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Aschheim – Die deutsche Bundesregierung zieht nach dem Milliarden-Bilanzskandal um den Dax-Konzern Wirecard erste Konsequenzen. Justiz- und Finanzministerium werden den Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) kündigen. Darauf hätten sich beide Ministerien verständigt, bestätigte ein Sprecher des Justizressorts am Sonntag. Zuvor hatte die "Bild am Sonntag" berichtet.

Jörg Kukies, Staatssekretär im Finanzministerium, zeigte sich im Gespräch mit der "Financial Times" ernüchtert: "Was die Wirecard-Affäre zeigte, Selbstregulierung bei den Prüfern funktioniert nicht." Jetzt brauche es "radikale Lösungen".

Der privatrechtlich organisierte Verein DPR kontrolliert im Staatsauftrag die Bilanzen und habe im Fall von Wirecard nach Ansicht der Ministerien versagt, schreibt die "Bild am Sonntag". Bei der DPR war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) hatte nach eigener Darstellung der DPR im Februar 2019 den Hinweis gegeben, dass es Ungereimtheiten in der Halbjahresbilanz 2018 von Wirecard gebe. "Wir haben unmittelbar reagiert und Mitte Februar 2019 bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) eine Bilanzprüfung veranlasst", sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Die Bafin sei für die Bilanzprüfung nicht zuständig. Zuständig sei auf erster Stufe allein die DPR. Dort habe die Prüfung so lange gedauert.

Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) hat die auch als "Bilanzpolizei" bezeichnete Prüfstelle jedoch nur wenig Personal. Mit der aufwendigen und komplexen Prüfung sei in den vergangenen 16 Monaten im Wesentlichen nur ein einzelner Mitarbeiter betraut gewesen.

Die Aufgabenteilung zwischen Bafin und DPR steht laut FAS auch im Zentrum der harten Kritik von Seiten der EU-Kommission an Deutschland im Fall Wirecard. Die EU lässt mittlerweile das Agieren der deutschen Finanzaufseher in dem Bilanzskandal von der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA überprüfen.

Betrieb läuft weiter

Wirecard setzt trotz des Insolvenzantrags auf eine Fortführung des Geschäfts. "Der Vorstand ist der Meinung, dass eine Fortführung im besten Interesse der Gläubiger ist", teilte der Dax-Konzern am Samstag in Aschheim bei München mit. Unter den Gläubigern sind auch die Raiffeisen-Landesbanken Ober- und Niederösterreich.

Der Vorstand hatte für die Wirecard AG am vergangenen Donnerstag einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Die Behörden prüfen noch, ob das Insolvenzverfahren eröffnet wird.

Der Geschäftsbetrieb der Konzerngesellschaften inklusive der lizenzierten Einheiten werde aktuell fortgesetzt, hieß es weiter. Es werde laufend geprüft, ob auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard Gruppe gestellt werden müssen. Konzerngesellschaften mit Ausnahme einer kleinen Entwicklungsniederlassung hätten derzeit keine Insolvenzanträge gestellt.

Die Wirecard Bank sei aktuell nicht Teil des Insolvenzverfahrens, der Zahlungsverkehr der Wirecard Bank sei nicht betroffen, betonte das Unternehmen. Auszahlungen an Händler der Wirecard Bank würden weiterhin ohne Einschränkungen ausgeführt. Man stehe zudem "im stetigen Austausch mit den Kreditkartenorganisationen".

Die Wirecard Card Solutions Limited mit Sitz in Newcastle habe aufgrund einer Anordnung der zuständigen Aufsichtsbehörde (Financial Conduct Authority) "ihre Geschäfte unterbrochen", hieß es weiter.

Auslöser für den Insolvenzantrag war das Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro – nun droht die Zahlungsunfähigkeit. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die den Jahresabschluss 2019 prüfte, geht von Betrug in internationalem Maßstab aus. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen österreichischen Ex-Vorstandschef Markus Braun und weitere ehemalige und aktive Spitzenmanager. Das Münchner Amtsgericht hatte den Anwalt Michael Jaffé als vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt, der nun zunächst die Überlebensfähigkeit des Unternehmens einschätzen muss.

Wirecard wickelt als Zahlungsdienstleister die bargeldlosen Geldflüsse zwischen Händlern auf der einen und Banken sowie Kreditkartenfirmen auf der anderen Seite ab. Weltweit beschäftigt der Konzern knapp 6000 Menschen. (APA, dpa, Reuters, 28.6.2020)