42,4 Prozent der Ischgler haben Antikörper gegen Sars-CoV-2.

Foto: APA

Innsbruck – 42,4 Prozent der Bewohner des Tiroler Wintersportorts Ischgl haben bereits Antikörper gegen Sars-CoV-2 entwickelt. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung durch das Institut für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck, das am Donnerstag präsentiert wurde. Der Anteil der positiv auf Antikörper Getesteten liegt damit etwa sechsmal höher als die Zahl der zuvor mittels PCR-Test positiv Getesteten, erklärte Studienleiterin Dorothee von Laer. Das sei der höchste Wert, der bisher gemessen wurde, hieß es bei der Präsentation der Studie.

Die Virologin Dorothee von Laer gibt Auskunft über das Studiendesign und die Sars-CoV-2-Antikörper-Testungen in der Tiroler Gemeinde Ischgl, die Ende April vorgenommen wurden.
Medizinische Universität Innsbruck

Für die Studie wurden Ende April 1.473 Personen, also 79 Prozent der gesamten Ischgler Bevölkerung, auf freiwilliger Basis getestet. 214 Personen waren Kinder. Bei den unter 18-Jährigen verfügen laut den Ergebnissen nur 27 Prozent über Antikörper. Warum die Infektionsrate bei Kindern um rund ein Drittel geringer ist als bei Erwachsenen, können die Forscher nicht mit Sicherheit sagen, wie Peter Willeit, Epidemiologe an der Innsbrucker Uni-Klinik, erklärte: "Ähnliche Ergebnisse waren bei Studien in Genf und Gröden zu beobachten. Einerseits sind Kinder wohl besser abgeschirmt, andererseits könnte es auch am Immunsystem der Kinder liegen, das vielleicht anders reagiert."

Großteil der Infektionen blieb unentdeckt

85 Prozent aller getesteten Personen haben die Infektion unbemerkt durchgemacht, also ohne positiv auf das Virus getestet worden zu sein. Wobei etwa die Hälfte dieser 85 Prozent tatsächlich einen asymptomatischen Verlauf aufwies. Die andere Hälfte berichtete im Nachhinein von typischen Symptomen wie etwa dem vorübergehenden Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns.

Trotz der hohen Seroprävalenz von 42,4 Prozent könne auch in Ischgl nicht von einer Herdenimmunität ausgegangen werden, sagen die Forscher. Ob und wie gut die Bevölkerung des Wintersportorts nun vor einer erneuten Infektion geschützt ist, müsste mit weiteren Tests zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden. Was man sagen kann, so Studienleiterin von Laer: "Durch die Anfang März gesetzten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, wie die Schließung der Après-Ski-Lokale, wurde ein drastischer Abfall der Neuinfektionen erreicht."

Virus in zweiter Februarhälfte in Ischgl

Rückschlüsse auf die ersten Fälle in Ischgl lassen sich nur bedingt ziehen, so die Wissenschafterin. "Nach menschlichem Ermessen" könne man sagen, dass das Virus in der zweiten Februarhälfte wohl bereits in Ischgl grassiert haben muss. Allerdings erkannte der überwiegende Teil der Betroffenen offensichtlich nicht, dass sie sich infiziert hatten. Es gibt allerdings asservierte Proben, etwa Abstriche, aus dem Ort vom Jänner und Februar von Menschen, die sich wegen anderer Erkrankungen hatten testen lassen. Nun versuchen die Forscher, mittels Ethikvotum die Erlaubnis zu erhalten, diese alten Proben zu untersuchen.

Bemerkenswert ist, dass trotz der hohen Durchseuchung in Ischgl nur neun Personen im Spital behandelt werden mussten, davon eine auf der Intensivstation. Zwei Personen sind in Ischgl am Coronavirus verstorben, somit liegt die Fallsterblichkeit bei 0,26 Prozent. Für Studienleiterin von Laer ist das mitunter dem Umstand geschuldet, dass in Ischgl wohl viele Fälle, die andernorts in Spitalsbehandlung geschickt worden wären, zu Hause behandelt wurden: "Die Ischgler sind offenbar zäher als andere."

Aufwendiges Testverfahren

Bei den Tests wurden sowohl Blutproben für eine Untersuchung auf Antikörper genommen als auch der herkömmliche Rachenabstrich durchgeführt, mit dem festgestellt wird, ob eine Person aktuell mit dem Virus infiziert ist. Zudem wurde mittels Fragebögen die Krankheitsgeschichte der Getesteten erhoben. Das Testverfahren war sehr aufwendig, bis zu vier Antikörpertests wurden vorgenommen, um "falsch-positive Ergebnisse" auszuschließen.

Im Fokus der Studie stand außerdem die Anwendungssicherheit der Testverfahren zur Feststellung von Antikörpern. Diese Eiweißmoleküle, sogenannte Immunglobuline, werden vom Immunsystem zur Bekämpfung von Krankheitserregern und anderen Fremdstoffen gebildet. "Um die Sars-CoV-2-spezifischen Immunglobuline IgA und IgG im Blut nachweisen zu können, haben wir ein dreistufiges Verfahren mit maximaler Sensitivität und praktisch 100 Prozent Spezifität etabliert", beschreibt von Laer die neue Teststrategie. Dabei wurden zwei hochsensitive Elisa-Tests (Immunassay-Verfahren, das auf einer enzymatischen Farbreaktion basiert) eingesetzt, deren negative Ergebnisse als endgültig negativ beurteilt wurden. Übereinstimmend positive Ergebnisse wurden als "Hinweis auf eine zurückliegende Infektion mit Sars-CoV-2" beurteilt. War nur ein Elisa-Test positiv, der andere negativ, wurde zur weiteren Abklärung ein Neutralisationstest durchgeführt.

Die Frage der Immunität, also wie lange Träger von Sars-CoV-2-Antikörpern vor einer Infektion geschützt sind, ist auch mit dieser Studie nicht aufgeklärt. "Es wäre sicher sinnvoll, die Ischgler Kohorte weiterhin zu begleiten und die Seroprävalenz zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu untersuchen", sagt der Rektor der Innsbrucker Med-Uni, Wolfgang Fleischhacker.

Mehr Infektionen auch in den USA

In den USA haben sich nach Schätzungen der Gesundheitsbehörde CDC wohl ebenfalls rund zehnmal mehr Menschen mit dem Coronavirus infiziert als bisher bekannt. "Für jeden Fall, den wir verzeichnet haben, gab es wahrscheinlich zehn weitere Infektionen", sagte CDC-Direktor Robert Redfield bei einer telefonischen Pressekonferenz am Donnerstag.

Das sei vor allem auf asymptomatische Infektionen zurückzuführen und darauf, dass in den USA in den ersten Monaten des Ausbruchs deutlich weniger getestet worden sei als jetzt. "Mit den Methoden, die wir im April und Mai benutzt haben, haben wir wahrscheinlich rund zehn Prozent der Infektionen verzeichnet." Die Behörde gibt derzeit für die USA mehr als 2,3 Millionen bekannte Corona-Infektionen an – mehr nachgewiesene Fälle als jedes andere Land der Welt. Mehr als 121 000 Menschen starben laut CDC infolge einer Covid-19-Erkrankung. (red, ars, 25.6.2020)