Sanaa Seif geht in Ägypten gegen Ungerechtigkeit auf die Straße.

Foto: Amnesty International

Diese Episode – in einer sehr langen Geschichte – beginnt am Montag, als eine Mutter mit ihren beiden Töchtern vor dem Tora-Gefängnis in Kairo steht. Sie warten auf einen Brief ihres inhaftierten Sohnes beziehungsweise Bruders, des bekannten Aktivisten Alaa Abdelfattah Seif, der sich im Hungerstreik befindet. Laila Soueif, 64, Mathematikprofessorin an der Universität Kairo, und ihre Töchter Mona (34) und Sanaa (26) werden plötzlich von einem Frauenmob attackiert, geschlagen, an den Haaren gezerrt, ihre Kleidung zerrissen.

Die drei verkriechen sich aber eben nicht verschreckt in ihren Häusern. Am nächsten Tag versuchen sie, im Büro des Staatsanwalts den Vorfall zur Anzeige zu bringen. Ein Minibus fährt vor, Sanaa Seif, die jüngste der Frauen, wird wie ein Stück Vieh aufgeladen und verschleppt.

Kampagne der Behörden

Vorgeworfen wird ihr, erfährt man einen Tag später, das Übliche: Verbreiten falscher Nachrichten, Ermutigung zum Terrorismus, Missbrauch sozialer Medien. Die ägyptischen Behörden machen überhaupt kein Hehl daraus, die ganze Familie mundtot machen zu wollen. Vor wenigen Wochen wurde auch die Chefredakteurin von Mada Masr, Lina Attalah, kurzzeitig verhaftet, als sie vor dem Gefängnis Laila Soueif interviewte. Seit dem Ausbruch von Corona versucht die Familie den 38-jährigen Alaa Abdelfattah, eine der Ikonen der Revolution von 2011, die Hosni Mubarak stürzte, zumindest temporär aus dem Gefängnis zu bekommen.

Sanaa Seif hat den Protest gegen die Ungerechtigkeit im Blut. Auch ihr 2014 verstorbener Vater, der Menschenrechtsanwalt Ahmed Seif, war Teil des Kampfes. Sanaas Engagement begann 2010, als sie keine 17 Jahre alt war, in der Bewegung "Wir sind alle Khaled Said": Der Blogger war im Polizeigewahrsam gefoltert und erschlagen worden; sein zur Unkenntlichkeit entstelltes Gesicht war eines der Symbole der ägyptischen Demokratiebewegung.

Seit 2013 der erratische Muslimbruderpräsident Mohammed Morsi gestürzt wurde, sieht der Staat auch die nichtislamistischen Demokratiebewegten als Feinde. Sanaa Seif war 2013 an der Produktion des militärkritischen Films The Square beteiligt. 2014 wurde sie zum ersten Mal verhaftet, in dieses Jahr fällt auch ihr erster Hungerstreik. Offiziell ist sie Studentin, eingeschrieben für Sprachen und Dolmetschen. Ihre Schwester ist Genetikerin, ihr Bruder IT-Ingenieur. Aber längst hat der politische Kampf ihr Leben übernommen. (Gudrun Harrer, 25.6.2020)