Ein Girokonto dient der Abwicklung von Zahlungsverkehr und erfüllt nicht den Zweck der Anlage wie ein Sparprodukt.

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Viele warten auf eine Wende in der Zinspolitik. Doch aufgrund der Corona-Krise ist damit in absehbarer Zeit nicht zur rechnen. Negativzinsen könnten zur "neuen Normalität" werden. Das hat auch Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung mit Bankkunden.

Unmittelbar vor Ausbruch der Pandemie in Österreich hatte der Oberste Gerichtshof erstmals Negativzinsen eines Unternehmenskredits zu beurteilen. Eine Stadtgemeinde wollte aus der sogenannten Zinsgleitklausel ihrer Kreditvereinbarung eine Verpflichtung der Bank zur Bezahlung von Negativzinsen ableiten. Weniger die Details der komplexen Zinsgleitklausel waren entscheidungsrelevant als die eigentliche Natur des Kreditvertrags.

Üblicherweise gehen die Vertragsparteien eines Kreditvertrags davon aus, dass der Kreditnehmer für das zur Verfügung gestellte Kapital ein Entgelt, also Zinsen, zu leisten hat. Das Höchstgericht definierte die Grenze der Weitergabe negativer Leitzinsen daher dort, wo am Ende der Kreditgeber etwas zahlen müsste. Ein derartiges Verständnis entspreche nicht dem Wesen des Kreditvertrags. Sehr wohl denkbar ist aber auch bei Unternehmenskrediten ein Nullzinssatz, abhängig von der individuellen Vertragsgestaltung (OGH 26.2.2020, 1 Ob 16/20i).

Auch auf der Guthabenseite haben sich Gerichte mit Negativzinsen beschäftigt. So hat der OGH 2009 das Wesen der Spareinlage daran festgemacht, dass angelegtes Geld sich vermehren oder doch zumindest erhalten bleiben soll. Negativzinsen würden dem diametral widersprechen. Sparer sollen nicht weniger zurückbekommen, als sie eingezahlt haben.

Wesen des Girogeschäfts

Offen ist die Frage der Behandlung von Negativzinsen auf Girokonten. Ob sich die Haltung des OGH zu Spareinlagen auch hier so einfach umlegen lässt, ist fraglich. Denn ein Girokonto dient der Abwicklung von Zahlungsverkehr und erfüllt nicht den Zweck der Anlage wie ein Sparprodukt.

Negativzinsen stehen daher nicht grundsätzlich im Widerspruch zum Wesen des Girogeschäfts. Denkt man die dogmatische Betrachtung des Höchstgerichts zu Sparbuch und Kreditvertrag konsequent weiter, sind Negativzinsen auf Girokonten also denkbar.

In der Praxis werden einzelnen Großkunden bereits Negativzinsen verrechnet. In Deutschland werden auch Privatkunden in Form von Verwahrungsentgelten zur Kasse gebeten. Dieser Trend kann sich durch das Andauern von Corona durchaus verstärken.

Gerade zum Durchstarten nach der Krise werden Unternehmen ausreichend Liquidität benötigen, und das nicht nur vom Staat. Beobachter rechnen aufgrund der angespannten Wirtschaftslage bereits jetzt mit dem Anstieg von Aufschlägen auf den Leitzinssatz. Das wird die praktische Relevanz von Negativzinsen bei neu vergebenen Kreditverträgen wohl verringern. Anders ist dies allerdings bei Einlagen auf Girokonten, dort wird dieses Thema wohl an Bedeutung gewinnen. (Ivo Deskovic, Martina Stranzinger, 25.6.2020)