"Man muss sich ja nicht alles von sich gefallen lassen. Man kann auch stärker sein als die Angst." Dies ist ein bekanntes Zitat von Viktor Frankl, dem 1905 in Wien geborenen und 1997 ebenda verstorbenen Philosophen, Neurologen und Psychiater, der zwar kein herausragender Alpinist, aber tief verbunden mit den Bergen war.
Spurensuche
In ihrem bereits 2019 erschienenen Buch "Berg und Sinn – Im Nachstieg von Viktor Frankl" begaben sich Michael Holzer und Klaus Haselböck gewissermaßen auf Spurensuche, in einer alpinistischen Hommage folgten sie Frankl, der dem Sinn des Kletterns eine Sprache gab, es als seine große Passion entdeckte und das reduzierte Leben in den Bergen in hohem Maße zu schätzen lernte. In sieben Kapiteln schreiben die Autoren über Touren, die für Frankl charakteristisch waren. Von der Mizzi-Langer-Wand bis zur Großen Zinne in den Südtiroler Dolomiten.
Schlüsselerlebnis
An der Mizzi-Langer-Wand – ein mittlerweile verwaister Klettergarten im Süden Wiens, der im 20. Jahrhundert das Epizentrum der Wiener Kletterszene war – hat Frankl seine ersten alpinistischen Erfahrungen gesammelt. Und die waren zunächst alles andere als leiwand. Als er als Schüler der siebten Klasse des Wiener Sperlgymnasiums 1923 mit dem Klettern in Berührung kam, weil ein Freund zwecks Sicherung einen Seilpartner benötigte, stellte er in einem beklemmenden Augenblick fest, dass er unter Höhenangst litt. (Damals wurde noch von oben gesichert). Diese Situation wird als Schlüsselerlebnis des Alpinisten Frankl beschrieben.
Familiäres Leid
Durch das Klettern – damals freilich noch mit genagelten Lederschuhen und um den Oberkörper geschlungenem Hanfseil – habe er die Fähigkeit gestärkt, inneren und äußeren Widerständen entgegenzuwirken. Durch das über sich selbst Hinauswachsen Kraft geschöpft, die ihm nicht zuletzt half, als Jude das Naziregime zu überleben, während seine Eltern, seine erste Frau und sein Bruder in Konzentrationslagern starben.
Die Freiheit des Willens ermögliche es, die "Trotzmacht des Geistes" zu aktivieren. Nicht Ängste und Zweifel sollen bestimmende Rollen haben, sondern Beharrlichkeit, Stärke und nicht zuletzt der Wille, mit jedem Schritt, jedem Griff oder Tritt in Selbstermächtigung weiter nach oben zu kommen. Die Freiheit des Willens war das zentrale Thema Frankls und auch Fundament seiner Logotherapie und Existenzanalyse, als deren Begründer er Geschichte schrieb.
Rax und Hohe Wand
Sein Weg führte Frankl auch zur geliebten Rax, die ihm als Fluchtpunkt und Ort für körperliche Herausforderung als Gegensatz zur Schreibtischarbeit diente. In der Preinerwand sinnierte er etwa über Selbsttranszendenz. "Ganz er selbst wird der Mensch, wo er sich selbst übersieht und vergisst".
Und sein Abenteuer führte den späteren Professor an der Uni Wien sowie in Harvard (USA) auch zur Hohen Wand, wo er am Kanzelgrat mit seinem besten Freund Hubert Gsur eine außergewöhnliche Tour gemacht hatte. Weil Frankl als Jude das Klettern verboten war, riskierte Gsur in Wehrmachtsuniform sein Leben, als er 1941 mit ihm dort klettern ging, um Frankl die Möglichkeit zu geben, wieder einmal seiner Leidenschaft zu frönen.
Überlebender von Konzentrationslagern
Eines der Hauptwerke Frankls ist das in nur neun Tagen geschriebene und 1946 erschienene Buch "...trotzdem Ja zum Leben sagen". Als Psychologe beschreibt er darin seine Erfahrungen in vier Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs. (Thomas Hirner, 27.6.2020)