Eine Aufnahme zeigt rechte Demonstranten, nachdem die kurdischen Frauen ins Ernst-Kirchweger-Haus flüchten mussten.

foto: plakenauer

Frage: Was passiert da in Wien-Favoriten?

Antwort: Seit Mittwochabend kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechtsstehenden jugendlichen Türken sowie Kurden und linken Aktivisten. Laut der Grünen-Politikerin und Menschenrechtsexpertin Berivan Aslan werden kurdisch- und türkischstämmige "linke Demokratinnen und Demokraten" von Männern, die dem autoritären türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan und der Grauen Wölfen nahestehen, attackiert. Laut Polizeisprecher Patrick Maierhofer handelt es sich bei den Angreifern auch um nichttürkischstämmige Jugendliche, die den Krawall suchten.

Am Mittwoch wurde eine kurdische Demonstration gegen Gewalt an Frauen auf dem Keplerplatz gestört. Laut Polizei zeigten mehrere der Angreifer den "Wolfsgruß", laut Aslan waren auch IS-Parolen zu hören. Die kurdischen Demonstrantinnen flüchteten in das nahe Ernst-Kirchweger-Haus, das von der Gegenseite angegriffen wurde. Die Polizei habe mit dem Eingreifen zu lange gezögert, kritisiert Aslan, bei der Polizei widerspricht man: Man habe erst zu deeskalieren versucht.

Zwei Polizisten und ein Diensthund verletzt

Am Donnerstagabend wurde eine antifaschistische Kundgebung auf dem Victor-Adler-Markt gestört und danach neuerlich das Ernst-Kirchweger-Haus angegriffen. Die Polizei war mit stärkeren Kräften als tags zuvor vor Ort, zwei Beamte und ein Diensthund wurden verletzt, drei Personen wurden festgenommen und 34 Anzeigen erstattet. Auch am Freitagabend kam es erneut zu einer Konfrontation mit türkischen Rechtsextremisten.

Frage: Wer sind die Grauen Wölfe?

Antwort: Es handelt sich um Anhänger der rechtsextremen türkischen Partei der nationalistischen Bewegung MHP, die in den 1960er-Jahren entstanden ist und als Juniorpartner von Erdoğan in der türkischen Regierung sitzt. "Ihre Ideologie ist klassisch rechtsextrem, nationalistisch, minderheitenfeindlich, mit vielen antisemitischen Versatzstücken und Ressentiments gegen Kurden und Armenier", sagt der Extremismusexperte Thomas Rammerstorfer, der 2018 auch ein Buch über den Einfluss der Grauen Wölfe in Deutschland und Österreich veröffentlich hat.

Frage: Wie viele Graue Wölfe gibt es in Österreich?

Antwort: Rammerstorfer spricht von rund 20 Vereinen, die der MHP nahe sind, und fünf Abspaltungen. Jeder dieser 25 Vereine habe rund 100 Mitglieder. Daneben gebe es noch etliche Jugendliche, die sich aber im Gangster-Rap-Milieu ebenso als Graue Wölfe gebärden. Die rechte Gruppe verleihe ihnen eine Identität, denn der österreichischen Gesellschaft fühlten sie sich nicht zugehörig, sagt die Politikerin Aslan. Die Gründe dafür sieht sie in der Abkehr der Regierung von aktiver Integrationsspolitik unter Türkis-Blau.

Frage: Was ist der "Wolfsgruß"?

Antwort: Der "Wolfsgruß" ist das Erkennungszeichen der Grauen Wölfe. Seit Frühling 2019, mit der Verschärfung des Symbolgesetzes, ist der "Wolfsgruß" verboten. Rammerstorfer hält das Gesetz für bizarr, denn auf institutioneller Ebene seien die Vereine als Kultusgemeinden der Islamischen Glaubensgemeinschaft organisiert. Als Gesellschaften öffentlichen Rechts hätten sie auch Zugang zu Steuergeldern.

Frage: Wen greifen die Grauen Wölfe an?

Antwort: Ihr Hauptfeindbild ist jede Form von eigenständiger kurdischer Organisation. Frauenkundgebungen und linke Feministinnen werden ebenfalls von ihnen bekämpft, und es gibt auch häufig Schmieraktionen gegen die KPÖ oder Grünen-Lokale. Die Politikwissenschafterin Aslan berichtet außerdem von "Denunziationen im Netz": Rechte Türkischstämmige in Österreich würden Linke aus der Community systematisch outen, mit dem Ziel, dass in der Türkei Verfahren gegen sie eröffnet werden und sie ein Einreiseverbot ausfassen.

Frage: Wie sind die Grauen Wölfe politisch vernetzt?

Antwort: Die Gruppe versuche seit 15 Jahren, bei der SPÖ anzudocken, sagt Thomas Rammerstorfer, der selbst Spitzenkandidat der Welser Grünen für die Gemeinderatswahl 2021 ist. Im Westen versuche die Gruppierung, sich auch bei der ÖVP anzudienen, um im Integrationsbereich an Einfluss zu bekommen. In Tirol und Vorarlberg seien Bürgermeister von ÖVP-nahen Listen auch bei Festen der Grauen Wölfe zu Gast. (Irene Brickner, Michael Möseneder, Stefanie Ruep, 27.6.2020)