Das standhafte Eckhaus in der Radetzkystraße in Wien-Landstraße soll zumindest wieder ein Dach bekommen.

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Anstatt des früheren Gasthaus Sperl ist in der Karolinengasse in Wien-Wieden ein Wohnhaus geplant.

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An der Mariahilfer Straße 166-168 wird die "Stadtoase" entstehen.

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Wäre alles nach Plan gelaufen, dann wäre das Haus in der Radetzkystraße 24–26 im dritten Wiener Gemeindebezirk längst aus dem Stadtbild verschwunden und durch einen Neubau ersetzt worden. Von jenem Eckhaus, Baujahr 1847, in dem früher das legendäre Kaffee Urania untergebracht war, würde heute niemand mehr sprechen. Aber das weiterhin bewohnte Haus steht immer noch.

Vor genau zwei Jahren trat in Wien eine Gesetzesänderung in Kraft, mit der alte Häuser mit Baujahr vor 1945 besser geschützt werden sollen. Bis zu dieser Bauordnungsnovelle war keine Bewilligung für einen Abbruch nötig, zumindest außerhalb einer Schutzzone. Seit 1. Juli 2018 muss die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) überprüfen, ob öffentliches Interesse am Erhalt besteht.

Die Ankündigung dieser Neuerung versetzte manche Hausbesitzer in Panik. In den Tagen und Wochen vor dem Inkrafttreten brach in Gründerzeitvierteln ein regelrechter Abrissboom aus. Abbruchfirmen hatten plötzlich so viel zu tun, dass ihnen die Arbeitsgeräte ausgingen. Anfang Juli stellte die Baupolizei (MA 37) die Abbrüche ein. Das sorgte für Empörung in der Immobilienbranche, kurzfristig weniger Arbeit für Abbruchunternehmen und viel Arbeit für Richter und Anwälte.

Wohnhaus geplant

Die meisten Häuser, deren drohende Abbrüche vor zwei Jahren für Aufregung gesorgt hatten, durften letztendlich trotzdem abgerissen werden. Beim früheren Gasthaus Sperl in der Karolinengasse in Wien-Wieden fuhren vor einem Jahr die Bagger vor. Schon zuvor war vom zweistöckigen Gründerzeithaus nur eine Ruine übrig gewesen. Nun ist die Liegenschaft von einem Bauzaun umgeben. Zu den weiteren Plänen hält sich der Eigentümer bedeckt. Es habe Corona-bedingte Verzögerungen gegeben, lässt er dem STANDARD ausrichten. Geplant ist hier jedenfalls die Errichtung eines Wohnhauses.

Auch in der Mariahilfer Straße 166–168 im 15. Bezirk fährt demnächst mit zwei Jahren Verspätung doch noch der Abrissbagger auf: Der Eigentümer, die Avoris GmbH, hatte ursprünglich vor, nach dem gestoppten Abbruch eine Sanierung und einen Dachgeschoßausbau anzugehen. Nun wird das Gebäude einem Neubau weichen, wie Unternehmenssprecher Christian Sageder bestätigt. Man habe sich mit den Gewerbemietern im Erdgeschoß – einem Uhrmacher und einer Gastronomin – auf "großzügige Ablösezahlungen" geeinigt. Jetzt würden alle Genehmigungen vorliegen, und die Anrainer seien informiert. Der Abbruch soll in den kommenden zwei Wochen starten. Hier soll das Projekt "Stadtoase" mit 50 Eigentumswohnungen und Geschäften im Erdgeschoß entstehen.

Verfallende Häuser

Bleibt die Frage, ob der Plan der Politik, Häuser mit Geschichte besser zu schützen, aufgegangen ist. Markus Landerer, Obmann der Initiative Denkmalschutz, ist skeptisch. Die Abrissstopps seien "offenbar sinnlos" gewesen: "Fast alle Gebäude sind bereits abgebrochen, die wenigen, die noch stehen, werden abgebrochen."

Landerer ortet das Problem, dass viele Häuser, die laut MA 19 eigentlich erhaltungswürdig wären, dem Verfall preisgegeben werden – um sie dann aus wirtschaftlichen Gründen abreißen zu können. Landerer zählt zahlreiche Häuser in der ganzen Stadt auf, die dadurch gefährdet seien.

Die Abbruchbranche hat ihre Arbeit jedenfalls längst wieder aufgenommen. Allerdings bemerkt Nikola Prajo vom gleichnamigen Unternehmen durchaus eine Veränderung: Bei Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, seien die Abbrüche tatsächlich zurückgegangen. Bauträger hätten mittlerweile aber Alternativen zu den Gründerzeithäusern gefunden – und würden nun eben vermehrt Hallen, Garagen und Industrieanlagen in innerstädtischen Lagen abreißen lassen.

Frist von acht Monaten

Bei der Baupolizei weiß man aus dem Vorjahr von zwölf Abbruchbewilligungen für ganze Häuser. Vor der Novelle seien es 120 Abbrüche pro Jahr gewesen. Allerdings sind die Zahlen nicht ganz vergleichbar: Denn wenn die MA 19 einem Gebäude keine Erhaltungswürdigkeit bescheinigt, darf es ohne Bewilligung abgerissen werden – und fällt aus der Statistik.

Mit der eingangs erwähnten Radetzkystraße 24–26 hat sich vor wenigen Wochen sogar der Oberste Gerichtshof (OGH) befasst und die Entscheidungen von Bezirksgericht und Landesgericht bestätigt. Der Eigentümer muss nun innerhalb von acht Monaten das Dach und die Fenster wiederherstellen. Mittlerweile wurden tatsächlich bereits Arbeiten am Haus durchgeführt. Die verbliebenen Mieter befürchten aber, dass es wieder nur bei Provisorien bleiben wird. Das alte Haus, das nicht weichen will, könnte die Gerichte also weiter beschäftigen. (Franziska Zoidl, 27.6.2020)