Vor knapp fünf Monaten schied der US-Unternehmer und Philanthrop Andrew Yang aus dem Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur aus. Hängen geblieben ist von dem 45-jährigen New Yorker vor allem seine Forderung nach einem universellen Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Dollar – Yang nannte es stets eine "Freiheitsdividende". Nun sorgt er mit einer neuen Idee für Aufsehen: Das "Data Dividend Poject" soll die Internet- und Tech-Giganten wie Google, Amazon, Facebook und Co dazu zwingen, Menschen Geld für die Nutzung ihrer Daten zu überweisen.

Das Data Dividend Project steht in den Startlöchern.
Andrew Yang

Vereinfacht gesagt soll jedes Unternehmen, jeder Dienstleister und jede Plattform, die durch den Verkauf oder die Nutzung personenbezogener Daten Geld verdienen, einen Teil davon an die Nutzer abtreten müssen – weil ihnen die Daten schließlich auch gehören. Alleine seien wir den Tech-Riesen hoffnungslos unterlegen, sagte Yang zu "The Verge". Jeder akzeptiere ungelesen die AGB und hoffe auf das Beste, doch "das Beste ist noch nicht passiert". Gemeinsam hingegen könne man die Datenindustrie herausfordern.

Kaliforniens Revolution

Yang hat sich nicht zufällig Kalifornien für die erhoffte Gesetzesänderung ausgesucht. Angelehnt an die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU hat der südwestliche Bundesstaat mit Jahresbeginn das bisher umfassendste Paket zum Schutz persönlicher Daten in den USA umgesetzt Nur Nevada hat ein vergleichbares Datenschutzrecht. Zudem sind im Silicon Valley beinahe alle großen Technologiefirmen der westlichen Welt beheimatet oder zumindest vertreten. In Kalifornien werde gerade "der Grundstein für ein Zukunft gelegt, in der alle Amerikaner Eigentumsrechte und damit eine Bezahlung für ihre Daten geltend machen können", sagte Yang.

Andrew Yang in aller Ausführlichkeit über die Datendividende.
Yang Speaks

Der Tag, an dem die erste Überweisung erfolge, werde eine Revolution auslösen, weil sich immer mehr Leute anschließen werden, prophezeit Yang. Interessierte sollen dafür eine Paypal-Adresse angeben, um etwaige Überweisungen zu empfangen. Auch sollen alle im Internet verwendeten Adressen bekanntgegeben werden, damit möglichst viele der ins Internet entsendeten Daten monetarisiert werden können. Die Kampagne selbst heftet sich größtmöglichen Datenschutz auf die Fahne.

Überwachungskapitalismus

Sollte in den nächsten Jahren tatsächlich regelmäßig Geld zu den privaten Usern fließen, käme dies einer mittelgroßen Revolution gleich. Immer wieder haben Großunternehmen wie Facebook in den vergangen Jahren ausgewählte Gruppen von Usern für verschiedene Testreihen – von der Verbesserung der Spracherkennungssoftware bis zum besseren Einsatz gezielter Werbung – bezahlt. Sie taten dies aber freiwillig, im Wissen, dass sie besonders viel über bestimmte User in Erfahrung bringen wollten. Yangs Ansatz aber spricht von einer gesetzlichen Pflicht der Internetfirmen.

Bereits 2017 erklärte der "Economist" Daten zum wichtigsten Rohstoff der Welt, noch vor Öl. Genau an diesem Punkt haken berühmte Kritiker wie die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff ein. Sie spricht in Anbetracht der Datenökonomie von einem Überwachungskapitalismus, der zum entscheidenden Klassenkampf des 21. Jahrhunderts führen wird.

Nicht die Industrie gegen die Arbeiterschaft, sondern die Datenkonglomerate gegen den Rest der Gesellschaft bilden nach ihrer Ansicht die zentrale Konfliktlinie. Dabei hält sie wenig vom klischeehaften Spruch "Wenn es nichts kostet, bist du das Produkt". Zuboff argumentiert wir seien nicht einmal das Produkt, "sondern lediglich die kostenlose Quelle für den Rohstoff, der zu marktfähigen Produkten verarbeitet wird". Verglichen mit Elfenbeinjägern, seien die Internet-User nicht die wertvollen Hörner, sondern der verstümmelte Kadaver, der übrig bleibt, nachdem sich die Tech-Riesen und Politverantwortlichen an den digitalen Erfahrungen gelabt und die nächsten Schritte vorausgesagt hätten. Datenwissenschafter und Algorithmen würden lediglich die Musik schreiben, mit der sie uns zum Tanzen bringen – oder eben die maßgeschneiderte Werbung, die uns zum Kauf bewegt oder das Kreuz an der richtigen Stelle machen lässt.

Dataismus

Den großen Kritikern der Datenagglomeration stehen jene Dataisten gegenüber, die immer neue Heilsversprechen geben und überzeugt sind, dass die Menschheit nur dann die großen Probleme lösen kann, wenn immer noch mehr Personen ihre Daten frei hergeben. Große Vordenker unserer Zeit wie Yuval Noah Harari sehen den Informationsfluss als oberstes Gut. So seien ja auch Umfragewerte repräsentativer, wenn mehr Leute teilnehmen. Ähnlich verhalte es sich mit Algorithmen und Modellen, die Krebs heilen, die Verteilungsfrage lösen und die optimalen Produktionsfaktoren errechnen sollen. Von je mehr Daten sie gespeist werden, desto eher entdecken sie Querverbindungen, Muster und Lösungen, an die Menschen noch nicht einmal im Entferntesten dachten.

Cash für Daten? Datenschützer wie Max Schrems befürchten eine Abhängigkeit.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Für Österreichs berühmtesten Datenschutzaktivisten Max Schrems ist Yangs Datendividende ein Nothebel, den es in der EU nicht brauche, weil Datenschutz dort ein Grundrecht sei. "Grundrechte auch noch der Marktwirtschaft zu unterwerfen wird bei uns aus guten Gründen abgelehnt", sagt Schrems zum STANDARD. Er sieht ein Eigentum an Daten skeptisch. Weil man einerseits die Daten anderer in bestimmten Fällen brauche, "kann es kein absolutes Recht sein. Eine Dividende würde wiederum davon ausgehen, dass andere meine Daten immer nutzen dürfen", so Schrems. Der Vorsitzende der Datenschutz-NGO noyb.eu sieht insgesamt deshalb "wenig Vorteile für den Nutzer im Vergleich zum bestehenden Datenschutzrecht".

Marktmacht

Zweifelsfrei basiert und funktioniert unsere schnelllebige Gesellschaft in ihrer heutigen, westlichen Form aber auf und wegen der enormen Menge an Daten, die wir mehr oder freiwillig abtreten. Wer sich in der fremden Stadt orientieren will und den Fuß- oder Fahrtweg zum nächsten Termin oder zur Restaurant-Reservierung abschätzen will, kann darauf vertrauen, dass genügend User die Google-Maps-App benützen. Nur dadurch erkennt die Software die Bewegung der GPS-Empfangsgeräte und abschätzen wie schnell der Verkehr vorankommt oder ob die Alternativroute nicht doch besser ist. Ist unsere Just-in-Time-Mentalität also überhaupt noch möglich ohne die permanente Datenabgabe?

Aufgrund der Marktmacht, die sich die Tech-Giganten durch das Aufkaufen potenzieller Rivalen regelmäßig sichern, ist es zweifelhaft, dass demnächst kundenfreundliche Konkurrenzbetriebe entstehen, die freiwillig einen fairen Umgang mit dem Rohstoff Daten praktizieren. Auch sind große Teile der Bevölkerung scheinbar nicht dazu bereit, einen "fairen" Beitrag für Datenanonymität zu berappen – sie haben ja schließlich eh nichts zu verbergen und wissen dabei oft nicht, wie unfrei viele ihrer Online-Entscheidungen sind. Außer Frage steht jedoch, dass Gesetzgeber auf Druck der Bevölkerung die Internetriesen zu bestimmten Verhaltensweisen zwingen können. Das bewiesen nicht zuletzt die DSGVO und diverse andere Klagen gegen Datenmissbrauch. Könnte dies auch für Eigentumsrechte an Daten im Internet gelten? Das könnte tatsächlich eine der spannendsten Fragen der nächsten Jahre werden. (Fabian Sommavilla, 3.7.2020)