In Wien und darüber hinaus ist man völlig zu Recht verstört und empört. Es darf schlicht nicht sein, dass – wie in Wien-Favoriten – Straßenschlachten stattfinden. Die Auseinandersetzungen haben nach derzeitigem Wissensstand ihren Ursprung im Hass rechter Türken und Türkischstämmiger auf Kurden und Linke. Der verbotene Gruß der faschistischen Grauen Wölfe war zu sehen, was die Angelegenheit eminent politisch macht.

Es gibt ein wirkliches Problem, wenn sich Rechtsextreme so stark fühlen, dass sie ungeniert ihre Gegner angreifen. Sowohl Politik als auch Polizei müssen sich fragen lassen, ob man die Gefahr nicht unterschätzt hat. Denn obwohl der Wolfsgruß in Österreich verboten ist, werden die Vereine der Grauen Wölfe teilweise sogar mit öffentlichen Mitteln gefördert.

Kurdische Demonstrantinnen und Demonstranten wurden von den faschistischen Grauen Wölfen angegriffen.
Foto: APA/STRINGER

Im aktuellsten vorliegenden Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums kommen die Grauen Wölfe nur an einer Stelle vor: als Opfer der als Terrororganisation verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Ganz anders in Deutschland. Das dortige Bundesamt für Verfassungsschutz widmet sich unter der Überschrift "Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus)" nicht nur der PKK, sondern auch der Wolfsbewegung. Die deutschen Beamten schreiben auch nicht um den heißen Brei herum und bezeichnen die Grauen Wölfe als rechtsextrem, während ihre österreichische Kollegen sie lediglich als "türkisch-nationalistisch" titulieren. Möglicherweise will man es sich hierzulande nicht mit der türkischen Regierung verscherzen, schließlich protestierte das türkische Außenministerium gegen das Verbot des Wolfsgrußes ab März 2019.

Szenen von der Demo am Freitag.
DER STANDARD/APA

Klares Alarmsignal

Das ist die eine Seite des Problems. Die andere ist, dass laut Polizei an den Auseinandersetzungen Jugendliche beteiligt waren, die weder türkischen noch kurdischen Hintergrund haben – sondern offenbar einfach Spaß hatten, bei einem Tumult oder Bahöl, wie man in Wien zu sagen pflegt, dabei zu sein und Wurfgegenstände auf die "Gegner" zu schleudern sowie Auto- und Fensterscheiben einschlagen zu können. Das erinnert schmerzlich an die Zustände in französischen Vorstädten.

Das muss als klares Alarmsignal registriert werden. Frustrierte junge Männer sind erfahrungsgemäß eine eher gefährliche Gruppe. Als Antwort auf die Frage, wie sie dazu geworden sind, gibt es verschiedene Erklärungsversuche: Die Bandbreite reicht von Exklusion durch die Mehrheitsgesellschaft über falsche Männlichkeitsbilder bis zu schlichtem Intelligenzmangel.

Es wird wohl eine zweigleisige Antwort auf die Vorfälle geben müssen: Die Exekutive muss dafür sorgen, dass die rechten Recken erkennen, dass sie gegen das Gesetz verstoßen. Und die Politik muss im Zweifelsfall noch mehr Geld in Betreuungsmaßnahmen gefährdeter Gruppen stecken. Andernfalls drohen Szenen wie in Favoriten Alltag zu werden. (Michael Möseneder, 26.6.2020)