Das Familienhotel Stern ist immer Wirtshaus geblieben. Die Bewohner aus dem Dorf kommen gerne vorbei und nutzen die Infrastruktur des Hauses.


Foto: Hotel Stern / Alexander C. Kofler

Dazu gehört auch ein liebevoll zusammengezimmerter Spielplatz im Wald mit Baumhaus, Grillplatz, Pfeil und Bogen.

Foto: Hotel Stern / Alexander C. Kofler

Das Einfache ist oft das Beste: Ein alter Tiroler Heustadel dient auf dem Mieminger Plateau als Spielplatz und Schlafstätte

Foto: Hotel Stern / Manfred Horvath

Opa Toni schaut erwartungsvoll, aber mit stoischer Ruhe auf die Kinder. Seit mehr als einer Stunde striegelt eine fünfköpfige Rasselbande seine Ponys. Vor allem der Älteste, ein gewisser Emil, 11 Jahre alt und aus Wien, legt es darauf an, das schwarze Fell des pummeligen XS-Pferdes auf Hochglanz zu bringen. Am Ende wird die wollige Tiroler Stute doch noch einem eleganten Araber-Rappen ähneln, scheint Toni im Stillen zu hoffen. Oder wenigstens so glänzen wie ein Ford Mustang – mit einem halben PS.

Hätte Emils Mutter vor dem Aufbruch ins Familienhotel Stern auch nur unverbindlich in Aussicht gestellt, dass dort mit kleinen weichen Pferden, bockigen Ziegen und überhaupt einem ganzen Streichelzoo interagiert werden kann, der Bub hätte ihr höflich den Vogel gezeigt. Wenn man in der Wiener Bobo-Bronx aufwächst, ist man schon mit elf Jahren Teenager, angeblich längst in der Pubertät und kann mit Tieren nur etwas anfangen, wenn sie von den besten Greißlern der Stadt in Bio-Qualität auf den Teller kommen. Aber bereits vor dem Striegeln war Emil stundenlang hinterm Haus verschwunden. Bei Toni und seinen Tieren.

Der wichtigste Ort im Dorf

Zum Hotel, das eigentlich das Dorfwirtshaus von Obsteig und über die Jahre wie eine Legoburg gewachsen ist, gehört auch eine kleine Landwirtschaft. Es liegt, wie sich das für den wichtigsten Treffpunkt im Dorf gehört, an der Straße und vis-à-vis der Kirche. Am Stammtisch, den es so nicht gibt, sitzen manchmal die Kirchgänger, und hinten im neuen Stüberl die Hotelgäste am Frühstücksbüffet. Ganz hinten in dem Komplex ist dann nur noch die grüne Wiese. Das Areal geht praktisch nahtlos in die lärchenbestandene Hochebene des Mieminger Plateaus über. Dort hat Opa Toni, der gar nicht zur Hoteliersfamilie gehört, aber von allen im Ort "Opa" genannt wird, sein Reich.

Der alte Herr kommt täglich früh am Morgen aus der Nachbarschaft in das Areal hinter dem Hotel, um die Tiere mit Futter zu versorgen und den Stall auszumisten. Auch Emil ist an diesem Tag in aller Herrgottsfrüh aufgestanden, um Toni bei den ebenso anstrengenden wie schmutzigen Verrichtungen zu helfen. Angeblich handelt es sich dabei um dasselbe Kind, das zuhause immer gute Argumente zur Vermeidung jeglicher Anstrengung vorbringt und bei einem einzigen Steinchen in der Sandale die "Prinzessin auf der Erbse" mimt. Für die staunenden erwachsenen Begleiter schaut alles danach aus, als würde der professionelle Opa rein gar nix verkehrt machen mit diesen verordneten Enkerln.

Runter vom Fernpass

Auch das Hotel Stern hat bis zum heutigen Tag vieles richtig gemacht. Der mehr als 500 Jahre alte Betrieb war ursprünglich auf dem Fernpass angesiedelt. Als Anfang des 20. Jahrhunderts klar wurde, dass diese alte Handelsroute nie mehr so wichtig sein würde wie für die Römer, übersiedelte die Herberge auf das Mieminger Plateau. Dort fand sich mittlerweile – wie im Salzkammergut – das Wiener Bürgertum zur Sommerfrische ein, auf einmal gab es Bedarf nach Unterkünften. Noch vor der letzten Jahrhundertwende setzte aber der nächste Wandel ein: Als Drei-Stern-Hotel ohne Wellnesstempel hatte man es auf einmal verdammt schwer, Gäste anzusprechen. Als René Föger das Haus im Jahr 2004 von seinen Eltern übernahm, war der schleichende Niedergang solcher Häuser wie auch der Region voll im Gange. "2010 sperrte der letzte Skilift zu. Noch ein Argument weniger, um zu uns kommen", erzählt der Hausherr, der diese Entwicklung als Chance begriffen hat.

Als 27-Jähriger setzte Föger bei der Neuausrichtung des Hauses bereits erste Schritte, alles ein wenig umweltfreundlicher zu gestalten – aus Überzeugung, wie schnell klar wird: "2011 war kaum die Rede davon, wie man als Hotelier im Einklang mit der Umwelt agiert." Im selben Jahr war das Hotel Stern vermutlich das erste klimaneutrale Hotel Österreichs.

Da eine eindeutige Zertifizierung damals nicht existierte, stellte er selbst Recherchen an und adaptierte den Betrieb mit vielen kleinen Maßnahmen. Beim Einkauf der Lebensmittel sieht er enormes Potenzial, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. "Wobei mir klar ist, dass ein Hotel niemals per se CO2-neutral arbeiten kann." Also wird die Bilanz seit 2011 durch Klimaprojekte kompensiert. Damit auch alles seine Richtigkeit hat, holt Föger Ratschläge bei der Uni Innsbruck ein, die konkrete Nachhaltigkeitsziele definiert. Daneben gibt es noch weitere Aspekte der Nachhaltigkeit.

Eier und Bäder

"Alleine der Einkauf von Eiern mit der besten Bio-Qualität kostet pro Jahr 10.000 Euro mehr", erzählt Föger. Deshalb könne man sich als Familienbetrieb nicht alle Maßnahmen auf einmal leisten. Auch ist ihm klar, dass ein Hallenbad bei vielen Gästen auf der Wunschliste steht. Aber solange das nicht ohne weitere Bodenversieglung und mit geringem Energieverbrauch realisiert werden kann, lässt er es lieber bleiben.

Was man nicht auf später verschieben kann, ist eine Lösung für die selten umweltfreundliche Anreise der Gäste. Das Mieminger Plateau ist trotz seiner idyllischen Lage überraschend gut angebunden an Öffis. Wer mit dem Zug nach Innsbruck fährt, kann stündlich mit einem Gratis-Bus aufs Plateau kommen. Auch findet sich im Hotel oder im Dorf-Netzwerk immer jemand, der einen vom näher gelegenen Bahnhof in Telfs abholt. Und doch: Die Anreise mit dem Auto bleibt gerade für größere Familien, die mit Sack und Pack reisen, allzu verlockend. Also hat Föger beschlossen, bei Öffi-Anreise einen fünfprozentigen Rabatt auf den Zimmerpreis zu gewähren. Oder besser gesagt: Er wurde von seiner persischen Frau dazu gedrängt. Mit den Worten: "Eigentlich könntest du großzügiger sein und zehn Prozent abziehen." Nun gut, jedes Hotel ist auch ein wirtschaftliches Unterfangen – im Fall des "Stern" eines, das in Corona-Zeiten mit einer Auslastung von nur zehn Prozent auskommen muss.

Unauffällige Pandemie

Apropos Corona. Darauf hätten wir in dieser Geschichte aus gutem Grund beinahe vergessen. Nicht, weil die vorgeschriebenen Maßnahmen nicht mustergültig umgesetzt wären, sondern weil sie kaum auffallen: Einen Platz in der Sauna zu reservieren, ist auch im Sinne des Energiesparens für Normalzeiten eine gute Idee, und Desinfektionsmittel an neuralgischen Punkten helfen auch bei Kontakt mit dem Streichelzoo. Am besten ist aber die Taktik, Kinder nun staatstragend im Sinne der Pandemiebekämpfung öfter an die Luft zu setzen. Die Angebote, auf dem Waldspielplatz auszulüften oder einmal im Heustadel zu übernachten, werden jedenfalls gerne angenommen. Bleibt noch die Frage, wie das alles zusammengeht: Öko, Kinder, Corona und das Leben.

Das Stern ist wohl eines der untypischsten Familienhotels des Landes. Weil es trotz Angebotsvielfalt kein All-Inclusive-Kinderabschiebeclub ist. Es kommt als Öko-Schuppen sogar ohne den erhobenen Zeigefinger des Gastgebers aus, obwohl dieser die Sache sehr ernst nimmt. Natürlichkeit im Umgang mit der Natur und Familien scheint das Patentrezept zu sein. Und irgendwie auch der italienische Ansatz. Der besagt, dass man gegen die Familie als solche zwar nichts ausrichten kann. Man muss aber auch nicht gleich geschützte Bereiche für sie einrichten. Familie passiert einfach. (Sascha Aumüller, 26. 6. 2020)