"Schalthebel nach links in manuell, Schaltstufe drei, mit 25 km/h konstant hochfahren", weist Marvin Verheyden ein. Er ist im Discovery schon einmal vorgefahren. Wir befinden uns im Experience Center Wülfrath in Nordrhein-Westfalen, und die 110-Prozent-Steigung ist vielleicht der einzige Geländeabschnitt nach etlichen Schräglagen, Verschränkungen, Schlammdurchfahrten, wo der neue Defender wirklich andeuten kann, was in ihm steckt.

Dabei pilotieren wir noch nicht einmal die Hardcore-Variante, die außer der zentralen über eine hintere Sperre verfügt, und es handelt sich nicht um den kürzeren 90er, sondern den 4,76 Meter langen (mit Reserverad 5,02 m) 110er.

Der Defender auf dem Weg zu seiner neuen Klientel – er wird sie erstmals und in vermutlich hoher Zahl auch in den USA, China und in Russland finden.
Foto: Land Rover

Das Gelände, ein einstiger Kalksteinbruch, bietet etliche Möglichkeiten, SUVs und selbst echte Geländewagen in Verlegenheit zu bringen – den Defender nicht einmal annähernd. Da waren die behördlichen Hürden für diese erste internationale Fahrpräsentation nach Corona fast herausfordernder: umfangreiche Hygienemaßnahmen inklusive Fiebermessung – "bitte Gesicht auf 30 cm nähern" –, nur eine Person pro Auto etc.

Stimmiges Design: Stilistisch orientiert sich der Defender an
Grundelementen des Vorgängers.
Foto: Land Rover

Aber zurück zu den Geländefähigkeiten. Schon bei der Weltpremiere hatte der Hersteller verkündet, der Wechsel vom Leiterrahmen zur selbsttragenden (Alu-)Karosserie täte der Kernkompetenz keinerlei Abbruch, die "extrem stabile" Konstruktion eigne sich "für Beanspruchungen weit jenseits der üblichen SUV-Standards". Angeberei? Eher nicht.

Innen geht es schlicht, robust, aber gediegen zu.
Foto: Land Rover

Der Wechsel hatte auch mit den Kosten zu tun: Auf eine vorhandene Plattform zurückgreifen rechnet sich besser. Und so wurde für den Defender die D7-Architektur, Basis für Discovery, Range Rover Sport und Range Rover, zu D7x weiterentwickelt, x für extrem.

Der Standard

Dazu gereicht wird weiters Einzelradaufhängung mit Schrauben- oder Luftfedern, aus bis zu 29 cm Bodenfreiheit resultieren 60 (!) cm Wattiefe, 38 Grad Böschungswinkel vorn, 40 hinten und 28 Grad Rampenwinkel sprechen für sich. Und wenn man einmal nicht sieht, was vor einem liegt und wohin der Weg weist – "Clearsight Ground View"-Kamera einschalten, dann ist man gleich wieder orientiert.

Vom Arbeitstier zum Schickimickihobel

Was weiter zu berichten wäre? Der Defender fährt sich nun auch auf der Straße fein, sehr komfortabel sogar, wie sich bei einem Ausritt nach Essen zur Zeche Zollverein zeigte; abgeregelt wird übrigens bei 188 km/h.

Den Defender 110 gibt es ferner als 5-, 6- oder 7-Sitzer (den 90er als 5- und 6-Sitzer), beim 6-Sitzer gibt’s drei Plätze vorn wie weiland beim Fiat Multipla, der dann mittlere "Jumpseat" ist aber nur für kurze Strecken zumutbar. Nächstes Jahr folgen dann noch die Fiskal-Lkw-Varianten.

Innen geht es schlicht, robust, aber gediegen zu, und damit zur Motorenauswahl: zwei Diesel (200, 240 PS), zwei Benziner (300 PS, der Mildhybrid hat 400) und ab 2021 ein Plug-in-Hybrid (404 PS), also recht üppig, aber zur neuen Positionierung passend, denn: in einem Sprung vom Arbeitstier zum Schickimickihobel. So ließe sich der Generationenwechsel auf den Punkt bringen. Risiken und Nebenwirkungen? Dass man die alte Klientel verschreckt, nimmt man in Kauf, es winkt ja ein erheblich höherer Absatz als bisher.

Fazit? Ein beeindruckendes Fahrzeug. Aber mit dem alten Defender hat dieser Träger eines großen Namens nichts mehr zu tun. (Andreas Stockinger, 04.07.2020)