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Wenn Kunden den Warenkorb füllten, werkte Wirecard im Hintergrund und führte die Zahlung des Online-Shoppings durch. Nach der Pleite des Unternehmens schauen Anleger durch die Finger.

Foto: Reuters/Wolfgang Rattay

Die Aufarbeitung des Bilanzskandals bei Wirecard kommt langsam in die Gänge. Dass der deutsche Zahlungsabwickler ein fiktives Vermögen von 1,9 Milliarden Euro ausgewiesen hat, beschäftigt Anleger wie Öffentlichkeit. Vor allem die deutsche Aufsicht Bafin und die Wirtschaftsprüfer sind unter Beschuss gekommen.

Auch in Österreich hat das Fiasko ein rechtliches Nachspiel. Die Anwaltskanzlei Christandl & Partner evaluiert bereits Ansprüche gegen Bafin und Prüfer EY. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats wurden von der Sozietät schon belangt. Christandl beruft sich hier auf die Verpflichtung des Aufsichtsrats, die Einführung von Kontrollsystemen zu überwachen, was nicht erfolgt sei.

In Deutschland hat zuletzt die Anwaltskanzlei Tilp ihre Schadensersatzklage gegen Wirecard auf EY sowie Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, den früheren Vorstand Jan Marsalek und Finanzchef Alexander von Knoop ausgeweitet. Die Klage wurde bereits Mitte Mai – lange vor der Insolvenz von Wirecard – am Landgericht München eingereicht und ein Musterverfahren beantragt. Bei einem Musterverfahren handelt es sich um eine Art Sammelklage – mehr als 30.000 Wirecard-Anleger hätten sich bereits an die Kanzlei gewandt.

Zwei Österreicher angezeigt

Seit Montag gibt es auch in Österreich eine Strafanzeige. Sie richtet sich gegen Braun und Marsalek. Anwalt Jörg Zarbl regt bei der Staatsanwaltschaft Wien Ermittlungen wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des schweren Betrugs an, weil Anleger durch unrichtige Veröffentlichungen getäuscht worden seien. Den Inlandsbezug sieht Zarbl durch zwei Aspekte gegeben: Einerseits seien viele hiesige Anleger vom Wirecard-Debakel betroffen, andererseits hätten Braun und Marsalek die österreichische Staatsbürgerschaft. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.

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Markus Braun sieht sich mit vielen Vorwürfen konfrontiert.
Foto: Reuters/Michael Dalder

Zarbl hat in seinen Recherchen bemerkenswerte Informationen gewonnen. So hat Braun über eine Beteiligungsgesellschaft noch Mitte Mai Wirecard-Aktien gekauft. Zeitgleich wurde ein Kredit über 120 Millionen Euro aufgenommen und mit zwei Liegenschaften in Kitzbühel und in Wien-Hietzing belehnt. Über die Gründe kann nur spekuliert werden.

Möglicherweise hat Braun noch vor gut einem Monat an den Erfolg der unter seiner Leitung groß gewordenen Wirecard geglaubt und auf Wertsteigerung gesetzt, obwohl sich die Aktie längst im Sinkflug befand. Zarbl vermutet in der Sachverhaltsdarstellung hingegen, dass Braun den Aktienkurs durch Zukäufe "manipulieren wollte, um dadurch Anleger in Sicherheit zu wiegen".

Big Spender

Braun ist hierzulande kein Unbekannter. Er war Neos- und ÖVP-Spender und wurde unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in das Strategieteam Think Austria geholt. Ermittlungen laufen zwar bereits in München, doch wäre eine Befassung der Staatsanwaltschaft Wien möglich. Das würde den Anschluss privater Kläger an das Verfahren erleichtern.

Bei Marsalek wird weiter über dessen Verbleib gerätselt. Er soll aus den Philippinen nach China gereist sein und wird sich laut Medienberichten nicht der deutschen Justiz stellen. Die Philippinen gelten als Drehscheibe in der Wirecard-Affäre, weil das Unternehmen dort hohe Guthaben ausgewiesen hatte. Die Gelder sollen von Geschäftspartnern auf Treuhandkonten deponiert worden sein. Allerdings handelte es sich bei den Saldenbestätigungen laut philippinischen Angaben um plumpe Fälschungen.

Prüfstelle im Fokus

Das Land will jetzt die Partner von Wirecard unter die Lupe nehmen. Die Antigeldwäschestelle nannte gegenüber Reuters drei Finanzdienstleister, die durchleuchtet werden sollen.

Noch eine weitere, bisher nicht stark beachtete Einrichtung ist wegen der Affäre in den Fokus gerückt: die deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, im Volksmund Bilanzpolizei genannt. Diese Stelle prüft die Abschlüsse börsennotierter Unternehmen und ist privatrechtlich organisiert. Die deutsche Regierung als Auftraggeber hat die Zusammenarbeit mit der Organisation gekündigt. Davor war bekannt geworden, dass ein einziger Mitarbeiter monatelang mit Wirecard beschäftigt war, obwohl Vorwürfe über Ungereimtheiten beim Zahlungsabwickler seit Jahren die Runde machten.

Der aktuelle Fall dürfte laut Experten zum Ende dieser Konstruktion führen, bei der sich die Betriebe ihre Kontrolle selbst organisieren. In Österreich ist das System ähnlich: Eine privatrechtlich organisierte Einrichtung führt die Prüfungen durch, die Finanzmarktaufsicht überwacht das System und springt ein, wenn ein Unternehmen nicht kooperiert oder Zweifel an der Arbeit der Prüfstelle aufkommen. (Andreas Schnauder, red, 30.6.2020)