Zivilcourage zeichnet sich dadurch aus, dass man auch selbst zu Schaden kommen kann. Das musste der Sportartikelhersteller Nike im Jahr 2018 erfahren, als nach einer Werbeaktion zum 30-jährigen Firmenjubiläum die Aktienkurse um drei Prozent fielen. Nike hatten Colin Kaepernick zum Gesicht der Kampagne gemacht, jenen NFL-Quarterback, der nach Protest-Kniefällen gegen Rassismus während der US-Hymne seit 2017 keinen Job in der US-Footballliga mehr bekam. Gegner der Werbelinie verbrannten in Social-Media-Clips ihre Schuhe, die Börse verlor auch daher Vertrauen in die Marke.

Ganz anders 2020. Als nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd landesweite Proteste losbrachen, überboten sich viele Unternehmen mit öffentlichen Bekundungen ihrer Solidarität. Der Kampfruf "Black Lives Matter" prangte auf der Homepage zahlreicher Firmen. Banken spendeten an Organisationen gegen Polizeigewalt. Die Firma Lego stoppte Werbung für ihre Polizeifiguren, das Kosmetikunternehmen L'Oreal stellte das transsexuelle schwarze Model Munroe Bergdorf wieder ein, dem das Unternehmen 2017 nach Social-Media-Postings gegen den Aufmarsch Rechtsradikaler in Charlottesville gekündigt hatte. Apple, Spotify und Tiktok ergänzten am 2. Juni zum Blackout Tuesday, einem Aktionstag im Rahmen der Proteste, beliebte Podcasts mit 8 Minuten und 46 Sekunden Schweigen. Das sollte an die Dauer des Todeskampfs von George Floyd erinnern.

Viele Unternehmen reagieren auf die Black-Lives-Matter-Proteste mit solidarischen Aktionen.
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Diese Reaktionen legen nahe: Es hat sich etwas verschoben in der Gesellschaft. Zwar wirft US-Präsident Donald Trump Aktivisten noch immer das Kapitalverbrechen des Verrats vor. Doch Firmen empfinden es nun nicht mehr als bedrohlich für ihre Einkünfte, Stellung gegen Rassismus zu beziehen. Sie erkennen es vielmehr als nötig, um nicht Kunden zu vergraulen – und als eine Aktion, die man durchaus auch in die Auslage stellen kann.

Glaubwürdiges Umdenken fraglich

Doch wie viel davon ist tatsächliches Umdenken, wie viel von Dauer – und wie viel nur PR und schnell vergänglich? Ist grundlegender Wandel wirklich glaubwürdig, wenn er etwa von Unternehmen kommt, die über Jahrzehnte rassistische Stereotype festigten? Klar scheint: In vielen Firmen geht es jedenfalls nicht nur um klassische Werbung. Der Wandel betrifft auch interne Prozesse, etwa bei der Einstellung von Personal oder beim Warenangebot. Walmart will in Zukunft darauf verzichten, bei Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern beliebte Schönheitsprodukte aus angeblicher Angst vor Ladendiebstahl in verschlossenen Vitrinen zu lagern. Dabei handelte es sich unter anderem um spezielle Haarpflegeprodukte. In Medienhäusern gibt es plötzlich Entschuldigungen und personelle Konsequenzen für Headlines wie "Buildings matter, too", die das Leben Schwarzer mit Gebäuden vergleichen.

Auch rassistische Logos werden überdacht: Ein Beispiel, das zuletzt für Aufsehen sorgte, sind die US-Unternehmen Pepsi und Mars. Sie stehen hinter den Marken Uncle Ben's (Mars) und Aunt Jemima (Pepsi). Jedenfalls bisher. Nun kündigten sie an, dass die rassistischen Logos der Vergangenheit angehören sollen. "Plötzlich", muss man auch hier sagen. Denn nicht nur an der klischeehaften Darstellung der Personen gab es schon bisher immer wieder Kritik. Die Anrede als Onkel und Tante stammt aus einer Zeit, als Schwarze nicht mit Mr. oder Mrs. angesprochen wurden, weil sie das auf eine Stufe mit Weißen gehoben hätte. Auch die Firma Band-Aid, die nun triumphal Pflaster in zahlreichen Hauttönen vorstellte, wurde bereits in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass nicht nur weiße Menschen bluten, wenn sie sich schneiden. Einen ersten Versuch mit nichtweißen Pflastern hatte das Unternehmen sogar schon 2005 unternommen. Er wurde nach drei Jahren wieder eingestellt.

Wandel bei NFL und Nascar

Und dann ist da noch der Sport. In der National Football League vollzog sich ebenfalls ein Wandel. "Ich persönlich werde mit euch protestieren", sagte NFL-Boss Roger Goodell Anfang Juni in einer Videobotschaft. Es sei falsch gewesen, nicht schon früher auf die Sportler gehört und sie zu friedlichem Protest ermuntert zu haben, gibt er nun zu. Zur Erinnerung: 2016 war Kaepernick, damals Quarterback der San Francisco 49ers, wegen seines Kniefalls während des Nationalhymne noch massiv angefeindet worden. Seit Anfang 2017 findet Kaepernick keinen Job mehr in der Liga, was mit Druck aus den höchsten Reihen der NFL, Goodell inklusive, zusammenhängt.

Colin Kaepernick wurde vor kurzem wegen seines Kniefalls während des Nationalhymne noch massiv angefeindet.

Vor Beginn der Saison 2018 hatte Goodell gemeinsam mit den NFL-Teambesitzern quasi ein Kniefall-Verbot beschlossen. Er kündigte Strafen für jene Vereine an, deren Spieler während der Hymne nicht stehen. Die gleichzeitige Erlaubnis, die Spieler dürften sich stattdessen aber in der Umkleide aufhalten, vermittelte weniger ein Entgegenkommen als ein Verbot des öffentlichen Protests: Im stillen Kämmerchen, ohne Kameras, war er erlaubt. Und damit wirkungslos. Nachdem Kaepernick nun dreieinhalb Jahre lang in keinem Profi-Team mehr gespielt hat und fraglich ist, ob er überhaupt noch mit den Spitzenquarterbacks der Liga mithalten kann, ermutigt Goodell selbst Teams dazu, den 32-Jährigen zu verpflichten.

Nun ist Colin Kaepernick ein Symbol der Black-Lives-Matter Demonstrationen.
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Etwa 60 Prozent aller NFL-Profis sind schwarz. Zwar nimmt dieser Anteil ab, je prominenter die Funktion im Team wird. Auf der wichtigsten und anspruchsvollsten Position des Quarterbacks liegt er bei knapp 20 Prozent. Aber immerhin: Schwarze Menschen sind dort nicht die Ausnahme. Dieses Faktum teilt die Liga mit der britischen Premier League, die mit "Black Lives Matter"-Schriftzügen statt Namen auf den Trikots aus der Corona-Pause zurückkehrte.

Südstaatenflaggen bei Nascar-Rennen

Es unterscheidet sie aber von einem anderem Sportunternehmen, das dieser Tage einen denkbar weiten Weg in Richtung Antirassismus beschreitet. Die Motorsport-Serie Nascar galt lange als Inbegriff eines Lebensstils, dessen meist weiße Anhänger oft aus dem Süden der USA stammen. Sie begeistern sich für streng konservative Politik – und allzu oft auch für nur wenig verdeckt zur Schau getragenen Rassismus. Jahrelang hatte die Serie dieses Image gepflegt, in TV-Übertragungen stolz Fantribünen präsentiert, auf denen die Südstaatenflaggen wehte. 2016 unterstützte Nascar-Chef Brian France Trump schon im republikanischen Vorwahlkampf. Erst Ende Februar nutzte der US-Präsident noch die Saisoneröffnung in Daytona, Florida, um vor 100.000 Fans zumindest inoffiziell in den Wahlkampf zu starten.

Der einzige schwarze Nascar-Fahrer Bubba Wallace mit einem T-Shirt, das an die letzten Worte des getöteten Afroamerikaners George Floyd erinnert.
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Dann kam Corona und eine Rennpause, und dann wurde George Floyd getötet. Als die Serie danach am 7. Juni am Atlanta Motor Speedway, Georgia, Station machte, präsentierte sie Fans ein ungewöhnliches Schauspiel. Nach einer Einführungsrunde vor dem Start wurde das Feld zu einer Schweigeminute angehalten, Serien-Präsident Steve Phelps funkte den Fahrern danach eine Rede ins Cockpit, die auch im Fernsehen zu hören war. Er sagte, auch Nascar müsse "mehr tun", um gegen Rassismus und Ungerechtigkeit anzukämpfen. Ein konkreter Schritt folgte kurz danach. Die Nascar verbot Fans, künftig die Südstaatenflagge zu Rennen mitzubringen. Bubba Wallace hatte dies zuvor auf CNN gefordert. Er ist der einzige schwarze Fahrer unter insgesamt 49, die heuer an mindestens einem Rennen teilgenommen haben. Zum nächsten Rennen trat Wallace mit einem Auto an, auf dem der "Black Lives Matter"-Schriftzug zu lesen und zwei ineinander verschränkte weiße und schwarze Hände zu sehen waren.

Verantwortung bleibt

Die Motive hinter all dem bleiben freilich unklar. Nicht alles wirkt wirklich ehrlich. Marken kennen Umfragen, Sportserien sind auf Werbegelder angewiesen. Vieles kommt zudem eindeutig zu spät. Die Gesten entlassen die Unternehmen vor allem nicht aus der Verantwortung, jahrelang wider besseres Wissen falsch gehandelt haben. Doch: Ist es nicht besser spät als nie? Und zeigt es nicht auch, dass in der Gesellschaft plötzlich andere Dinge sagbar sind (und andere Dinge nicht sagbar sind) als vor zwei oder drei Jahren? Wenn dies durch die PR von Großkonzernen zustande kommt oder von Sportserien, die fürchten, dass ihnen sonst die Sponsoren abspringen, ist das zwar vielleicht unehrlich. Aber eine Gesellschaft, der Rassismus bewusst ist und die sich aktiv dagegen positioniert, ist dennoch in vielerlei Hinsicht eine bessere. Wenn das alles denn anhaltend ist.

Das Beispiel Nike jedenfalls gibt Hoffnung. Nach den Protesten und dem Kursverlust meldete die Schuhmarke 2018 einen deutlicher Anstieg ihrer Verkäufe. Sie hat sich vom damaligen Echo nicht abschrecken lassen. Auch heuer spendete sie 40 Millionen Dollar, die der schwarzen Community in den USA zugutekommen sollen. Kritik bleibt dennoch bestehen. Etwa daran, dass weniger als zehn Prozent der weltweiten Nike-Führungsriege schwarz sind.

Eine Nike-Werbung mit Colin Kaepernick im Jahr 2018. "Glaub an etwas, auch wenn es bedeutet, alles zu opfern", ist darin zu lesen.
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Auch die Nascar hat auf dem Weg zum Kulturwandel noch einen langen Weg vor sich. Wütende Fans wollen weder die Rede Phelps' begrüßen noch sich mit dem Flaggenverbot zufriedengeben. In der Box von Bubba Wallace fand ein Mitarbeiter beim Rennen letztes Wochenende in Talladega ein Seil in seiner Box, das er für einen Galgenstrick hielt. Dem widersprachen Ermittler, sie halten den Tau für einen Garagengriff. Was wiederum Wallace nicht glaubt. Nicht wegzudiskutieren ist hingegen ein Flieger, den verärgerte Aktivisten gemietet hatten und der über der Rennstrecke kreise. Er zog das Transparent einer Südstaatenflagge hinter sich her. Und einen Appell: "Defund Nascar" ist dort zu lesen, die Forderung nach Geldentzug für die Rennserie. Sollte das wirklich passieren, wird sich zeigen, wie es dort um die Zivilcourage bestellt ist. (Manuel Escher, Noura Maan, 26.6.2020)