Die männlichen Küken werden nicht gebraucht, sie werden aussortiert und vernichtet. Über die Tötungsmethode entspann sich ein politischer Streit.
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"Kükenschreddern: Grüne und ÖVP stimmen gegen Verbot", empörte sich die SPÖ, und kurz darauf schwappte die Welle der Empörung auch in die sozialen Netzwerke über, besonders hohe Wellen gab es dabei auf Twitter und Facebook. Dem Juniorpartner in der Regierung wurde vorgeworfen, alle Prinzipien über Bord geworfen zu haben, ein willfähriger Handlanger der ÖVP zu sein und damit endgültig jedwede Glaubwürdigkeit verspielt zu haben. Die Grünen sind also gegen ein Verbot des Schredderns lebendiger Küken, lautete die Botschaft, verbreitet erst über "Kontrast", das Magazin der SPÖ, das sich zunehmend auch in populistischer Themensetzung gut zurechtfindet, weitergetragen dann in den sozialen Medien. In der Empörung schwingt wohl auch der Unglaube mit, dass das Schreddern lebender Küken überhaupt erlaubt ist und praktiziert wird.

Legebatterien und Mastbetriebe

Tatsache: Mehr als neun Millionen Küken werden in Österreich jährlich vernichtet. Zwei Möglichkeiten gibt es: das Schreddern mit rotierenden Messern oder die Tötung mit Gas. Es sind männliche Küken, die noch an ihrem ersten Lebenstag vernichtet werden, weil es für sie keine Verwendung gibt – weder in den Legebatterien noch in den Mastbetrieben. Mit wenigen Ausnahmen wird Hahnenfleisch nicht gegessen.

Mehr als neun Millionen Küken werden in Österreich jährlich vernichtet.
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Das erstaunliche Ergebnis der Recherche angesichts der kursierenden Aufregung: In den neun großen Brütereien, die von der Statistik Austria angeführt werden, wird nach deren Auskunft mit der CO2-Methode getötet und nicht geschreddert. Der Verein gegen Tierfabriken sieht diese Zucht und Produktion von Tieren, nur um getötet und weggeworfen zu werden, ebenfalls kritisch, hat aber keine Hinweise auf das Schreddern von Hahnenküken, zumindest in den großen Betrieben. Die Empörung darüber ist also so etwas wie ein Sturm im politischen Wasserglas.

Faika El-Nagashi räumt eine Spitzfindigkeit ein

Das war so offenbar auch den Grünen nicht bewusst, die sich unvermittelt im Fokus des Schredder-Gates sahen. Dass die Grünen an vielen Stellen beteuert haben, selbstverständlich gegen das Schreddern von Küken zu sein, ging in der Aufregung unter. Tatsächlich steht auf Seite 160 des Regierungsprogramms als eines der Vorhaben der türkis-grünen Koalition: "Verbot des Schredderns von lebendigen Küken." Und Faika El-Nagashi, die bei den Grünen unter anderem für den Tierschutz zuständig ist, weist darauf hin, dass ihre Partei nicht gegen das Verbot gestimmt habe, sondern nicht für einen Antrag der Opposition. Eine Spitzfindigkeit, wie sie selbst einräumt. Dass das Schredderverbot im Regierungsprogramm überhaupt festgehalten wird, sei ein Verdienst der Grünen, das hätten sie gegen den Widerstand des ÖVP-Bauernbunds durchgesetzt. Tatsächlich scheint hier aber etwas verboten zu werden, was in Österreich ohnedies nicht mehr praktiziert wird. Die ÖVP wollte sich auf Anfrage des STANDARD dazu nicht äußern.

Liebesentzug: Nationalsratsabgeordnete Faika El-Nagashi ist bei den Grünen unter anderem für Tierschutz zuständig.
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Den SPÖ-Antrag, dem die Grünen nicht zugestimmt haben, findet deren Abgeordnete El-Nagashi inhaltlich richtig und gut. Aber hätten die Grünen dem gegen den Willen der ÖVP zugestimmt, wäre die Koalition beendet gewesen. Es ist zwar nicht ausdrücklich schriftlich festgehalten, dass die Koalitionspartner nicht gegeneinander stimmen dürfen, es ist aber jahrzehntelang gelebte Praxis, dass sich Koalitionspartner, die einen Pakt vereinbart haben, nicht gegenseitig im Parlament niederstimmen, egal ob das eine rot-schwarze, eine schwarz-blaue oder eine türkis-grüne Koalition ist.

In Schönheit sterben

El-Nagashi ist überzeugt, in den nächsten Wochen zumindest eine Ministerratsvorlage zu erreichen, in der die Koalition eine gesetzliche Bestimmung des Schredderverbots auf den Weg bringt. Ein formales Verbot könnte also rascher kommen, als das im SPÖ-Antrag vorgesehen ist, in dem das Inkrafttreten am 1. Jänner 2022 angepeilt war. "Ich werde alles versuchen, um die ÖVP zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen. Das ist besser, als einem SPÖ-Antrag zuzustimmen und in Schönheit zu sterben", sagt El-Nagashi. Sie selbst würde noch viel weiter gehen, sie würde nicht nur das Schreddern verbieten lassen, sondern generell die Tötung von Lebewesen, die ohne jeglichen Nutzen produziert worden sind. Das nennt sie "schändlich", und sie fragt sich schon auch, wie der Koalitionspartner das rechtfertigen kann.

Dass die Aufregung über das Kükenschreddern derart explodiert ist, hat auch die Grünen überrascht. Es hätte andere, auch wichtige Themen gegeben, bei denen man den Grünen den gleichen Vorwurf machen hätte können: dass sie bei Anträgen der Opposition zu Menschenrechtsfragen, zur Aufnahme von Flüchtlingen oder im LGBTQI+-Bereich nicht mitgestimmt haben. Aber einen Shitstorm wie beim Kükenschreddern hat El-Nagashi noch nicht erlebt. Und sie ist als Sprecherin auch für Integrations- und Diversitätspolitik einiges gewohnt.

Öffentlicher Druck

Selbst wenn mit der ÖVP jetzt ein Verbot des Kükenschredderns beschlossen werden kann, ist das Thema für El-Nagashi nicht erledigt. Sie verweist auf den SPÖ-Antrag, der viel weitreichender ist. Dort geht es um ein Ende des Tötens männlicher Küken aus wirtschaftlichen Gründen, das geht also über das Schreddern hinaus und würde auch die Tötung durch Gas inkludieren. El-Nagashi findet das gut, bedauert aber: "Mit der ÖVP war das einfach nicht zu vereinbaren." Sie will weiter Druck machen und Überzeugungsarbeit leisten. "Das braucht Zeit, viele Gespräche und Vereinbarungen. Das braucht auch den öffentlichen Druck. Die Koalition ist tägliches Verhandeln."

Plötzlicher Liebesentzug

Mit dem auf Twitter und Facebook kommunizierten Liebesentzug tut sich El-Nagashi sichtlich schwer. "Die Grünen sind nachweislich die Partei, der Tierschutz ein großes Anliegen ist, das praktizieren wir seit Jahren sehr überzeugend. Und von einem Tag auf den anderen sind wir in Ungnade gefallen, weil wir einem SPÖ-Antrag nicht zugestimmt haben?" Der SPÖ muss man in dieser Frage jedenfalls ein gutes Marketing zugestehen.

El-Nagashi: "Wir werden weiter die Unterschiede zwischen der ÖVP und den Grünen klar benennen. Und dabei auch das betonen, wofür wir stehen." Das sei der Tierschutz, ebenso wie Menschenrechte und der Klimaschutz. "Ja, die aktuelle Regierungskonstellation gibt dafür nicht viel her. Aber wir haben nicht aufgegeben."

Michel Reimon versteht Zorn und Frust

Ganz ähnlich argumentiert ihr grüner Abgeordnetenkollege Michel Reimon, der unlängst auf Twitter einen virtuellen Tobsuchtsanfall hatte und seinem Ärger über die ÖVP freien Lauf ließ: "Der eine beschimpft Aktivistinnen, der Zweite stört JournalistInnen, und der Dritte sabotiert überhaupt gleich den Zugang der Justiz zu Beweismitteln. Und da soll man hinschmeißen und denen die Republik überlassen? Ich versteh Zorn und Frust. Hab ich ja selbst. Aufgeben versteh ich nicht."

Wutanfall: Grünen-Abgeordneter Michel Reimon will nicht gegen den Koalitionspartner ÖVP stimmen, auch wenn das oft schmerzt.
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Dass die Opposition versucht, die Grünen mit verlockenden Parlamentsanträgen aufs Glatteis zu führen, versteht Reimon, die Grünen würden das ebenso machen. Ein Gutes habe das Ganze ja: Immerhin würden wichtige Themen transportiert und blieben so an der Öffentlichkeit. Gegen den Koalitionspartner ÖVP zu stimmen kommt für ihn aber nicht infrage, auch wenn das oftmals schmerzt. Der Grüne nennt als Beispiel den Antrag der Opposition, die Regierungsgebäude mit Regenbogenfahnen zu beflaggen, ein grünes Kernanliegen. Die Grünen stimmten nicht mit, aus Koalitionsräson. Reimon: "Ich hätte gerne für die Regenbogenbeflaggung der Ministerien gestimmt. Dazu hätten wir nur die gegenseitige Bindung mit der VP aufheben müssen. Die hätte das sofort gemacht, in der Sekunde. Denn Grün-Rot-Pink hätte trotzdem keine Mehrheit gehabt, also keine Beflaggung. Und dann hätten sie mit der FP mehrere Anträge ein- und durchgebracht, vor allem im Bereich Migration/Asyl/Menschenrecht. Bei aufgehobener Bindung hätten sie die Mehrheit. Das würde beschlossen, die Beflaggung nicht. Also werde ich den Teufel tun und diese Bindung aufheben."

Auch Ewa Ernst-Dziedzic geriet in Erklärungsnotstand

Ewa Ernst-Dziedzic, die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, geriet bei einem anderen Thema in Erklärungsnotstand, gerade in ihrer Community. Ernst-Dziedzic ist mit einer Frau verheiratet, sie ist seit Jahren eine engagierte Kämpferin für die Rechte gleichgeschlechtlich liebender Menschen – und stimmte mit anderen Grünen im Parlament nicht für das Levelling-up. Dabei geht es um die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes: um das Diskriminierungsmerkmal "sexuelle Orientierung" beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen.

Erklärungsnotstand: Ewa Ernst-Dziedzic, stellvertretende Klubobfrau der Grünen, musste auch beim Thema Diskriminierungsschutz Rückschläge wegstecken.
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Ein Thema, für das sich Ernst-Dziedzic in der Vergangenheit starkgemacht hatte, doch es war diesmal ein SPÖ-Antrag. "Ja, es stimmt, die Grünen haben es leider nicht geschafft, das Levelling-up in den Verhandlungen mit der ÖVP durchzusetzen", bedauert sie. "Eine jahrzehntelange Forderung der Grünen bleibt damit unerfüllt." Sie habe das Thema mehrfach mit der ÖVP verhandelt, sei schon knapp an einer Lösung gewesen, scheiterte aber an der "massiven Blockade der ÖVP", wie sie selbst sagt.

Nichts schönreden

Gegen die ÖVP zu stimmen sei keine Option. "Selbst wenn wir für das Levelling-up stimmen würden: Es gibt im Nationalrat derzeit keine Mehrheit für das Levelling-up. Die Grünen und die SPÖ haben gemeinsam keine Mehrheit. Würden wir im Nationalrat also für das Levelling-up stimmen, hätten wir trotzdem keinen Erfolg in Bezug auf die Umsetzung des Levelling-ups. Gleichzeitig würden wir der ÖVP den Weg freimachen, um Anträge gemeinsam mit der FPÖ abzustimmen – gemeinsam hätten FPÖ und ÖVP eine Mehrheit." Das könnten die Grünen nicht verantworten. Ihr Resümee: "Wir wollen nichts schönreden: Es ist bedauerlich." (Michael Völker, 25.6.2020)