Foto: Dead Oceans

Träume von einem netten Häuschen auf einem Hügel, mit einem Rosenbeet, wer hat die nicht? Eine Wiese, saftig grün, mit Blumen und Bienen. Phoebe Bridgers hat solche Fantasien. Bloß dass in ihrem Beet die Leiche eines als abgängig gemeldeten Skinheadnachbarn als Kompost den Rosen ihr kräftiges Rot verleiht. So malt sie sich das aus in ihrem Hirn unter den gebleichten Haaren.

Phoebe Bridgers ist eine Singer-Songwriterin aus Los Angeles, die eben ihr zweites Album veröffentlicht hat. Es trägt den Schmerzen versprechenden Titel Punisher und erfährt enormen Zuspruch. Der Grund dafür ist weniger die Musik als das Songwriting der 25-Jährigen.

Debüt in den Alpen

Man darf sich Bridgers als Emo vorstellen. Als emotional überbordendes Wesen, das seine Gefühle in Songs gießt, die wie Filter wirken. In diesen bleiben die Essenzen ihres Lebens hängen, es ist zugleich das Nährgebiet ihrer Skepsis, ihres Haderns mit dem, was ist. Punisher ist nach Bridgers hierzulande wie heimatlich getiteltem Debüt Stranger In The Alps eine Art Coming-of-Age-Platte. Die Betrachtungen einer Heranwachsenden, die ihr junges Erwachsenenleben mit den Träumen ihrer Kindheit abgleicht.

Heute cruist sie mit Backbag auf dem Roller durch ihr Viertel in Richtung Love-Interest, vor wenigen Jahren war das noch ihr Schulweg. Was früher der Weg in einen sicheren Hafen war, ist heute einer ins Ungewisse.

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Die Musik sucht der Gefühligkeit der Texte entsprechend in eher leisen Tönen ihr Glück. Selbst wenn Bridgers einmal lauter wird, ist darin eine Melancholie spürbar, die dann zum Beispiel von einem Satz Bläser getragen wird. Gleichzeitig hat das etwas Erhabenes, die Autorität der Erkenntnis – mag diese noch so unerfreulich sein.

Zynisch und rasant

Unserer Zeit geschuldet sind Bridgers’ Figuren allesamt Screen-Slaves, hängen also die halbe Wachzeit an irgendwelchen Geräten und in irgendwelchen Netzen. Deren toxische Aura besorgt die Grundstimmung vieler Songs. Die Brutalität des Netzes kollidiert mit der Harmoniesucht eines Wesens, das sich der Kunst eher zugetan fühlt als Gleichaltrige, die schon mit sechs Jahren wussten, dass sie Wirtschaftsprüfer werden wollen.

Phoebe Bridgers

Mit großen Augen durchmisst Bridgers ihren Alltag. Ihre Texte sind am Zynismus und der Rasanz des Online-Daseins geübt, gezuckert mit durchaus geistvollen Reaktionen darauf. Doch selbst in diesen wirkt sie zumindest leicht resigniert, das Glück stellt sich dabei nicht ein. Bloß die Fragen werden mehr. Wie soll man dieses Leben aushalten, wie es bewältigen, wo darin Erfüllung finden?

Bridgers’ Erfolg liegt wohl darin begründet, dass viele ihrer Generation so fühlen. Ihre Pläne kollidieren mit apokalyptischen Szenarien – wer möchte sich da nicht einrollen und kleinmachen, irgendwo Schutz suchen? "All the bad dreams that you hide, show me yours, I’ll show you mine", haucht sie in Savior Complex. Immerhin ist sie nicht allein.

Girl-Group

Als Träger ihrer Poesie fungiert zeitgenössischer Folk-Pop. Den spielt sie nebenbei auch mit der Girl-Group Boygenius: mit Lucy Dacus und Julien Baker. Oder mit dem geistesverwandten Musiker Conor Oberst. Von ihrem Förderer Ryan Adams ist einst nicht mehr übriggeblieben als ein Song über emotionalen Missbrauch.

"Nicht alle meine Lieder sind traurig, manche sind auch hoffnungslos", hat der große US-Songwriter Townes Van Zandt einmal gesagt. Bridgers’ Kunst steht in dieser Tradition. Auf dem Weg nach Memphis singt sie in Graceland Too, dass sie das Radio laut aufdreht, um bloß keine Gedanken aufkommen zu lassen. Zu trist. Es gelingt ihr nicht.

Ob Elvis daran geglaubt hat, dass Lieder wahr werden können, fragt sie sich. Angesichts der ihren wünscht man ihr, dass sie es nicht können. Eine traurige Angelegenheit. (Karl Fluch, 28.6.2020)