Ab Anfang Juli wird eine eigene "Task Force" von Cyber-Ermittlern mit sechs Staatsanwälten die Arbeit aufnehmen, um gegen Kinderpornografie und Missbrauch vorzugehen.

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Düsseldorf – Die Missbrauchsfälle von Lügde, Bergisch Gladbach und Münster haben seit Anfang 2019 nicht nur in Deutschland für Entsetzen gesorgt. Die Problematik rund um Kinderpornografie und Missbrauch scheint jedoch weit schwerwiegender zu sein als bisher angenommen.

Im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach sind die Ermittler auf Spuren gestoßen, die zu bis zu mehr als 30.000 Verdächtigen führen könnten, teilte das nordrhein-westfälische Justizministerium am Montag mit. Es gehe dabei nicht nur um die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie, sondern auch um schweren Kindesmissbrauch.

"Neue Dimension des Tatgeschehens"

Es handelt sich demnach um internationale pädokriminelle Netzwerke mit Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum. In Gruppenchats mit tausenden Nutzern und in Messengerdiensten gingen die Täter wie selbstverständlich mit ihren Missbrauchstaten um, heizten sich gegenseitig an und gäben einander Tipps, etwa welche Beruhigungsmittel man Kindern am besten verabreiche, um sie sexuell zu misshandeln.

Das Ziel sei nun, diese Täter und Unterstützer von Kindesmissbrauch aus der Anonymität des Internets herauszuzerren, sagte Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach. Es handle sich um eine "neue Dimension des Tatgeschehens", ihm sei "speiübel geworden", so Biesenbach: "Wir müssen erkennen, dass Kindesmissbrauch im Netz weiter verbreitet ist, als wir bisher angenommen haben."

30.000 Spuren

Während Biesenbach in der Früh zunächst von 30.000 Tätern sprach, korrigierten die Behörden später diese Angaben: Es gehe um 30.000 Spuren zu potenziellen Tätern. Es könne dabei Doubletten geben: Nutze ein Verdächtiger zum Beispiel mehrere Internetzugänge oder diverse Decknamen, könne er in den Daten mehrfach auftauchen.

Eine eigene Taskforce von Cyberermittlern soll am Mittwoch die Arbeit aufnehmen. Sechs Staatsanwälte sollen sich dann unter großem Zeitdruck zuerst um die Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetzt wird.

Schweres Problem in NRW

Nordrhein-Westfalen war seit Anfang 2019 wegen mehrerer Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern in die Schlagzeilen geraten. Auf einem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe hatten mehrere Männer Kinder hundertfach über Jahre schwer sexuell missbraucht. Anfang Juni wurde ein schwerer Missbrauchsfall in Münster aufgedeckt, im Zuge dessen elf Personen festgenommen wurden. Ermittlungen zu einem deutschlandweiten Kinderpornografie-Tauschring hatten im Oktober 2019 in Bergisch Gladbach bei Köln begonnen und erstrecken sich mittlerweile auf sämtliche Bundesländer.

Ende Mai – rund sieben Monate nach ersten Hinweisen auf ein weitverzweigtes Netzwerk – hatten Staatsanwaltschaft und Polizei in Köln 72 Tatverdächtige in allen 16 deutschen Bundesländern identifiziert. Allein in Nordrhein-Westfalen nahmen die Behörden im Bergisch-Gladbach-Missbrauchskomplex 32 Verdächtige ins Visier.

Demnach wurden bisher 44 Opfer im Alter zwischen drei Monaten und 14 Jahren identifiziert. Die Zahlen spiegelten lediglich eine Zwischenbilanz wider, sagte Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob: "Wir sind mit den Ermittlungen beileibe nicht am Ende." Bei ihren Nachforschungen unter anderem in Internetforen und Chatrooms hätten die Beamten Einblicke in Straftaten gewonnen, "die das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen sprengen".

Erstes Urteil

Das erste Urteil in dem Missbrauchskomplex wurde bereits gefällt: Das Landgericht Kleve verurteilte einen Soldaten zu zehn Jahren Haft und wies den 27-jährigen Familienvater auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie ein.

Gegen zwei andere Angeklagte wird seit April vor dem Landgericht Mönchengladbach verhandelt. Weitere Anklagen der Kölner Staatsanwaltschaft liegen den Landgerichten in Aachen und Duisburg vor. Auch in Kleve ist ein Verfahren in dem Missbrauchskomplex anhängig. (APA, dpa, red, 29.6.2020)