Nur vereinzelt finden sich Studierende vor der Uni Wien, die sich auf eine Prüfung mit Anwesenheit vorbereiten.

Foto: Christian Fischer

Es herrscht ein reges Treiben an diesem sonnigen Donnerstagmorgen auf dem Campus der Linzer Johannes-Kepler-Universität. Doch es sind nicht die Studierenden, die derzeit das Uni-Gelände beleben. Vielmehr hat die Baubranche den Campus fest im Griff. An allen Ecken wird im Rahmen der großen Neugestaltung gebohrt, gezimmert, gehämmert. In der Mensa ist es hingegen auffallend ruhig.

Dort, wo normalerweise um diese Zeit unter den Studenten konsequent versucht wird, mit Koffein die Nachwehen der Nacht zu vertreiben, herrscht gähnende Leere. Kein Platz ist besetzt, die Küchenhilfe schwingt statt des Kochlöffels den Besen. Der Grund für den verwaisten Campus lässt sich mehrfach an diversen Pinnwänden ausmachen: "Coronavirus – die Johannes-Kepler-Universität hält bis auf weiteres keine Präsenzlehrveranstaltungen ab."

Leere Hörsäle, verwaiste Seminarräume, stille Cafés – es ist ruhig geworden an Österreichs Universitäten. Und auch wenn sich andernorts langsam wieder Normalität einstellt, die Infektionszahlen konstant niedrig sind, bleiben Forschung und Lehre weiter ins Homeoffice verbannt. Und immer mehr Studierende fragen sich: Wie geht’s jetzt weiter?

Perspektive für den Herbst

Während es bei den Schülern durch die schrittweise Schulöffnung seit Mai zumindest eine Perspektive für den Herbst gibt, tappen die Studierenden weiter im Dunkeln, was sie im Wintersemester erwartet. Zentrale Vorgaben aus dem Wissenschaftsministerium von Heinz Faßmann (ÖVP) gibt es keine. Durch die Hochschulautonomie muss sich jede Uni selbst ihre Regelungen für die Zukunft mit Corona überlegen.

Stand die Lernsituation der Schüler durch die vom Homeschooling erschöpften Eltern im Mittelpunkt der politischen Bildungsdebatte, haben die angehenden Akademiker offenbar keine lautstarke Lobby, die wirkmächtig auf mehr Unterstützung pocht. Dabei sind viele Studierende auch ökonomisch hart getroffen, weil sie durch Lockdown und Rezession ihre Nebenjobs verloren haben.

Vor der Krise waren laut Sozialerhebung fast zwei Drittel aller Studierenden erwerbstätig – wie viele es davon jetzt noch sind, ist fraglich. Da die klassischen Studentenjobs oft in geringfügiger Beschäftigung stattfinden, greift auch kein staatliches Hilfsnetz, wenn der Arbeitsplatz plötzlich weg ist. Die Forderung der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) nach einem generellen Erlass der Studiengebühren in diesem Jahr wurde von Faßmann dennoch abgeschmettert.

Puppen statt Patienten

Die insgesamt unsichere Lage schlägt sich auch auf das Gemüt der Studierenden. "Es ist wirklich frustrierend", sagt Medizinstudentin Julia (23), die an der Grazer Medizinischen Universität für ihre große Abschnittsprüfung im August daheim in ihren vier Wänden strebern muss. Sie würde sich lieber wie früher in der großen Uni-Bibliothek vorbereiten.

"Irgendwie haben wir alle einen Durchhänger, keine Motivation, keinen Ansporn. Es fehlt einfach die Präsenz auf der Uni, es fehlt der soziale Kontakt. Wir brauchen ja auch fürs Studium die Praktika im Krankenhaus. Das Hantieren mit Puppen oder dass sich Studenten gegenseitig untersuchen, ist doch kein Ersatz", klagt Julia. Sie befürchtet, dass sich am jetzigen Zustand noch lange nichts ändern wird.

Für Julias Studienkollegin Sophie liegt die Hauptschuld an der unbefriedigenden Uni-Situation bei der Regierung: "Eine Riesenfrechheit finde ich vonseiten der Regierung, dass man sich überhaupt nicht darum gekümmert hat, was mit den Studenten passiert. Und dass die Uni immer noch nicht offen hat, obwohl die Leute massenhaft in Bars sitzen und so tun, als wäre nichts. Während wir Studenten uns mit Ersatzleistungen plagen und wichtige praktische Übungen großteils immer noch nicht abgehalten werden dürfen."

Gute Vorbereitung

Die Vizerektorin der Grazer Med-Uni Sabine Vogl versucht zu beruhigen und versichert, dass man bereits sämtliche Szenarien durchspiele, um, so gut es geht, für den Herbst einen normalen Studienalltag zu organisieren. Vieles soll dann parallel laufen: Onlineprüfung und Videovorlesungen, aber auch eingeschränkte Lehreinheiten im kleinen Kreis an den Unis. Pflichtpraktika und Vorlesungen würden wieder möglich sein – aber wie alle anderen Veranstaltungen nur unter strengsten Hygienevorschriften, mit Mundschutz und Distanz.

Die Montanuniversität in Leoben sei ebenfalls "auf alle Szenarien vorbereitet, auch auf eine zweite Welle", sagt deren Sprecher Erhard Skupa. Ein Gutteil des Betriebs sei bereits auf Online-Tools umgestellt, auch sämtliche Prüfungen, die zu Hause mit zwei Kameras – von Bildschirm und Handy – abgenommen werden.

An der Uni Wien wiederum wird es nach den Ferien ein "Semester mit der Möglichkeit zum Experimentieren" geben, wie es in einem Informationsschreiben an das Lehrpersonal formuliert wird. Demnach solle es auch hier eine Mischung aus digitaler Lehre und physischer Präsenz geben.

Da angesichts der Abstandsgebote nur kleinere Gruppen körperlich anwesend werden sein können, soll diese "wertvolle Zeit besonders gut vorbereitet und gestaltet werden", heißt es recht allgemein. Bei den Prüfungen will man auf man auf einen Mix von mündlichen Videoprüfungen, digitalen schriftlichen, aber auch solchen mit Anwesenheit setzen.

Schon in der jetzigen Prüfungsphase wird in großen Hörsälen Erfahrung mit vereinzelten Prüfungen vor Ort gesammelt. Dabei sind alle Sitzplätze vorab nummeriert, und die Anordnung der Studierenden wird genau protokolliert, damit auch eine Woche später noch klar ist, wer wo saß.

Kein Tratsch auf dem Gang

Doch selbst wenn viele der zuletzt zwangsläufig erprobten digitalen Unterrichts- und Prüfungsformen fixer Bestandteil des Unibetriebs bleiben werden, müsse man eines tunlichst vermeiden, sagt Montanuni-Rektor Wilfried Eichlseder: "Wir wollen keinesfalls eine Fernuni werden." Die Zukunft der heimischen Unis werde wohl in Hybridlösungen – "digitale Hörsäle" plus Präsenzunterricht – liegen.

Wie gut diese Mischlehre in der Praxis funktioniert, hängt vor allem vom individuellen Engagement der Lehrpersonen ab. Das war ja auch vor Corona nicht anders, wie die Wiener Philosophiestudentin Marie feststellt: "Diejenigen Professoren, die sich vorher bemüht haben, haben auch in den letzten Monaten ihr Bestes versucht. Bei denen, die im Normalbetrieb uninspiriert waren, war es natürlich auch online nicht besser."

Was ihr vor dem nahenden Master-Abschluss vor allem fehle, sei der informelle Austausch, das Tratschen mit Kollegen und Professoren nach der Lehrveranstaltung. Gerade in solch lockeren Situationen wird für den wissenschaftlichen Nachwuchs oft die Basis für interessante Stellenangebote im akademischen Bereich gelegt, in dem persönliche Kontakte nach wie vor kaum verzichtbar sind. "Diese soziale Dimension lässt sich auch durch noch so viele Videokonferenzen nicht ersetzen", resümiert Marie. (Theo Anders, Walter Müller, Markus Rohrhofer, 27.6.2020)