"Wir können nicht wissen, ob der Trend zu mehr späten Geburten sich fortsetzt, aber bisher sieht es in fast allen westlichen Ländern nach einem weiteren Anstieg aus", sagt Demografin Eva Beaujouan.

Foto: Francesco Vuolo

Die Länder des Globalen Nordens zeichnen sich durch niedrige Geburtenraten aus. Die Fruchtbarkeitsrate lag 2018 im EU-Durchschnitt bei 1,54 Kindern pro Frau; in Kanada (1,5) und Japan (1,4) ist der Wert ähnlich niedrig, in den USA mit 1,73 nicht viel höher.

Gleichzeitig ist in diesen Ländern ein Trend zu späterem Kinderkriegen zu beobachten, dem sich die französische Demografin Eva Beaujouan widmet: An der Wirtschaftsuniversität Wien ist sie Leiterin des FWF-geförderten Projekts "Spätere Fruchtbarkeit in Europa".

Beaujouan, die ihren Doktortitel an der Pariser Sorbonne erwarb und seit 2012 in Wien forscht, interessiert sich vor allem für den Einfluss dieses Aufschubs auf Geburtenraten. "Wir simulieren mit Modellen Partnerschafts- und Gebärverhalten, um so die endgültige Kinderzahl zu berechnen", sagt die Forscherin. Verglichen werden verschiedene Varianten von "Was wäre, wenn"-Szenarios, bei denen einzelne Verhaltensweisen (etwa ein weiteres Verschieben des Kinderkriegens ins höhere Alter) verändert sind.

Je später die Schwangerschaft, desto eher muss auf künstliche Befruchtung und ähnliche Formen der Unterstützung zurückgegriffen werden. Wenn vor allem Frauen die Familiengründung auf später verschieben, kann dies einerseits bedeuten, dass sie nicht so viele Kinder wie gewünscht bekommen. Andererseits können einige Frauen, die mit dem ersten Kind warten wollen oder müssen, gar nicht erst Mütter werden; die Anzahl der Kinderlosen wächst.

Gründe für den Aufschub

Dies bedeutet, dass auf individueller Ebene das Aufschieben durchaus Auswirkungen hat. In Österreich wünschte sich etwa 1986 nur ein Prozent der 40- bis 44-Jährigen Nachwuchs, im Jahr 2016 waren es schon acht Prozent. "Wir können nicht wissen, ob der Trend zu mehr späten Geburten sich fortsetzt, aber bisher sieht es in fast allen westlichen Ländern nach einem weiteren Anstieg aus", sagt Beaujouan.

"Auf Länderniveau zeigen die Berechnungen aber, dass das spätere Kinderkriegen nur einen sehr kleinen Einfluss auf die gesamte Geburtenrate hat – im Vergleich zum wesentlich wichtigeren Kontext." Mit dem Kontext sind die Unterschiede von Land zu Land gemeint, die die Fertilität beeinflussen. Darunter fallen Wirtschaftskrisen, das jeweilige Sozialsystem sowie eine Politik zugunsten der Vereinbarkeit von Job und Familie.

Gründe für den Aufschub gibt es viele: Sie reichen von der längeren Ausbildungszeit von Frauen über ihre Involvierung am Arbeitsmarkt bis hin zu finanziellen Problemen und verändertem Beziehungsverhalten. "Statt dem klassischen ‚Kennenlernen, Heiraten, Kinderkriegen‘ sind Partnerschaften heute komplexer. Alles kann länger dauern: Man braucht zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Umstände – vor allem einen Partner und die passende Jobsituation."

Beim Spitzenreiter Italien werden mehr als sechs Prozent der Kinder von Frauen über 40 Jahren geboren. "Dort ist es noch oft wichtig, bei gewissen Meilensteinen eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten: Studieren, Job, Hochzeit, Hauskauf, Kinder", sagt Beaujouan. Kein leichtes Unterfangen, wenn die ökonomische Lage problematisch ist. (Julia Sica, 5.7.2020)