Mit der Corona-Krise hat die Digitalisierung ihre Bewährungsprobe bestanden, was an der Börse honoriert wird.
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Kennen Sie Docusign, Synopsys oder Splunk? Den wenigsten Europäern dürften diese Namen geläufig sein. An der US-Technologiebörse Nasdaq sind sie nicht nur in aller Munde, sie eilen mitten in der Corona-Krise sogar von Rekord zu Rekord. Wie kann das sein? Diese Unternehmen bieten elektronische Vertragsverwaltung, Lösungen für elektronisches Design oder Software zur Analyse von Websites, Servern und Netzwerken an – also Produkte, die sich auch während der Pandemie guter oder sogar höherer Nachfrage erfreuen.

Generell lässt sich sagen: Die Digitalisierung, seit Jahren als künftiger wirtschaftlicher Treiber angekündigt, hat während des Corona-Lockdowns die Bewährungsprobe bestanden. Davon profitieren auch bekannte Größen wie Microsoft, Apple, Amazon oder Netflix, die ebenfalls auf oder nahe einem Rekordhoch notieren. So kommt es, dass auch die Börse Nasdaq gemessen an ihrem Gesamtindex zu Wochenmitte noch neue Kursrekorde erzielte. Seit Jahresbeginn steht ein Kursgewinn von mehr als zehn Prozent zu Buche.

Gut in Form

Aber auch die Wall Street insgesamt hat sich fast gänzlich von dem Kurssturz zu Krisenbeginn erholt. Der marktbreite S&P-500-Index liegt nur wenige Prozentpunkte unter dem Niveau von Ende 2019, obwohl die Probleme der US-Wirtschaft keineswegs ausgestanden sind. Wie passt das zusammen?

Nicht gut, meint Chefanalyst Fritz Mostböck von der Erste Group. Seiner Ansicht nach ist wegen der Unsicherheiten hinsichtlich der Wirtschaft oder einer möglichen zweiten Infektionswelle im breiten US-Aktienmarkt bereits eine Übertreibung drin, die er aber auch teilweise zu erklären versucht. Neben nicht mehr ganz taufrischen Argumenten wie der Geldflut der Notenbanken und dem tiefen Zinsen, die riskante Anlagen alternativlos machen, bringt Mostböck auch die US-Politik ins Spiel.

"Präsident (Donald, Anm.) Trump ist wichtig, dass die Börse ja nicht vor einem Wahltermin eingeht", betont der Finanzanalyst. Daher habe er etwa via Twitter öffentlich dazu aufgefordert, Aktien zu kaufen. "Wenn ein Präsident Anlageberater für die Bevölkerung spielt, halte ich das für unüblich – und es sollte auch nicht so sein", sagt Mostböck.

Hochgesteckte Erwartungen

Als "eher gerechtfertigt" empfindet er den aktuellen Höhenflug der Nasdaq. "Das sind fast alles Technologiewerte, die von der Krise profitieren", erklärt Mostböck. Allerdings müssen die Unternehmen die Lorbeeren erst verdienen, die ihnen die Börse bereits als Vorschuss vorgestreckt hat. Soll heißen: Erzielen die Nasdaq-Firmen bei Umsatz und Gewinn nicht die inzwischen sehr hoch gesteckten Erwartungen, kann es auch schnell wieder abwärts gehen. Ein Punkt, auf den Andreas Auer, Ökonom der Bank Gutmann, ebenfalls hinweist.

"Digitalisierung und E-Commerce sind die großen Gewinner", räumt auch er ein – und nennt ein interessantes Beispiel: Noch nie seien in den USA so viele Depots bei Onlinebrokern eröffnet worden wie während des Lockdowns. Daraus folgert Auer für den US-Aktienmarkt: Es ist genug Liquidität vorhanden, allerdings auch viel Spekulation im Markt. Was den Ökonomen skeptisch stimmt: "Die wirtschaftliche Erholung wird nicht so schnell gehen wie der Fall nach unten."

"Als ob nichts wäre"

Etwa 35 Millionen Amerikaner hätten den Job verloren, vor allem im mittleren und unteren Einkommenssegment. "Das ist eine sehr schwierige Situation, aber das schlägt nur langsam durch", sagt Auer über die Auswirkungen der hohen Arbeitslosigkeit. "Und trotzdem laufen die Börsen, als ob nichts wäre." Seine Einschätzung des derzeitigen Niveaus der Wall Street: Rückschläge sind wahrscheinlicher als eine Fortsetzung des Kursaufschwungs.

Auffallend dabei: Beide Experten lassen trotz ihrer skeptischen Grundhaltung bei Technologieaktien explizit Milde walten. Als im März 2000 die Internetblase der Jahrtausendwende mit einem lauten Knall platzte, siechte der gefeierte Technologiesektor jahrelang dahin. Im März 2020 legt das Coronavirus fast die ganze Welt lahm, und die Branche erzielt nach einem kurzen Einbruch wieder laufend neue Kursrekorde. Womöglich hat die Corona-Krise der Digitalisierung endgültig zum Durchbruch verholfen – und zwar nicht nur am Aktienmarkt. (Alexander Hahn, 26.6.2020)