Im Kreativsektor verblieben laut Modellrechnung lediglich zehn Prozent der Beschäftigten in regulärer Beschäftigung, 85 Prozent für fünf Monate in Kurzarbeit, fünf Prozent wurden arbeitslos.

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Wien – Auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro schätzt eine neue Wifo-Studie die ökonomischen Schäden in der heimischen Kulturwirtschaft im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise bis zum Jahresende. Basis dafür ist die Ermittlung der direkten und indirekten Wertschöpfungsketten des (erweiterten) Kultursektors von rund 9,8 Milliarden Euro. Das sind rund 3 Prozent der österreichischen Wertschöpfung.

Bis Ende des Jahres rechnen die Studienautoren im Kultursektor aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sowie deren Folgen mit Einbrüchen von 21 bis 28 Prozent. Ein Blick auf die Beschäftigten zeigt: Betroffen sind von diesen Einschnitten rund 150.000 selbstständig und unselbstständig Beschäftigte.

Vor den Auswirkungen auf die Arbeitnehmer wird in der Studie ausdrücklich gewarnt: Es bestehe das Risiko einer "Zweiklassengesellschaft" in vielen kulturnahen Bereichen aufgrund der unterschiedlichen Art der Absicherung im staatsnahen versus dem freien Bereich. "Werden diese im Kunst- und Kulturbereich Tätigen nicht adäquat aufgefangen, so besteht die Gefahr, dass sie im Fall des Zusammenbruchs der Kulturszene infolge der Krise das Land verlassen oder sich Jobs in anderen Bereichen suchen und dadurch langfristig erheblich größerer Schaden entsteht als der unmittelbar durch die aktuelle Krise verursachte." Während in der Gesamtwirtschaft (ohne Land- und Forstwirtschaft) lediglich 9,4 Prozent selbstständig tätig sind, beläuft sich dieser Wert im Kultursektor auf rund 27 Prozent, im Bereich der Bildenden Künste sogar auf rund 75 Prozent.

Problemkind Kreativsektor

Im Sektor der "Kreativen", zu dem "künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten" zählen, würden sich lediglich 15 Prozent des Produktionswerts aus staatlichen Basisabgeltungen zusammensetzen. Während des Lockdowns sei es zu einem "vollständigen Ausfall der Erlöse" gekommen, nach dessen Ende nimmt man einen Rückgang der Nachfrage bei im Inland wohnenden Besuchern von 25 bis 40 Prozent an, bei ausländischen Besuchern gar zwischen 75 und 85 Prozent. In diesem Bereich verbleiben laut Modellrechnung lediglich zehn Prozent der Beschäftigten in regulärer Beschäftigung, 85 Prozent für fünf Monate in Kurzarbeit, fünf Prozent wurden arbeitslos. Ähnliche Werte ergeben sich auch für die Bereiche Bibliotheken und Museen sowie für die Filmwirtschaft.

Für die Berechnungen unterschieden die Studienautoren den "Kernbereich" (u. a. Verlagswesen, Filmwirtschaft und darstellende und bildende Künste sowie deren Vermittlung) und den "erweiterten Kultursektor", in dem auch Branchen wie Architekturbüros, Übersetzer oder Ateliers für Grafik- oder Schmuckdesign berücksichtigt werden. Allein im Kernbereich ist eine direkte Wertschöpfung von 4,7 Milliarden Euro ausgewiesen, durch den erweiterten Bereich kommen 2,5 Milliarden hinzu. Zählt man die indirekte Wertschöpfung dazu (unter anderem Zulieferungsleistungen), ergeben sich rund 9,8 Milliarden Euro, wobei regionale Unterschiede bemerkenswert sind: Ein beträchtlicher Teil entfällt auf Wien. Während der Kultur-Anteil an der Wertschöpfung etwa in Kärnten bei 1,8 Prozent liegt, beläuft er sich in Wien auf 4,9 Prozent. Im Durchschnitt sind es drei Prozent.

Als Empfehlung zum Wiederhochfahren und zur Zeit danach spricht sich das Wifo aufgrund der engen Verflechtung von Kultur und Tourismus für eine "kohärente Planung" und ein "abgestimmtes Vorgehen" aus, um durch Flaschenhälse des einen Bereichs "nicht den Erfolg der Maßnahmen im anderen Bereich zu gefährden". Abschließend geben die Studienautoren eine Handlungsempfehlung an die Kulturpolitik ab: Diese müsse – wie andere Politikbereiche auch – "in der gegenwärtigen Krise umso mehr als ein adaptionsbereites, 'lernendes System' aufgesetzt werden, was ein permanentes Monitoring voraussetzt".

Konkret wird auf die Schweiz verwiesen, wo ein Paket von 286 Millionen Franken (268 Millionen Euro) aufgesetzt wurde, mit dessen Hilfe alle Einnahmenausfälle in der Kunst- und Kulturszene bis Ende August ersetzt werden sollen. In Deutschland würde der Bund derzeit Ausfallhonorare gewähren, "auch wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung nicht existiert". Auf längere Sicht würde die Studie auch "die Notwendigkeit einer Verbesserung der Datenbasis als Grundlage für eine evidenzbasierte Kulturpolitik" verdeutlichen, "die sowohl nichtökonomische als auch die ökonomischen Dimensionen des Kultursektors abzubilden vermag". (APA, 25.6.2020)