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Irlands neuer Premier Micheál Martin gilt als fleißig und kompetent, wenn auch nicht sonderlich originell.

Foto: Niall Carson/PA via AP

In der nicht sonderlich großen Welt der irischen Politik war Micheál Martins politisches Talent seit langem unübersehbar. Bereits am Ende des vergangenen Jahrhunderts prophezeiten Beobachter dem Mann aus der südlichen Hafenstadt Cork eine große Karriere, hefteten ihm sogar das Etikett des "kommenden Taoiseach" an, wie der Premierminister im Gälischen bezeichnet wird.

Am Samstag hat der 59-Jährige das Ziel endlich erreicht, wenn auch auf ungewöhnliche Weise und für eine schon vorab begrenzte Periode. Die erste Jamaika-Koalition auf der Grünen Insel umfasst Martins nationalliberale Fianna Fáil, die konservative Fine Gael des bisherigen Premiers Leo Varadkar sowie die Grünen. Das Regierungsprogramm gilt für die fünfjährige Legislaturperiode; nach gut der Hälfte dieser Zeit soll Martin sein Amt an Varadkar abgeben.

Gelernter Geschichtslehrer

Aber wer weiß schon, wie die Lage Ende 2022 aussieht? Gewiss nicht der Pragmatiker Martin, der als fleißig und kompetent, wenn auch nicht sonderlich originell gilt. Schon mit 29 Jahren zog der gelernte Geschichtslehrer ins Dubliner Parlament Dáil ein, wurde Bildungsminister, leitete später nacheinander die Ressorts für Gesundheit und Wirtschaft, ehe er als Außenminister auch für Nordirland und damit das schwierige Verhältnis zur einstigen Kolonialmacht Großbritannien zuständig war. Erfahrung hat er also reichlich, zuletzt aus neun Jahren als Oppositionsführer.

Die neue Regierung steht vor großen Herausforderungen. Die knapp fünf Millionen Iren fordern ungeduldig Veränderungen: ein besser funktionierendes Gesundheitssystem; mehr bezahlbaren Wohnraum; Investitionen in die digitale Infrastruktur und den öffentlichen Nahverkehr. Gleichzeitig muss das Kabinett die Neuverschuldung im Auge behalten und konkrete Schritte zugunsten ehrgeiziger Klimaziele beschließen.

Sinn Féin im Nacken

Mehr noch als den Koalitionspartnern sitzt Martins national gesinnter Partei die radikalere Sinn Féin im Nacken, die bei der Wahl im Februar sensationell die meisten Stimmen holte. Martin muss für die Zukunft junge Leute, vor allem Frauen, aufbauen.

Die Sondersitzung der Dáil, die ihn ins Amt brachte, wurde wegen der Corona-Pandemie in ein Kongresszentrum verlegt; nicht einmal Martins Frau Mary und die drei erwachsenen Kinder durften auf der Zuschauertribüne sitzen. Nichts ist in Dublin, wie es war. Da kommt ein erfahrener Pragmatiker vielleicht gerade recht. (Sebastian Borger, 28.6.2020)