Die Politikwisenschafterin Jolanta Szymańska sieht die besseren Karten derzeit bei Amtsinhaber Andrzej Duda.

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Trotz der Schutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie lag die Wahlbeteiligung am Sonntag in Polen bei über 64 Prozent. Das ist deutlich mehr als bei der letzten Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren – und ein Zeichen dafür, dass der Urnengang als wichtige Weichenstellung gilt.

STANDARD: Wie schätzen Sie den Ausgang der ersten Wahlrunde ein, und was bedeutet er für die Stichwahl in zwei Wochen?

Szymańska: Das Ergebnis ist eigentlich keine große Überraschung. Die meisten Umfragen haben vorausgesagt, dass Andrzej Duda und Rafał Trzaskowski in einer Stichwahl aufeinandertreffen werden. Auch wenn Trzaskowski dort wohl noch Wähler anderer Oppositionskandidaten ansprechen kann, dürfte Duda die besseren Karten haben – obwohl sein Ergebnis nicht so gut ist wie das, das vor dem ursprünglich geplanten Termin im Mai erwartet wurde. Wir müssen jedenfalls mit einem sehr harten Wahlkampf rechnen. In der ersten Runde gab es kaum persönliche Attacken zwischen den Kandidaten, aber das könnte sich nun ändern. Es herrscht allgemein das Gefühl vor, dass es sich um eine überaus wichtige Wahl handelt. Das zeigt sich auch an der hohen Beteiligung in der ersten Runde.

STANDARD: Sind diese hohe Wahlbeteiligung und die Tatsache, dass Trzaskowski schon im ersten Wahlgang so viele Stimmen bekam, auch Ausdruck der Polarisierung im Land?

Szymańska: Ja, aber das ist nicht neu. In Polen stehen einander seit längerem zwei Lager gegenüber. Manche Politiker versuchen, dieses Schema aufzubrechen, und wollen etwas Neues schaffen, jenseits der liberalen Bürgerplattform (PO) einerseits und der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) andererseits. Aber viele Menschen glauben nicht, dass diese Leute wirklich gute Resultate erzielen können, und wählen lieber gleich die Kandidaten aus den beiden großen Lagern.

STANDARD: Nur wenige Tage vor der Wahl war Amtsinhaber Andrzej Duda Gast im Weißen Haus. Die transatlantischen Beziehungen gelten in Polen als sehr wichtig. Hat Duda der Besuch bei Donald Trump geholfen?

Szymańska: Ich glaube nicht, dass das konkret etwas geändert hat. Die staatlichen Medien haben Duda zwar zum Repräsentanten Europas in Washington stilisiert, aber innenpolitische Fragen, etwa die Sozialpolitik, wo die PiS bei vielen Wählern punkten kann, waren dann doch wichtiger. Die Meinungsumfragen waren vor und nach der USA-Reise Dudas ziemlich gleich. Zudem gab es bei dem Treffen ja keine konkreten Ergebnisse, etwa was die jüngst diskutierte Verlegung von US-Truppen nach Polen betrifft.

STANDARD: Welche Rolle spielt eigentlich die EU im Wahlkampf? Die Regierung steht ja oft im Konflikt mit Brüssel, auf Veranstaltungen Trzaskowskis hingegen sieht man viele EU-Fahnen.

Szymańska: Trzaskowski ist sehr proeuropäisch und ein wirklicher EU-Experte. Aber man kann trotzdem nicht sagen, dass er nur der "Pro-EU-Kandidat" und Duda nur der "Pro-USA-Kandidat" ist – auch wenn Duda sich mehr auf die transatlantischen Beziehungen fokussiert und ein gutes Verhältnis zu Trump hat. Aber die Konflikte mit Brüssel gibt es ja meist gar nicht in der Europapolitik, sondern in der heimischen Politik, die auch die EU betrifft – zum Beispiel in Fragen der Rechtsstaatlichkeit. In anderen Bereichen wie etwa beim EU-Budget sind die Unterschiede gar nicht so groß.

STANDARD: Was erwarten Sie bei einem Sieg Dudas, was bei einem Sieg Trzaskowskis?

Szymańska: Wenn Duda gewinnt, wird die PiS-Politik fortgesetzt. Wenn Trzaskowski gewinnt, wird alles anders. Dann würde ich auch neue Parlamentswahlen nicht ausschließen, denn mit Vetos kann ein Präsident der Regierung das Leben sehr schwer machen. (Gerald Schubert, 29.6.2020)