Dieser Kommentar wird gerade im Homeoffice auf einem privaten Computer geschrieben. Gelesen wird er womöglich in der U-Bahn auf einem Smartphone, mit dem berufliche E-Mails genauso wie private SMS empfangen werden. Kurzum: Die Digitalisierung hat die Mauern zwischen privater und beruflicher Kommunikation eingerissen. Im Kontext der Spitzenpolitik ist das ein Problem, sowohl für Betroffene als auch für die politische Transparenz.

Das wurde am Mittwoch bei der Befragung von Bundeskanzler Sebastian Kurz im U-Ausschuss deutlich. Als Abgeordnete ihn um SMS-Nachrichten mit Beschuldigten in der Casinos-Affäre baten, gab Kurz an, seine SMS regelmäßig löschen zu lassen.

Teils weil diese privat seien, teils "aus Sicherheitsgründen". Auch sein Kalender weise private Termine auf, dieser sei Teil seiner "persönlichen Notizen". Aber natürlich werde alles, was aufgehoben werden müsse, auch aufgehoben.

Sebastian Kurz löscht seine SMS regelmäßig.
Foto: Heribert Corn

Aber wie soll das überhaupt beurteilt werden? Experten sind sich uneins, sie sehen einen "Ermessensspielraum". Auch bei der Affäre um heimlich geschredderte Druckerfestplatten aus dem Kanzleramt war schon unklar, ob hier nicht archivarische Bedürfnisse verletzt wurden. Regeln sollte diese Materie die Bundesarchivgutverordnung. Ist sie fit für das Jahr 2020?

Zu lesen ist dort, dass "jedes Schriftgut", das beim Kanzler und anderen Spitzenpolitikern "in Ausübung ihrer Funktion oder in deren Büros anfällt", archiviert werden muss. Das Staatsarchiv, nun fest in türkisen Händen, verneint, dass SMS "Schriftgut" sind. Und es stimmt ja, dass Chats in Whatsapp und Co doch mehr der mündlichen, flapsigen Kommunikation als einem nüchternen Briefwechsel ähneln. Wenn Kanzler und Vizekanzler – rein theoretisch – gemeinsam über jemanden lästern, blöde Witze machen oder Privates besprechen: Ist das dann "Schriftgut in Ausübung ihrer Funktion"? Immerhin wird auch nicht jeder "Smalltalk" protokolliert.

Keine Datenschutzbedenken

Doch gerade die türkis-blaue Regierungstruppe dürfte eine sehr hohe Affinität zum Chatten aufgewiesen haben. Nachrichten aus beschlagnahmten Mobiltelefonen zeigen, dass wichtige Postenbestellungen und teilweise auch Gesetzesmaterien digital besprochen wurden. Ganz abseits von Datenschutzbedenken und ihrem Status als Beweismittel in strafrechtlichen Ermittlungen sind diese Chats auch wichtig, um die Geschichte der Republik rekonstruieren zu können.

Wenn alle Minister, der Kanzler und sein Vizekanzler ebenso wie deren Büros regelmäßig alle Chats löschen, dort aber eminent wichtige Inhalte diskutieren – was bleibt, um das Regierungshandeln zu rekonstruieren?

In einer Zeit, in der der Umgang mit dienstlichen E-Mails schon einen US-Wahlkampf geprägt hat (Stichwort Hillary Clinton), wäre von Kanzler Kurz jedenfalls mehr Fingerspitzengefühl zu erwarten gewesen.

Dem Parlament einfach mitzuteilen, man habe seine SMS halt gelöscht oder – wie am Donnerstag Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) – man habe als Minister gar keinen Laptop gehabt: Das ist zu wenig, und das ist auch nicht glaubwürdig, vor allem nach der Schredderaffäre.

Was es jetzt braucht, ist ein klares Regelwerk, das auch vorgibt, dass alle Nachrichten mit Bezug auf Gesetze oder Posten zu archivieren sind. Wenn den Parteien das gelingt, hätte der U-Ausschuss schon seine Meriten. (Fabian Schmid, 25.6.2020)