Geld weg, Chef weg, Ansehen weg: Bei Wirecard überschlagen sich die Ereignisse. Und angesichts eines Bilanzlochs von 1,9 Milliarden Euro, fragt man sich nicht nur, wie das passieren konnte, sondern auch, wie sehr das dem deutschen und letztlich dem europäischen Kapitalmarkt schadet. Was zwischen München, Frankfurt und Berlin nun für Alarmstimmung sorgen sollte, ist der Umstand, dass die Pulverisierung eines riesigen Bilanzpostens nicht aus heiterem Himmel kam. Schon seit Jahren pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass bei Wirecard einiges im Argen liegen dürfte. Klar, allgemeine Anschuldigungen kann jeder erheben. Doch spätestens, als die "Financial Times" über schwerwiegende Machenschaften in Asien zu berichten begann, hätte man hellhörig werden müssen.

Wirecard schockiert die Anleger mit einem riesigen Bilanzloch.
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"Man" ist in diesem Fall:
1.) Der Wirtschaftsprüfer EY, der dem Unternehmen anlässlich der Bilanz 2018 einen Persilschein ausstellte und erst jetzt die Reißleine zog. Nun sind die Prüfer keine Kriminalisten, die sämtliche Vorgänge in einem Betrieb durchleuchten. Doch wenn die Fährte schon gelegt ist, sollten sich Aktionäre und Gläubiger erwarten dürfen, dass ihr ohne Abschweifungen gefolgt wird. Hier gibt es massive Zweifel: Philippinische Banken, bei denen hohe Wirecard-Guthaben liegen sollten, nennen die Bescheinigungen dafür eine plumpe Fälschung.

2.) Die Aufsicht. Keine andere Branche gilt wegen der systemischen Risiken als so gut überwacht wie der Finanzsektor. Doch da muss man differenzieren: Während bei Banken jeder Beleg dreimal umgedreht wird, ist die Aufsicht über Finanzdienstleister weniger rigoros. Das merken Anleger meist erst, wenn es zu spät ist. Kunden der zusammengebrochenen AvW können ein Lied davon singen. Bei Wirecard sagt die in Deutschland zuständige BaFin prompt, sie sei nur für den Bankteil des Konzerns zuständig, nicht aber für den wichtigeren Bereich der Online-Transaktionen. Das erinnert ein wenig an die Hypo Alpe Adria, bei der schwindlige Geschäfte über Leasingtöchter abgewickelt wurden, für die sich die Aufsicht unzuständig erachtete.

Das Versagen der Aufsicht wird nicht nur Anleger Milliarden kosten, sondern die ohnehin unterentwickelte Aktienkultur im deutschsprachigen Raum beschädigen. Sollen sich kleine Sparer wirklich stärker der Börse zuwenden, wenn nicht einmal Profis in Behörden und Prüfungsfirmen riesige Gefahren in manchen Unternehmen erkennen? Nun: Wirecard ist da ein abschreckendes Beispiel. (Andreas Schnauder, 23.6.2020)