Einen Vorteil hatte das wochenlange Zuhausesitzen: Wer weniger tun kann, tut auch der Natur weniger weh. Wer daheim "Tiger King" schaut, tut das vielleicht nicht unbedingt mit reinem Kultur-, dafür aber mit gutem Umweltgewissen. Schließlich ist solch ein Guilty Pleasure klimatechnisch besser als der Kurzurlaub oder das gemeinsame Steakessen – oder?

Stimmt, aber ganz ohne Konsequenzen bleibt das Bingen natürlich trotzdem nicht. Wer alle Folgen "Tiger King" schaut, emittiert etwa zwei Kilogramm CO2, ein "Breaking Bad"-Rewatch schlägt mit 21 Kilo zu Buche, etwa so viel wie eine Autofahrt von Wien nach Linz.

Das hat zumindest das deutsche Start-up Plantyflix berechnet – und bietet auch gleich eine Lösung an. "Plant trees ’n’ chill" lautet das Motto des Projekts – die durchs eigene Videostreaming verursachten Emissionen sollen durch neu gepflanzte Bäume wieder ausgeglichen werden. Weil die entziehen der Luft ja bekanntlich Kohlenstoff – wenn auch langsam und nicht immer effizient, weshalb Kompensationsprojekte auch in der Kritik stehen.

Illustration: Fatih Aydogdu

Großteil des Datenverkehrs wegen Streaming

Wer durchschnittlich eine Stunde pro Tag streamt, für den empfiehlt Plantyflix das günstigste Paket ab einem Euro, mit dem zwei Bäume pro Monat gepflanzt werden. Extrembinger mit sechs Stunden Tageskonsum können sich mit der Option für sechs Euro ein reines Gewissen in Form von 30 Bäumen monatlich kaufen.

Das Internet ist für einen immer größeren Anteil der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Schließlich müssen Server nicht nur betrieben und gekühlt werden, vorher müssen auch Leiterplatinen geätzt und Tiefseekabel verlegt werden. Videostreaming lässt die Leitungen nicht nur in Corona-Zeiten glühen – rund 57 Prozent des Datenverkehrs kommt von Netflix, Youtube und Co. Und damit auch viele Treibhausgase.

Als Fabrice Diedrich und Liam Hänel auf einer Nachhaltigkeitsmesse von diesen Zahlen hörten, waren sie überrascht – und entwickelten die Idee für Plantyflix. Innerhalb von zwei Wochen setzen sie das Projekt um, mitten in der Corona-Zeit und ohne persönlichen Kontakt.

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Bäume sollen die durch Streaming verursachen Emissionen der Atmos
Foto: AP/Ginnette Riquelme

400 Gramm CO2 pro Stunde

Im ersten Monat wurden bereits 7500 Bäume gepflanzt, etwa in Madagaskar oder Nepal. Das ist nicht nur günstiger als in Mitteleuropa, sondern soll dort auch Jobs schaffen, sagen die Gründer. Dafür arbeitet Plantyflix mit dem Eden Reforestation Project zusammen, wo etwa auch die Öko-Suchmaschine Ecosia seine Bäume pflanzen lässt. Rund 200 Millionen Stück hat die NGO schon im Auftrag von Unternehmen und Spendern eingesetzt.

Um den CO2-Ausstoß zu berechnen, haben die Unternehmer wissenschaftliche Papers durchstöbert und sich dann auf den Standardwert von 400 Gramm CO2 pro Streaming-Stunde festgelegt. Die Zahlen sind zwar schon einige Jahre alt und die Server seitdem effizienter geworden, so die Gründer.

Sie sehen ihre Aufgabe aber ohnehin nicht darin, dass jeder seine exakten persönlichen Emissionen kompensiert. "Es geht um Bewusstseinsbildung", sagt Diedrich. Dafür, dass eben alles, was wir tun, auch Umweltauswirkungen hat. Auch Netflix und andere Streaming-Anbieter wollen von sich aus grüner werden – ihr Geschäftsmodell sieht Plantyflix aber nicht bedroht. Es sei immer zu begrüßen, wenn Unternehmen grüner werden wollen. "Wir arbeiten beide immer sehr lösungsorientiert und wollten eine einfache Möglichkeit bieten, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen", sagt Diedrich. Natürlich könne man auch direkt bei NGOs wie Eden Reforestation Bäume pflanzen lassen. "Wir begrüßen jede Form der Teilnahme am Kampf gegen die Klimakrise." (pp, 24.6.2020)