Micheál Martin (links) und Leo Varadkar (rechts) wechseln sich künftig im irischen Premiersamt ab.

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Dublin – Nach fast fünfmonatigen Koalitionsverhandlungen hat Irland wieder eine stabile Regierung. Eine Sondersitzung des Dubliner Parlaments Dáil bestätigte am Samstag Micheál Martin von der nationalliberalen Fianna Fáil (FF) als Chef eines Kabinetts, dem auch Minister der konservativen Fine Gael (FG) unter dem bisherigen Premierminister Leo Varadkar und der Grünen angehören. Zuvor hatten Mitglieder und Gremien der beteiligten Parteien die erste Jamaika-Koalition auf der grünen Insel abgesegnet. Ende 2022 soll Varadkar, der zunächst Vizepremierminister wird, mit Martin die Plätze tauschen.

Der neue Taoiseach (Gälisch für Häuptling) sprach von einer Phase der "Erholung und Erneuerung". Um den schweren Wirtschaftseinbruch durch Sars-CoV-2 zu bewältigen, müsse die Regierung "rasch und ambitioniert" handeln. Beinahe 900.000 der knapp fünf Millionen Irinnen und Iren erhalten derzeit staatliche Unterstützung zum Ausgleich der Einkommensverluste in der Corona-Krise; in der zweiten Jahreshälfte dürfte es zu erheblichen Jobverlusten kommen.

Das heruntergewirtschaftete Gesundheitssystem hat der Corona-Pandemie durch einen vergleichsweise harten Lockdown zwar knapp standgehalten, braucht aber wie die digitale Infrastruktur dringend erhebliche Investitionen. Gleiches gilt für den maroden Wohnungsbestand; viele Häuser in Irland sind schlecht isoliert, was nicht zuletzt aus Gründen des Klimaschutzes dringend geändert werden muss.

Neues Klima-Ministerium

Auch an anderen Stellen trägt das 137-seitige Regierungsprogramm die Handschrift der Grünen, deren Vorsitzender Eamon Ryan dem neuen Ministerium für Klimaschutz und Transport vorsteht. Insgesamt gehören drei Grüne dem Kabinett an, die beiden größeren Parteien stellen je sechs Minister. Der bisherige Taoiseach Varadkar, Chef von Fine Gael (FG), wird Vizepremier und leitet das Wirtschafts- und Arbeitsministerium. Die bisherigen FG-Minister Paschal Donohoe (Finanzen) und Simon Coveney (Außen) bleiben weiterhin im Amt. Über die feste Einbindung in die EU besteht ebenso Übereinstimmung zwischen den Koalitionären wie über die Fortführung der Niedrigsteuerpolitik. Donohoe hat sich um die Leitung der Eurogruppe beworben.

Die neue Regierung verfügt in der 160-köpfigen Dáil über 95 Mandate. Sie dürfte schon bald die Ungeduld der Bevölkerung zu spüren bekommen. Diese schlug sich im Ergebnis der Wahl vom Februar nieder, als erstmals die linkspopulistische Sinn Féin die meisten Stimmen (24,5 Prozent) holte. Deren Vorsitzende Mary Lou McDonald versuchte, eine Koalition mit Mitte-links-Parteien und Unabhängigen zu zimmern; dies scheiterte an der Arithmetik der Dáil ebenso wie am tiefen Misstrauen vieler politischer Akteure gegenüber einer Partei, die einst als Sprachrohr der irisch-republikanischen Terrorgruppe IRA gegründet worden war.

Hingegen haben die vergangenen vier Jahre die tiefsitzenden Ressentiments zwischen FF und FG aufgeweicht. Die beiden Parteien gingen aus dem kurzen irischen Bürgerkrieg 1922 hervor und galten jahrzehntelang als inkompatibel. Während sich die FF ("Soldaten des Schicksals"), Mitglied der liberalen Alde, national-republikanisch gibt und vor allem auf dem Land viel Rückhalt genießt, vertritt die FG ("Familie der Iren") vor allem das konservative, städtische Bürgertum.

Bewährte Kooperation

Nach starken Einbußen bei der Wahl 2016 war die FG-Regierung auf die Duldung durch die FF angewiesen. Die Kooperation bewährte sich während der Brexit-Verhandlungen sowie in den vergangenen Monaten im Kampf gegen Covid-19. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, dass sich Martin (59) und Varadkar (41) pragmatisch gaben und eine gute persönliche Beziehung aufbauten. Sie dürfte in Zukunft erheblichen Belastungsproben ausgesetzt sein. (Sebastian Borger, 28.6.2020)