Nur sehr wenige Kinder erkranken an Covid-19, zeigt eine EU-Studie, in der die Daten vieler Babys im Spital ausgewertet wurden. Besonders gefährdet für schwere Verläufe sind Neugeborene unter einem Monat.

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Es war eigentlich von Anbeginn der Corona-Pandemie klar: Für Kinder und Jugendliche verläuft eine Infektion mit Sars-CoV-2 in den allermeisten Fällen glimpflich. Oft wird eine Infektion nicht einmal bemerkt. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht auch einzelne schwere Verläufe geben kann.

Nach wenigen größeren Studien außerhalb Chinas gibt es nun auch die ersten europaweiten Daten zu Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen, die der Wiener Kinderarzt Florian Götzinger vom Klinikum Ottakring (ehemals Wilhelminenspital) geleitet und im Fachjournal "Lancet Child & Adolescent Health" veröffentlicht hat. Seine Quintessenz: "Es ist beruhigend, dass die meisten Infektionen milde verlaufen, trotzdem dürfen wir den Blick auf die wenigen schwer erkrankten Fälle nicht aus den Augen verlieren."

Die schweren Fälle

Die Fakten zur Untersuchung: In der Studie wurden die Daten von 582 Kinder zwischen null und 18 Jahren aus 82 Gesundheitseinrichtungen in Europa ausgewertet. Alle wurden auf die eine oder andere Art im Spital vorstellig. "Unsere Auswertungen zeigten, dass sich Covid-19 bei Kindern auch nur mit Bauchschmerzen und Fieber manifestieren kann, oft mit Durchfall verbunden", sagt Götzinger. 363 Kinder (62 Prozent) mussten dann tatsächlich im Spital aufgenommen werden. In der Folge kamen 48 (acht Prozent) zur Überwachung auf eine Intensivstation, 25 (vier Prozent) mussten künstlich beatmet werden. Insgesamt vier Kinder (0,7 Prozent) starben an der Sars-CoV-2-Infektion.

Tatsächlich dürfte die Sterblichkeit von Kindern sehr gering sein. Denn die Kinderärzte vermuten auch, dass die meisten Infizierten im Kindes- und Jugendalter überhaupt nicht zu einem Arzt gehen, eben weil die Symptome so wenig belastend sind. "Viele dieser Patienten mit milden Verläufen wurden in unserer Studie nicht erfasst, da die Daten aus dem Spitalsbereich kommen", sagt Götzinger, dementsprechend ist die Sterblichkeit bei Kindern insgesamt wahrscheinlich noch beträchtlich geringer.

Späte Verschlechterung

Die Untersuchung ergab allerdings auch eine Reihe von Risikofaktoren, auf die Kinderärzte in Zukunft stark achten werden. Besonders Neugeborene im ersten Lebensmonat dürften gefährdet sein – von den 582 Kindern in der Studie waren 230 unter zwei Jahre alt. Auch Kinder mit schweren Vorerkrankungen wie etwa Krebs, Immundefiziten oder schweren Herz- oder Lungenerkrankungen wie etwa Asthma brauchen eine hohe ärztliche Aufmerksamkeit. Auch Kinder mit mindestens einer zweiten Virusinfektion zusätzlich zu Sars-CoV-2 erkrankten schwer.

Zum einen haben Kinder eine geringfügig andere Symptomkonstellation als Erwachsene, die übersehen werden könnte. Zum anderen zeigte sich ein interessantes, bisher unbekanntes Phänomen: Nach Beginn der Corona-Pandemie in Europa wurden aus unterschiedlichen Ländern schwere Krankheitsverläufe nach oder im Rahmen einer Sars-CoV-2-Infektion berichtet, oft zwei bis sechs Wochen nach Beginn der Erkrankung. "Wir nehmen an, dass es sich um eine Überreaktion des Immunsystems zu einem Zeitpunkt handelt, wo sich Antikörper bilden", so Götzinger. Oft war der PCR-Test negativ, doch die Patienten hatten schon Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut. Das heißt, die aktive Phase der Infektion lag bereits einige Zeit zurück. Im zeitlichen Ablauf der Infektion seien noch einige Punkte unklar und müssten näher untersucht werden.

Drei Arten von schwerem Verlauf

Insgesamt haben die Kinderärzte drei unterschiedliche Varianten von schwerem Hyperinflammationssyndrom beobachtet. Eine Gruppe hatte hohes Fieber und hohe Entzündungswerte. Eine zweite Gruppe, die auch mit besonders starken Bauchschmerzen kämpfte, kam in eine Art Schockzustand. Die dritte Gruppe zeigte Symptome, die einem Kawaski-Syndrom ähnelten. Alle zeigten eine Hyperinflammationsreaktion. "Die Entzündungswerte der Patienten waren allerdings um einiges höher, und die Kinder waren im Durchschnitt auch älter als beim klassischen Kawasaki-Syndrom", erklärt Götzinger. Aber noch sei es zu früh, hieraus Schlüsse zu ziehen.

Denn klar ist: Eine Covid-Infektion bei Kindern verläuft anders als andere ansteckende Virusinfektionen wie etwa die Influenza. Dieses besondere Syndrom hat auch schon einen Namen bekommen und wird in Fachkreisen als Paediatric inflammatory multisystem syndrome – temporarily associated with Cov-19 (PMS-TS) bezeichnet, das im Detail erst noch erforscht werden muss.

Patienten in Österreich

Auch genetische Prädispositionen könnten eine Rolle spielen. Noch sei es zu früh, aus den sehr wenigen Fällen von Covid-19 bei Kindern verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. Es scheint auch so zu sein, dass "Buben eher von Covid-19 betroffen sind als Mädchen, das entspricht aber wiederum dem Bild bei Erwachsenen", so Götzinger.

Er kann auch berichten, dass es in Österreich bisher nur zwei Kinder mit schwerem Hyperinflammationssyndrom gab, ein Bub wurde in Graz, der andere in der Klinik Donaustadt (einst SMZ Ost) in Wien behandelt. Beide haben die Erkrankung überstanden. Für Götzinger wichtig: "In den Pandemieplänen muss es trotz der geringen Fallzahlen Intensivbettenkapazität für Kinder geben, speziell im Hinblick auf die nächste Influenza-Saison." Jene wenigen Patienten und Patientinnen, die tatsächlich intubiert werden mussten, wurden alle mehr als sieben Tage auf einer Intensivstation beatmet.

Jedenfalls ist für Götzinger klar, dass es noch viele offene Fragen gibt, etwa zur Infektiosität von Kindern. "Ein Kind, das hustet oder stark niest, verteilt das Virus vermutlich besser als Kinder, die diese Symptome nicht zeigen", sagt der Kinderarzt und weist noch einmal darauf hin, dass ein Prozentsatz aller infizierten Kinder gar keine Symptome zeigt. "Die Situation ist komplex, und leider gibt es keine einfachen Antworten", sagt Götzinger. Wenn im Herbst wieder die vielen anderen Infekte ausbrechen, wäre schön, wenn Eltern sämtliche Vorsichtsmaßnahmen treffen, um etwa eine Influenza-Infektion durch eine Impfung zu vermeiden. Denn jeder kleine Patient weniger bedeutet weniger Leid und schützt auch das Gesundheitssystem. (Karin Pollack, 30.6.2020)