In konservierten Abwasserproben aus einer Kläranlage in Barcelona fand ein Team um den renommierten Virologen Albert Bosch Spuren von Sars-CoV-19 – und zwar bereits für den 12. März 2019.

APA/AFP/PAU BARRENA

Stimmt das, was spanische Forscher in einem Pre-Print kürzlich publiziert haben, dann muss die Frühgeschichte der Covid-19-Pandemie völlig neu geschrieben werden. Ging man bisher davon aus, dass erste Fälle von Infektionen mit dem Virus irgendwann im November 2019 in Wuhan auftraten, ehe die neue Infektionskrankheit rund um den Jahreswechsel 2019/20 publik gemacht wurde, so behauptet nun ein Team um den renommierten spanischen Virologen Albert Bosch von der Universität Barcelona, dass sich bereits im März 2019 Spuren von Sars-CoV-2 im Abwasser Barcelonas befunden hätten. An der Behauptung von Bosch wurde im Laufe des Freitags allerdings auch einige Kritik laut.

Abwasser als Auskunftgeber

Covid-19 ist zwar eine Atemwegserkrankung. Doch wie sich gezeigt hat, enthalten Fäkalien relativ große Mengen des Coronavirus-Genoms, die auf diese Weise ins Abwasser gelangen. Durch Analysen alter Abwasserproben gelang es in einigen Ländern Europas, das erste Auftreten des Virus in Europa nachträglich für Ende 2019 festzustellen. So sind genetische Spuren des Erregers Sars-CoV-2 in Abwässern der Großstädte Mailand und Turin vom Dezember sowie in Abwässern aus Bologna vom Jänner nachgewiesen worden.

Bosch und seine Kollegen analysieren seit April wöchentlich Proben zweier großer Kläranlagen in Barcelona. Die Menge der gefundenen Viren deckte sich dabei sehr mit der Entwicklung der Fälle von Covid-19 in der Bevölkerung. Die Forscher untersuchten aber auch konservierte Proben aus den Monaten zuvor. Diese Analysen zeigten ebenfalls ein sehr viel früheres Auftreten von Sars-CoV-2 als bisher gedacht.

Analyse noch älterer Proben

Offiziell gemeldet wurde der erste Fall in Barcelona am 25. Februar 2020. Doch die Virologen um Bosch, der auch Präsident der spanischen Gesellschaft für Virologie ist, konnten das Virus bereits für den 15. Jänner 2020 nachweisen – 41 Tage früher. Dieses Wissen hätte im Jänner und Februar eine bessere Reaktion auf die Pandemie ermöglicht, so Bosch.

Ermutigt durch diese Ergebnisse analysierten die Forscher dann noch einige eingefrorene Proben aus der Zeit zwischen Jänner 2018 und Dezember 2019. Während alle anderen Proben von 2018 und 2019 negativ waren, fand sich in einer Probe vom März 2019 eine Sensationsentdeckung, die freilich erst noch abgesichert werden muss. Denn der Fachartikel, in dem davon berichtet wird, wurde bislang nur auf dem Pre-Print-Server "medrxiv" publiziert und ist von Fachkollegen noch nicht begutachtet worden. Er ist aber bei einer renommierten Fachzeitschrift eingereicht.

Probe vom 12. März 2019

Das angewandte Testverfahren bestätigte laut der Studie, dass sich in der Probe vom 12. März 2019 zwar geringe, aber eindeutig nachweisbare genetische Reste von Sars-CoV-2 befunden hätten, schreiben Bosch und Kollegen im Fachartikel. Was einige Fragen aufwirft, etwa warum das Virus ausgerechnet in Barcelona so früh auftauchte. Das erklärt Bosch damit, dass viele Touristen und Geschäfts- bzw. Konferenzreisende in die Stadt kämen.

Er vermutet, dass sich das Virus nun auch in alten Abwasserproben ähnlicher Millionenstädte finden lassen sollte. Seine Conclusio lautet jedenfalls, dass Covid-19 in Einzelfällen schon sehr viel länger existiere als bislang angenommen. Und dass die frühen Fälle für Grippeinfektionen gehalten worden seien.

Zweifel an der Entdeckung

Nachdem die Nachricht im Laufe des Freitags hohe Wellen geschlagen hatte, äußerten freilich einige Forscher Kritik an der Studie wie der Genetiker Fernando González in der Zeitung "El País". Der Forscher von der Universität Valencia zweifelt an der Richtigkeit des Ergebnisses, weil das sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts wie auch des Orts zu weit weg sei von allem, was bis jetzt über das neue Coronavirus bekannt ist. González glaubt, dass Sars-CoV-2 vor Oktober 2019 nur in China detektiert werden könnte, und nicht in Barcelona.

"Es gibt Städte mit mehr internationalen Besuchern als Barcelona, und sie haben das Virus in ihren retrospektiven Analysen des Abwassers nicht entdeckt", sagte González gegenüber "El País". Und weiter: "Ich würde das Ergebnis unter Quarantäne stellen und einer unabhängigen Analyse unterziehen." (tasch, 26.6.2020)