Fantastische Schanghai-Küche im Jinco an der Rechten Wienzeile, gleich ums Eck von der Kettenbrückengasse.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Jin Cailin ist eine große Nummer im Profi-Poker, laut Google sitzt er bei hochkarätigen Turnieren seit Jahrzehnten mit Weltmeistern am Tisch, auch die Casinos Austria preisen ihn als "Pokergröße" an. Der Mann lebt seit 35 Jahren in Österreich, jetzt hat er mit seinem Spielgeld etwas fürs Gemeinwohl getan und Wien ein Restaurant mit der bisher unterrepräsentierten Schanghai-Küche geschenkt.

Wer sich einen Glitzertempel in Neoprotz vorstellt, liegt falsch. Das Jinco auf der Rechten Wienzeile ist ein schmuckes, aber vergleichsweise bescheidenes Lokal mit offener Küche – und wurde praktisch unverändert vom Vorbetreiber übernommen. Das ist auch der Grund, warum es seit der Eröffnung im Januar noch nicht aufgefallen ist – die Entdeckung ist dem famosen Blog "Kochgenossen.com" rund um den Fotografen Michael Langoth zu verdanken, der dieses Juwel der Schanghai-Küche in Wien vor ein paar Wochen vorgestellt hat.

In der Küche sind allein drei Köche zugange, den Service schupft Mitbesitzerin Juliette Huang gemeinsam mit Jins Ehefrau Qun und Sohn Markus, der aktuell am Modul studiert. Die Speisekarte macht es auf ersten Blick nicht leicht, die Schanghai-Spezialitäten zu identifizieren – ein paar verwestlichte Gerichte wie Mango Chicken oder knusprige Ente schieben sich nämlich ebenso dazwischen wie ein rotes Thai-Curry.

Ein wilder Reigen

Acht Schätze gibt es auch, die stehen aber sehr wohl für die vielfältige, aus allen Ecken des Reiches schöpfende Küche der Zig-Millionen-Metropole: "Ba Bao Lajiang", so der chinesische Name, betört mit saftigem Huhn und Rind, erst frittiertem und dann im Wok gebratenem Tofu, getrockneten und frischen Garnelen, aber auch mit Erdnüssen, frischen Sojabohnen, Shitake-Pilzen und Bambussprossen in einer würzig schillernden, knappen Sauce – ein wilder, exotischer Reigen an Konsistenzen und Geschmäckern.

Cong You Bing, den Klassiker des Schanghai-Streetfood, gibt es natürlich auch, der hauchdünn ausgewalkte Teig mit Jungzwiebeln und Grammeln gefüllt, dann eingerollt und schließlich zu einer Art plattgewalzter Schnecke geformt, um im Schmalz zu einem buchstäblich vielschichtigen, knusprigen Pfannkuchen gebraten zu werden. Dazu gibt es eine salzige, würzige Salsa zum Tunken, will man haben. Auch die vielfältigen, täglich frisch gemachten Wantan sind großartig, ob kalt mit Pak Choi und Schwein gefüllt und mit Erdnusssauce getoppt oder heiß, mit Garnelenfülle, in klarer Algensuppe, oder feurig, mit Huhn, in Erdnuss-Chili-Sauce.

Suppennudeln!

Xiao Long Bao, die berühmten, mit Fleisch und Suppenfond gefüllten Teigtaschen, gelingen hier ganz herausragend (und zum Zungenverbrennen heiß!). Auch betrunkenes Huhn "Zao Lu" sollte man sich nicht entgehen lassen, geradezu bezaubernd aromatische Stücke vom geschmorten – und kühl servierten – Hendl, sehr, sehr gut. Die Suppen mit täglich frisch gemachten (und bissfesten, wirklich bemerkenswert guten) Nudeln sind allesamt empfehlenswert, jene mit geschmortem Schweinedarm, fermentiertem Kohl und Pak Choi sieht nicht nur besonders appetitlich aus (siehe Bild), sie schmeckt auch wunderbar facettenreich.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es lohnt sich, nach tagesaktuellen Spezialitäten zu fragen, mit Glück stehen dann Herrlichkeiten wie die Shengjian-Teigtaschen auf dem Tisch, aufwendige, knusprig gebratene Kunstwerke der Nudelfüllkunst mit berauschend würziger Fülle und festem, elastischem Teig. Oder Schanghai-Frühlingsrollen mit Fleisch, Shitake und fermentiertem Kraut. Oder knusprig frittierte, mit Huhn und Garnele gefüllte Lotuswurzeln. In größerer Runde (geht ja wieder!) zu kommen lohnt sich, dann kann die Bandbreite der Küche ausgelotet – und die eine oder andere Spezialität wie diese im Vorhinein bestellt werden.

(Severin Corti, 26.6.2020)

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