Ludwig Fels beschreibt die Vertreibung aus dem Paradies.

Foto: Aleksandra Pawloff

Das Glück gibt es nicht, oder es ist immer anders, als man glaubt. Eigentlich wollten Olav und Helen ihren Lebensabend auf einer Insel im Süden verbringen, sich ein Haus kaufen und Europa hinter sich lassen. Das hat einen Grund: Olav war einige Jahre im Gefängnis.

Er ist dazwischengegangen, als er sah, wie ein Mann eine Frau schlug, er hat dem Mann fast den Schädel zerbrochen. Aber er hat die Liebe dieser Frau gewonnen, noch im Gefängnis heiraten sie. Offenbar meint es das Glück mit ihnen gut, Helen macht eine Erbschaft, mit dem Geld lässt sich ein neues Leben anfangen. Denn: "Wieviele Jahre haben wir noch?"

Das ist die Vorgeschichte, sie wird in knappen Auszügen mehr angerissen als erzählt, aber sie ist den ganzen Roman über präsent, obwohl es nicht das vor Jahren Geschehene ist, das die Handlung erschüttert und zum Kippen bringt.

Im Prospekt der Immobilienfirma sah alles noch so schön aus: "Zifere Island, Insel der Inseln". Im Internet hat die Traumvilla die Sehnsüchte beflügelt, an Ort und Stelle aber ist alles anders: Die Villa liegt mitten im Elend, das Urlauberparadies – vermutlich irgendwo vor dem afrikanischen Festland – ist eine Chimäre, die Stück für Stück zerbricht.

Die hiesige Normalität

Es fängt eigentlich schon im Flugzeug an, in der Bordtoilette, als Olav an sich die bedrohlichen Zeichen einer ernsten Erkrankung registriert, er pinkelt Blut, er versucht es zu ignorieren, vor Helen geheim zu halten. Kaum auf der Insel, geraten sie mit einer "Hotelnutte" in Streit, Helen wird verletzt, droht ihr Augenlicht zu verlieren.

Der Arzt im Krankenhaus ist kein Spezialist, und Helen fühlt sich von ihm sexuell bedrängt. Als sie mit der Fähre aufs Festland, in ein besseres Krankenhaus wollen, erfahren sie, dass ein Aufstand losgebrochen ist, der wird nach einigen Tagen blutig niedergeschlagen, aber Normalität werden Olav und Helen auf ihrer Insel nicht mehr erleben.

Oder anders gesagt: So ist hier die Normalität, und die beiden sind naiv genug, noch eine Weile an den Traum vom Glück zu glauben, während um sie herum alles aus dem Ruder läuft. Das Geld, das sie für die Villa bereits überwiesen haben, ist angeblich beim Empfänger nicht angekommen.

Um die Villa streifen gewalttätige Kinderbanden herum, und irgendwo liegen auch noch die "Landminen aus dem letzten Bürgerkrieg" ... Das ist nicht das, was sie sich vorgestellt haben. Am Ende steht das Paar einer erpresserischen Immobilienmafia, einer korrupten Polizei und einer Kriminalität gegenüber, die für die einfachen Bewohner Mittel zum Überleben ist.

Hätte man das nicht ahnen können? Es ist ja nicht so, dass die Protagonisten blind wären; gegen das Schicksal, weiß Olav, kann man nicht gewinnen, auch die Liebe lässt sich nicht rückwärts träumen. Vielleicht liegt alles schon in der Vorgeschichte begründet: Die Beziehung zwischen Olav und Helen beginnt mit einem Akt der Gewalt, Gewalt setzt sich meist fort.

Die hat es auch in Olavs früherem Leben als Schuldeneintreiber gegeben, umso dringlicher erklärt sich das Verlangen nach einem anderen, glücklichen Leben, und am Anfang sind die beiden ja noch davon überzeugt: "Haben wir nicht alles gut gemacht?" Aber gut ist da nichts: "Wir sollten etwas trinken, sagte er. Nicht, daß das etwas hilft – aber man kommt leichter in den Genuß einer Illusionsattacke!" Das bringt es auf den Punkt, nicht nur Olavs Alkoholproblem.

Die Ursache des Übels?

Da fängt die Geschichte aber erst an, so richtig verhängnisvoll zu werden, und das ist bis zu einem gewissen Grad auch absehbar. Denn die Menschen auf der Insel haben nichts zu verlieren, man fällt hier sehr schnell "dem herrschenden System zum Opfer". Menschen werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, Frauen zählen wenig, Kinder werden zur Prostitution erzogen, und zum einträglichen Geschäft, das vom "Clan des Präsidenten" kontrolliert wird, gehört es auch, reiche Urlauber auszunehmen, eben so jemanden wie Olav und Helen, die das durchschauen und dennoch in die Falle gehen.

Die meisten sind nur Werkzeuge in diesem System, so wie der pakistanische Arzt im Inselkrankenhaus, der die Opfer des Regimes, die in den Gefängnissen Gefolterten, wieder zusammenflickt, der weiß, dass er nur ein kleiner Nutznießer staatlicher Repression und Kriminalität ist: "Das ganze Land ist unter meiner Würde. Aber alles, was man zum Träumen braucht, ist billig und gut." Ist das nicht die Ursache des Übels?

Es ist eine düstere, unfreundliche Geschichte, die Fels atmosphärisch dicht erzählt, eigentlich der ideale Stoff für einen Haneke-Film. Sie nimmt einem die Illusion vom Paradies im Süden, vom Leben im Glück, das nicht umsonst ist, und erschüttert den Glauben, dass im Postkolonialzeitalter irgendetwas besser geworden wäre.

Da sind Hitze, Moskitos und der Müll in den Dünen nur das kleinere Übel. Ein paar Mal im Roman kommen die Traumurlauber aus Europa an einem von Unrat bedeckten Denkmal vorbei, einer Bronzeskulptur, die in Ketten geschmiedete Sklaven zeigt. Man geht flüchtig daran vorbei, auch beim Lesen – und es bleibt dennoch ein gespenstischer Anblick. Man wird ihn nicht mehr los. (Gerhard Zeillinger, 27.6.2020)