Die Rolle von Proteinen wie TASL (in Gold und Blau) bei der Immunabwehr: ein neues Paper am Zentrum für Molekulare Medizin (CeMM).

Foto: CeMM / Ella Maru Studio

Es gibt einen Grund, warum Tresortüren aus zentimeterdickem Stahl gebaut sind. Wohnungseinbrüche mögen sich nicht immer verhindern lassen, aber einen Tresor knackt man nicht einfach so – vor allem dann, wenn er durch eine Alarmanlage gesichert ist.

Ganz ähnlich verläuft das mit Viren, die in den menschlichen Körper eingedrungen sind. Um in dem Bild zu bleiben: Der Tresor ist erst dann geöffnet, wenn Viren an den passenden Rezeptor andocken und sich auf diese Weise Zutritt zur Zelle verschaffen. Zellen sind auf solche Angriffe freilich vorbereitet. Sie verfügen über einige Waffen, um Krankheitserreger unschädlich zu machen. Zum Beispiel Membranvesikel, die Eindringlinge umschließen und in ihre Bestandteile zerlegen. "Diese Vesikel", sagt Giulio Superti-Furga, "sind ein Mittelding zwischen Polizeieinheit und Müllabfuhr."

Molekulare Grundlagen erforschen

Der Direktor des Zentrums für Molekulare Medizin in Wien (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit den molekularen Grundlagen der Immunabwehr – und hat mit seinem Team in der zelleigenen Vesikelfabrik kürzlich einen Schlüsselspieler entdeckt. TASL heißt das bisher unbekannte Protein, was nicht von ungefähr wie das englische "tassel" (zu Deutsch: Quaste) klingt.

Das Protein sieht tatsächlich ein bisschen aus wie eine Quaste und vermittelt offenbar ein entscheidendes Signal. Oder, wie es Superti-Furga ausdrückt: "Wenn TASL aktiv wird, signalisiert die Zelle: Wir haben hier ein ernstes Problem. Das ist quasi Alarmstufe Rot." Dann werden Hormone aktiviert, die in weiterer Folge B-Zellen, T-Zellen und die restliche die Armada des adaptiven Immunsystems herbeirufen.

"Die Vesikel sind ein Mittelding zwischen Polizeieinheit und Müllabfuhr." Giulio Superti-Furga
Foto: Heribert Corn www.corn.at

So läuft die Reaktion zumindest bei gesunden Menschen ab. Manchmal jedoch richtet die herbeigeeilte Immunpolizei ihre Abwehrkräfte gegen den Körper selbst. Das ist das grundsätzliche Problem bei Autoimmunerkrankungen – zu einer solchen kann es auch bei einer Störung der TASL-Signalkette kommen, und zwar bei der sogenannten Schmetterlingsflechte, wie die Wiener Forscher herausgefunden haben.

Ursprung entdeckt

Dass diese Krankheit für Patienten äußerst unangenehme Folgen hat, zum Beispiel Gelenkschmerzen, Nierenprobleme und Hautveränderungen im Gesicht auslöst, war schon länger bekannt. Nur wusste man bisher eben nicht, an welcher Stelle im molekularen Netzwerk der Ursprung dafür liegt. Da dies nun geklärt ist, ergeben sich auch Ansatzstellen für mögliche Therapien. An der Studie waren auch Forscher des Pharmakonzerns Boehringer-Ingelheim beteiligt, der Wissenstransfer in die angewandte Forschung sollte also kein allzu großes Problem darstellen.

Bis Wirkstoffe auf den Markt kommen, gilt es freilich noch klinische Prüfverfahren zu absolvieren. "Das dauert normalerweise etwa zehn Jahre", sagt Superti-Furga. "In diesem Fall könnte es auch ein bisschen schneller gehen, sieben Jahre scheinen mir nicht unrealistisch."

Zufällig gefunden

Der aus Italien stammende Biochemiker Superti-Furga und sein Team sind auf TASL übrigens zufällig gestoßen. "Wir hatten uns vor einigen Jahren vorgenommen, alle Transportproteine im menschlichen Körper zu verstehen. Nachdem es etwa 500 dieser Proteine gibt, ist das kein einfaches Unterfangen."

So holten sich die Forscher des CeMM Unterstützung von außen, gründeten mit fünf Pharmakonzernen ein Konsortium und machten sich an die Arbeit. Vor etwa einem Jahr gelang Leonhard Heinz aus Superti-Furgas Team bei der Arbeit an einem Transportprotein die entscheidende Entdeckung – auf einem Terrain, das die Forscher zunächst gar nicht auf dem Radar hatten.

Das Glück tüchtiger Wissenschafter

In der Wissenschaftstheorie gibt es für solche Zufallsfunde sogar einen eigenen Terminus. "Serendipity" heißt das Glück tüchtiger Wissenschafter, seit der US-amerikanische Soziologe Robert K. Merton diesen Begriff in die akademische Literatur eingeführt hat. Beispiele dafür gibt es zuhauf, sie reichen vom Teflon und dem Sekundenkleber über die Entdeckung des Penicillins bis hin zu Viagra, das ursprünglich als Bluthochdruckmittel eingesetzt wurde.

Die im Fachblatt Nature publizierte Studie schließt auch an andere klassische Arbeiten aus der neueren Wissenschaftsgeschichte an. Etwa an die Entdeckung der sogenannten Toll-like-Rezeptoren Mitte der 1980er-Jahre. Der seltsame Name kam so zustande: Als die spätere Nobelpreisträgerin Christine Nüsslein-Volhard den ersten Vertreter dieser Proteinfamilie in der Fruchtfliege entdeckte, entfuhr ihr, am Mikroskop sitzend, ein Ruf der Begeisterung.

Und weil die Fliegengenetiker grundsätzlich ein Faible für lustige Namen haben (man denke etwa an die Gene "Ken & Barbie", "Cheapdate" und "Bruchpilot"), setzte Nüsslein-Volhard diese Tradition eben per Exklamation fort: "Toll!"

Zentraler Spieler

Die Toll-like-Rezeptoren (TLR) wurden jedenfalls später in vielen anderen Tieren, nicht zuletzt auch im Menschen, entdeckt und gelten heute als zentrale Spieler der angeborenen Immunabwehr – als jene Moleküle, mit deren Hilfe der Körper überhaupt Viren, Bakterien und andere fremdartige Strukturen erkennt, um dann gegebenenfalls Alarm zu schlagen. Einige von ihnen stehen denn auch in unmittelbarem Kontakt mit dem nun entdeckten TASL-Protein. Die Signalkette ist somit aufgeklärt: Die TLRs erkennen die Gefahr, TASL leitet das Alarmsignal an das Hormonsystem weiter, dann werden Immunzellen aktiv.

"Die Kehrseite von so einem Verteidigungssystem ist: Wenn in der Zelle etwas schiefgeht und dieser Mechanismus von sich aus aktiv wird – wir nennen das sterile Infektionen –, dann können chronische Entzündungen entstehen. Es gibt auch Mutationen, die so eine Überfunktion auslösen", sagt Superti-Furga.

Der Konnex zu Autoimmunerkrankungen dürfte sich nicht auf die Schmetterlingsflechte beschränken, nachgewiesen ist das allerdings noch nicht. So geht die Suche nun von neuem los. Der Mechanismus ist bekannt, jetzt müssen Wissenschafter alle Organe und Zelltypen unter die Lupe nehmen, um die Brücke zur Alltagsmedizin schlagen zu können.(Robert Czepel, 26.6.2020)