Eine Aufnahme der Demonstration am Samstag.

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Demoteilnehmer am Freitag mit einem Banner mit der Aufschrift "Nie wieder Faschismus!"

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Wien – In den vergangenen Tagen kam es rund um das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) in Wien-Favoriten immer wieder zu Angriffen türkisch-nationalistischer und rechtsextremer Gruppen – darunter solche aus dem Milieu der "Grauen Wölfe" – auf linke und kurdische Aktivisten. Der erste Zwischenfall ereignete sich am Mittwoch, als eine kurdische Demonstration gegen Gewalt an Frauen gestört wurde. Im Zuge der Auseinandersetzungen kam es zu Festnahmen, Verletzten und Sachschäden.

Nun schaltet sich die Regierung in die Debatte ein. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ließ am Wochenende einige knapp umrissene Maßnahmen verkünden. Für Montag ist eine Pressekonferenz von Innenminister Karl Nehammer, Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) und dem Wiener Polizei-Vizepräsidenten Franz Eigner anberaumt.

Parteien urteilen uneins über die Vorgänge

Die Politik kommentierte die Vorgänge in Favoriten in den letzten Tagen höchst unterschiedlich. Allen voran die FPÖ schrie dagegen an, dass Wien nicht der Austragungsort ausländischer Konflikte sein dürfe, eine Argumentationslinie, der die ÖVP – erst Nehammer und Raab, nun auch Kurz – rasch folgten.

Genauso schnell hatte man sich auch auf Wien eingeschossen – immerhin wird dort am 11. Oktober gewählt. So sprach die Wiener ÖVP vom "Integrationsversagen" einer "untätigen Stadtregierung", auch der ehemalige Vizekanzler und jetzige Spitzenkandidat des Teams HC, Heinz-Christian Strache, kritisierte eine "verfehlte rot-grüne Politik".

Die Stadtregierung wiederum trat in erster Linie gegen die faschistischen Angriffe auf eine angemeldete Demonstration ein. "Gewaltbereite nationalistische Ideologien" seien "von der Straße zu holen", hieß es von Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ), es liege "in der sozialdemokratischen DNA, gegen jede Art von Faschismus und Radikalismus vehementest aufzutreten", schrieb Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein wurde selbst auf der Kurden-Kundgebung gesichtet. Aygül Berîvan Aslan vom grünen Wiener Landesvorstand und die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic traten als Rednerinnen bei der Veranstaltung am Samstag auf.

Botschafter am Zug

"Wir wollen in Österreich, insbesondere in Wien, keine Bilder von Gewalt auf den Straßen wie aus anderen Ländern", kommentierte Kurz nun die Ereignisse. Er habe "überhaupt kein Verständnis" dafür, wenn versucht werde, "türkische Konflikte auf Österreichs Straßen auszutragen", sagte Nehammer. Die Polizei werde mit aller Konsequenz bei gewaltsamen Ausschreitungen und Rechtsverstößen einschreiten. Das Augenmerk der Regierung liegt damit offenbar weniger auf dem Angriff auf eine angemeldete Demo durch Rechtsextreme als darauf, dass ausländische Konflikte in Wien ausgetragen werden würden.

Bei den Maßnahmen, die am Wochenende verkündetet wurden, spielt die Wiener Stadtpolitik nur am Rande eine Rolle. Man werde auf Auftrag Nehammers erstens mit Vertretern "aller relevanten türkischen Vereine" sprechen, zweitens werde die Polizei verstärkt an "neuralgischen Punkten" Präsenz zeigen, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde eingeschaltet.

Außerdem werde der türkische Botschafter Ozan Ceyhun am Montag zu einem Gespräch ins Außenministerium eingeladen. Er stehe "in der Verantwortung, deeskalierenden Einfluss zu nehmen", heißt es in der Aussendung des Bundeskanzleramts.

Die unter Türkis-Blau angekündigte und im türkis-grünen Regierungsprogramm verankerte Dokumentationsstelle für den politischen Islam soll diesen Sommer ihre Arbeit aufnehmen und "auf wissenschaftlicher Grundlage die Netzwerke durchleuchten, die Nährboden für die extremistische Ideologie des politischen Islam sind", hieß es in einem Statement von Integrationsministerin Raab.

Mit Wien würde man, so heißt es im letzten Punkt des Maßnahmenpapiers recht knapp, Gespräche darüber führen, "welcher Beitrag dafür seitens der Stadt Wien geleistet werden kann".

Integrationsstadtrat bereit zu Gesprächen

Die Stadt selbst reagiert am Sonntag auf die Neuigkeiten nur zögerlich. Erst vor kurzem kam es zu einem mehr oder minder offenen Schlagabtausch: Als Raab vor Parallelgesellschaften in Wien warnte, kritisierte der dortige Integrationsstadtrat Czernohorszky eine bewusste Verzerrung der Realität durch Raab.

Nun heißt es von Czernohorszky zum STANDARD, man begrüße, dass die Bundesregierung "endlich" Maßnahmen ergreife: "Ich habe schon mehrmals gefordert, dass der Verfassungsschutz aktiv wird und die Hintergründe der Gruppe aufklärt", schreibt Czernohorszky in einem Statement. Man werde "selbstverständlich in den Gesprächen mit der Bundesregierung unsere Expertise einbringen", heißt es weiter.

STANDARD-Anfragen an das Büro des Bürgermeisters blieben am Sonntag unbeantwortet.

Szenen von der Demo am Freitag.
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Journalist wurde am Samstag angegriffen

Die vorerst letzte Demonstration am Samstag verlief friedlich, heißt es von der Landespolizeidirektion Wien zum STANDARD. Im Gegensatz zu den Vortagen hätten keine größeren Gegendemonstrationen stattgefunden, einzig einige Splittergruppen habe man angetroffen. Berichten auf Twitter zufolge wurde ein kurdischer Journalist angegriffen, die Polizei bestätigt dies, sieht aber keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Demonstrationen, auch wenn der Vorfall "mit der Gesamtsituation im Zusammenhang" stehen dürfte, wie ein Sprecher sagt.

Gegen 23 Uhr sei der Journalist im zehnten Bezirk angegriffen worden, die Polizei ermittelt gegen mehrere unbekannte Täter, der Verfassungsschutz wurde informiert. Für Sonntag Abend werden keine Kundgebungen erwartet, laut Polizei sei bis Juli keine derartige Veranstaltung angemeldet. (Gabriele Scherndl, Vanessa Gaigg, 28.6.2020)