als die meisten solcher Systeme, die wir aus Simulationen kennen." Der Forscher glaubt, dass GW190814 und ähnliche zukünftige Signale dabei helfen könnten, diese unerwartete neue Art von Doppelsystemen und die Prozesse, die zur Entstehung von schweren Neutronensternen oder leichten Schwarzen Löchern führen, besser zu verstehen.

Die Astronomen vermuten, dass sich das System mit größter Wahrscheinlichkeit entweder in einem jungen, dichten Sternhaufen oder in der Umgebung eines aktiven Galaxienkerns gebildet hat. Basierend auf ihren Schätzungen, wie viele solcher Systeme im Universum existieren und wie oft sie miteinander verschmelzen, gehen die Wissenschafter davon aus, dass sie in zukünftigen LIGO/Virgo-Beobachtungsläufen noch weitere solcher exotischen Objekte finden werden.

Simulation der Gravitationswellen, die entstehen, wenn ein Schwarzes Loch und ein masseärmeres dichtes Objekt verschmelzen. Das Modell deckt sich mit den Messungen von GW190412.
Illustr.: N. Fischer, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max Planck Institute for Gravitational Physics), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration.

Richtung und Entfernung

Aus dem empfangenen Gravitationswellensignal lassen sich einige astrophysikalische Eigenschaften – etwa die Entfernung – genauer bestimmen. So zeigen Datenanalysen, dass die Verschmelzung in einer Entfernung von etwa 780 Millionen Lichtjahren von der Erde stattfand. Die Richtung zum Signalursprung konnte auf eine Fläche im Sternbild Bildhauer (Sculptor) am Südhimmel eingegrenzt werden, die am Firmament ungefähr der Größe von 90 Vollmonden entspricht.

Nachdem die Entfernung und die Himmelsposition genau bestimmt waren, nutzten die Wissenschaftler GW190814 dazu, mittels Gravitationswellen die sogenannte Hubble-Konstante zu bestimmen. Diese beschreibt die Rate, mit der sich das Universum ausdehnt. Das Ergebnis ist zwar weniger genau als andere Messungen dieser Konstante, aber in Übereinstimmung mit diesen. Außerdem verwendeten die Fachleute GW190814 auch dazu, um nach Abweichungen von den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie zu suchen. Fazit: Selbst dieses ungewöhnliche Signal, das eine neue Art von Verschmelzungsereignissen darstellt, folgt den Vorhersagen der Theorie. (tberg, red, 23.6.2020)