Die südpazifische Insel Bougainville steht auf dem Weg in die geplante Eigenstaatlichkeit vor richtungsweisenden Neuwahlen – angesichts einer Rekordzahl von Bewerbern mit völlig offenem Ausgang.

Ende vergangenen Jahres hatte eine große Mehrheit – mehr als 98 Prozent – für die Unabhängigkeit Bougainvilles von Papua-Neuguinea gestimmt. Die ursprünglich für Mai geplanten Generalwahlen, bei denen der Präsident und die Abgeordneten der autonomen Region neu bestimmt werden sollten, fielen jedoch den durch die Corona-Pandemie bedingten Notstandsmaßnahmen zum Opfer.

Ab 12. August soll dies nun nachgeholt werden. Drei Wochen lang wird abgestimmt, der Wahlschluss ist für den 1. September terminisiert. Diese Ausweitung von den üblichen zwei auf drei Wochen ist den Einschränkungen durch Corona geschuldet, erklärte der Chef der Wahlkommission, George Manu. Die Auszählung soll bis 14. September abgeschlossen sein.

Komplexe Wahlorganisation

In der Region sind Wahlen aufgrund der zahlreichen abgelegenen Inseln und unzugänglicher Regenwaldgebiete schon unter Normalbedingungen organisatorisch schwierig. Auch die Organisatoren der Abstimmung über die Unabhängigkeit im vergangenen Dezember mussten zahlreiche Probleme meistern. Doch das Referendum wurde von einer eigens eingesetzten Referendumskommission durchgeführt, die über ausreichende Mittel verfügte.

Der Ablauf des Referendums (im Bild die Auszählung) war einwandfrei. Die Wahl im August wird ein erneuter Prüfstein für Bougainville.
Foto: AFP/Munau

Nun muss die zuständige Wahlbehörde (Office of the Bougainville Electoral Commissioner, Obec) noch zusätzlich Schutzkleidung für das Wahlpersonal besorgen. Die von der Gesundheitsbehörde verordneten Abstandsregeln müssen eingehalten werden, auch traditionelle Kaur-Tänze, die eigentlich die Wahleinreichungen der Kandidaten begleitet hätten, fielen Corona zum Opfer.

Keine dritte Amtszeit erlaubt

Bougainvilles Präsident John Momis hatte zunächst nach seinen zwei bisherigen fünfjährigen Amtszeiten eine weitere angestrebt, um für die Übergangszeit während der Verhandlungen mit Papua-Neuguinea eine Kontinuität zu sichern. Dies war jedoch von der Verfassung nicht gedeckt – das Urteil, das ihm die dritte Kandidatur untersagte, eröffnete einen Kandidatenreigen für seine Nachfolge.

25 Bougainviller wollen nun Momis nachfolgen und haben sich um das Präsidentenamt beworben. Insgesamt kandidieren 440 Personen für die 40 Sitze im Repräsentantenhaus in Buka, was ebenso einen Rekord bedeutet.

Das Repräsentantenhaus umfasst insgesamt 41 Sitze. Je einer wird für die 33 Wahlkreise vergeben. Drei Sitze sind explizit für Frauen reserviert, jeweils ein Mandat für Nord-, Zentral- und Südbougainville. Dasselbe gilt für ehemalige Rebellenkämpfer des 1988 begonnen Bürgerkriegs um Ressourcen und die Unabhängigkeit, für die auch drei Mandate reserviert sind. Die übrigen zwei Sitze gehören zwei Mitgliedern des Repräsentantenhauses ex officio: Der Präsident Bougainvilles und der Sprecher des Repräsentantenhauses haben ihren Parlamentssitz kraft ihres Amtes, wobei der Präsident vom Volk gewählt wird, der Speaker jedoch vom Repräsentantenhaus bestimmt wird.

Bougainville'sches Who's who

In der Liste der Präsidentschaftskandidaten finden sich fast durchwegs prominente Namen der autonomen Region. James Tanis, Momis Amtsvorgänger, will seinen Nachfolger beerben. Er hatte das Amt schon von 2009 bis 2010 inne, nachdem Joseph Kabui, der erste Präsident des autonomen Bougainville, während seiner Regierungszeit verstorben war. Tanis war während des Bürgerkriegs mit dem Separatistenführer Francis Ona verbündet, nach Ende des bewaffneten Konflikts war er maßgeblich an der Ausarbeitung des Friedensabkommens von 2001 beteiligt.

Sam Kauona war wie Tanis ein Kommandant der Revolutionären Armee Bougainvilles (BRA). er gehört zu den Landbesitzern im Gebiet der Panguna-Mine. Dieser weltgrößte Kupfertagebau war aufgrund der ungerechten Gewinnaufteilung und massiver Umweltschäden der Auslöser des Bürgerkriegs und steht seit damals still. Die Mine bietet jedoch die Chance, dass sich Bougainville selbst erhalten könnte. Während Tanis diesbezüglich eher abwartend argumentiert, gehört Kauona zu jenen, die für eine rasche Wiederöffnung von Panguna eintreten.

Auch Martin Miriori ist Landbesitzer in Panguna, und auch er fordert einen Neustart der Mine so schnell wie möglich. Miriori hatte schon der Interimsregierung während der Krise angehört, er ist der ältere Bruder Joseph Kabuis.

Mit Ishmael Toroama kandidiert ein weiterer Bürgerkriegsveteran. Er gründete sogar eine neue Partei – die Volksallianzpartei Bougainvilles (BPAP) – und schickt Kandidaten für alle 33 Wahlkreise und für die Frauen- und Veteranensitze ins Rennen.

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Ishmael Toroama bei der Übergabe seiner Waffen im Jahr 2002.
Foto: REUTERS/Bougainville Peace Monitoring Group

Auch zwei Frauen finden sich unter den 25 Kandidaten: Magdalene Toroansi war Abgeordnete und Frauenministerin, Ruby Mirinka war an den Friedensgesprächen zwischen Papua-Neuguinea und Bougainville beteiligt und zuletzt Mitglied der Kommission für das Unabhängigkeitsreferendum.

Auch der Abgeordnete, der Bougainville im Parlament Papua-Neuguineas vertritt, will in seiner Heimat Präsident werden: Joe Lera hat sein Mandat in Port Moresby zurückgelegt, um antreten zu können. Peter Tsiamalili jr. wiederum war Chef des Sportverbandes Papua-Neuguineas, auch er legte seine Funktion für die Kandidatur zurück.

Ein weiterer schillernder Bewerber ist Sione Pa'asia. Der Luft- und Raumfahrttechniker ist der erste Raketenwissenschafter Bougainvilles. Er studierte am Royal Melbourne Institute of Technology. Mit Sam Maiha findet sich auch noch der ehemalige Chef der Wetterbehörde Papua-Neuguineas auf der Bewerberliste.

Die Kandidatenflut wird vielfach auch kritisch gesehen. Die Integrität des Präsidentenamts könnte durch die vielen Anwärter Schaden nehmen – für die Verhandlungen mit Papua-Neuguinea seien Einigkeit und Stabilität gefragt. Dazu kommen wirtschaftliche Probleme, die durch die Corona-Krise noch verstärkt wurden.

Integrierte Stichwahl

Trotz der vielen Bewerber wird es jedenfalls keine Stichwahl geben: Bougainvilles Wahlsystem sieht ein Instant-Runoff-Voting – eine integrierte Stichwahl – vor. Die Wähler können dabei bis zu drei Kandidaten nach ihrer Präferenz reihen.

Momis selbst unterstützt nun Thomas Raivet als seinen Nachfolger. Dieser habe ihm zugesichert, dass er ihn mit einem neugeschaffenen Posten eines Sonderbeauftragten für Bougainville betrauen werde, erklärte der Präsident. Raivet hatte bisher keine politischen Ämter inne, er war vielmehr unter Momis der ranghöchste Beamte und legte seine Funktion für die Kandidatur zurück. Raivet werde seine Militärausbildung helfen, sein christlicher Glaube werde ihm den richtigen Weg weisen, ist Momis überzeugt.

Der scheidende Amtsinhaber kritisierte, dass es vielen Kandidaten an Erfahrung mangle. Wobei Erfahrung ein relativer Begriff ist: Gemessen an Momis selbst können sicher wenige Kandidaten mithalten. Der 78-Jährige war seit 1972 politisch aktiv – Papua-Neuguinea wurde selbst erst 1975 unabhängig. Die Verfassung Papua-Neuguineas wurde von ihm mitgeschrieben. Nach dem Ende des Bürgerkriegs war er von 1999 bis 2005 Gouverneur Bougainvilles, seit 2010 gewählter Präsident.

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John Momis bei der Stimmabgabe für das Unabhängigkeitsreferendum.
Foto: AP/Post Courier

Dass Momis nicht mehr für das Präsidentenamt kandidieren kann, bedeutet übrigens nicht, dass er völlig aus der Politik ausscheiden muss. Beobachter sehen in ihm einen idealen Kandidaten für den Sitz Bougainvilles im Parlament Papua-Neuguineas – dieser ist ja durch Joe Leras Präsidentschaftskandidatur jetzt vakant. Dort könnte das Bougainville'sche Polit-Urgestein den Übergangsprozess ebenso begleiten wie vom Amtssitz des Präsidenten in Buka aus. (Michael Vosatka, 30.6.2020)