Jedes Jahr aufs Neue gibt es einen medialen Aufschrei angesichts der katastrophalen Bedingungen, unter denen migrantische Erntearbeiterinnen und Erntearbeiter in Österreich beschäftigt sind. Saison für Saison lesen wir Meldungen und Reportagen über Fälle von eklatanten Hygienemängeln bei der Unterbringung, über Lohnraub und Passentzug sowie über Arbeitszeiten, die an den ungezügelten Manchesterkapitalismus in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnern.

Sei es beim Spargelstechen im Marchfeld, auf den Gurkerlfliegern im Eferdinger Becken oder bei der Radieschenernte in Tirol: Die Arbeit auf den österreichischen Feldern ist oft extrem schlecht bezahlt und gesundheitsgefährdend. Sie wird an migrantische Saisonniers delegiert, die in den Corona-Monaten sogar eigens eingeflogen wurden. Denn Österreicher – so der Tenor – sind seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gewillt, sich den schlimmen Arbeitsbedingungen auszusetzen.

Arbeiter beim Spargelstechen: Nur die Erkämpfung von Sozial- und Arbeitsrechten kann einen Ausweg aus der schwierigen Situation der Saisonniers bringen.
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Der jüngste Skandal ereignete sich letzte Woche bei einem der größten Spargelbetriebe im Marchfeld, in Mannsdorf an der Donau. Ohne den Mut einer rumänischen Arbeiterin, die die unhaltbaren Zustände öffentlich machte, wäre wohl gar nichts passiert.

Danach sprach der Obmann der Bezirksbauernkammer davon, dass der Betrieb, um den es sich handelte, ein "schwarzes Schaf" sei. Doch die Ausbeutung in der Landwirtschaft hat System, und das nicht ohne Grund.

Schon vor zwei Jahrzehnten zeigte eine europäische Studie, an der ich beteiligt war und zu deren Zweck ich eine Reihe von Spargel- und Erdbeerbetrieben im Marchfeld untersuchte, ein ähnliches Bild. Ein Vertreter der Bauernkammer der Region erklärte damals, man müsse in den Betrieben immer mehr Kosten sparen, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. "Nur die Bestorganisierten kommen durch", so sein Fazit. Was das konkret bedeutete: Auf etlichen großen Höfen brodelte es, und ein Betriebsinhaber gab offen zu, dass er gezielt firmennahe Vorarbeiter und Feldaufseher einsetze, um eine "Rebellion" der Erntearbeiter und Erntearbeiterinnen zu verhindern. Gruppen von Arbeiterinnen und Arbeitern wurden schon damals stark hierarchisiert und nach dem Wohlstandsgefälle "geordnet": "Tschechen" so ein Landwirt, könne er vielleicht noch "zum Traktorfahren" einsetzen, die schmutzige und harte Arbeit auf dem Feld würden hingegen in Zukunft nur noch Rumäninnen und Rumänen und Ukrainerinnen und Ukrainer machen.

Im Jahr 2004 publizierte eine kleine Gruppe engagierter Forscher und Gewerkschafter die damals breit rezipierte, mittlerweile leider vergriffene Broschüre Bittere Ernte – die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft Europas, mit Studien aus Spanien, Frankreich, der Schweiz, Großbritannien, Deutschland und eben dem österreichischen Marchfeld.

Wachstumszwang

Der Wachstumszwang und der unerbittliche Preisdruck, dem landwirtschaftliche Betriebe ausgesetzt sind, haben die extreme Ausbeutung der Erntearbeiterinnen und Erntearbeiter sogar noch verstärkt. Es ist das Prinzip des "Wachsen oder Weichen", vorangetrieben auch durch extrem ungerechte Förderstrukturen in der Landwirtschaft, die diese Ausbeutung ausblenden und damit letztlich auch noch belohnen.

Die Konsequenz dieser Förderpolitik auf EU-Ebene: Allein in Rumänien schlossen laut EU-Statistikbehörde von 2007 bis 2016 mehr als eine halbe Million Höfe ihre Tore. Dies hat nicht nur fatale Konsequenzen für Biodiversität und Klima – jedes Jahr verlieren so auch hunderttausende rumänische Bauern und Bäuerinnen ihre Lebensgrundlage. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser früheren Bauern entgeht der Verarmung im eigenen Land nur durch die alljährliche Saisonarbeit in den reichen EU-Ländern. So entstand in den letzten Jahrzehnten auf Westeuropas Feldern ein migrantisches Subproletariat.

Verschärft wurde diese Problematik durch die schwindelerregende Marktmacht der Supermärkte und Discounter. Sie drücken die Preise der landwirtschaftlichen Produkte immer weiter nach unten. In Österreich dominieren die Konzerne Rewe, Spar und Hofer insgesamt rund 84 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels – sie fahren die großen Gewinnmargen ein. Beim letzten und schwächsten Glied der Produktionskette – der Arbeitskraft auf den europäischen Feldern – werden die Löhne gedrückt, während die Gründer von Aldi und Lidl Multimilliardäre wurden.

Was tun?

Was wäre zu tun? Einen Ausweg aus der brutalen Lage kann es nur über die Erkämpfung von Sozial- und Arbeitsrechten geben. Hier zeigt sich, dass die Landarbeiterinnen und Landarbeiter alles andere als passive Opfer sind: Bereits im Oktober 2013 ging ein Streik von rund 70 rumänischen Erntehelferinnen und Erntehelfern, die beim größten Gemüsebetrieb des Inntals beschäftigt waren, durch die Medien. Dieser selbstorganisierte Protest war Auslöser für die Gründung der "Sezonieri"-Kampagne, einem Zusammenschluss von NGOs, Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern und der zuständigen Fachgewerkschaft Pro-Ge. Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich einiges: Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter begannen, sich aktiv auf die Felder zu begeben und Flugblätter auf Serbokroatisch, Rumänisch, Slowenisch, Ukrainisch und Ungarisch zu verteilen.

Ehrenamtliches Engagement von Freiwilligen wurde durch den professionellen Einsatz von Gewerkschaftsinfrastruktur ergänzt. Nach den jüngsten Vorkommnissen meldete sich selbst Sozialminister Rudolf Anschober von den Grünen auf Twitter bei der Sezonieri-Kampagne, um eine politische Einschätzung der Lage zu bekommen. Eine wichtige Anerkennung ihrer Arbeit.

Das ist höchste Zeit. Sollte weiterhin alles beim Alten bleiben, wird der Widerstand der Erntearbeiterinnen und Erntearbeiter spätestens bei der nächsten Spargelsaison auf den Fuß folgen. (Alexander Behr, 29.6.2020)