Wie gefährlich ist der aktuelle Anstieg?

Frage: Wie ist der jüngste Anstieg der Fallzahlen einzuschätzen? Ist das eine zweite Welle?

Antwort: "Nach den Lockerungen war zu erwarten, dass die Zahlen hinauf gehen. Das Virus war nie verschwunden", sagt die Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der Med-Uni Wien. Es gehe nun darum, zu beobachten, ob die Zahlen weiter und kontinuierlich ansteigen. Derzeit sei es jedenfalls zu früh, von einer zweiten Welle zu sprechen. Und "Infektionszahlen sind nicht gleich schwere Erkrankungszahlen". Wichtig sei auch immer, wer sich infiziert – und dass die Risikogruppen geschützt werden. Eine Rolle spielt zudem, wie die Ansteckungen stattfinden. Sind es nachvollziehbare Cluster, etwa bei Partys oder in einzelnen Betrieben, "können die Betroffenen rasch identifiziert und abgeschirmt werden" und die Ausbreitung des Virus lässt sich so kontrollieren, sagt Wiedermann-Schmidt. Das treffe für die Infektionsausbreitung der vergangenen Tage zu – "und es ist anzunehmen, dass es so bleibt", so die Expertin.

Podcast: Kommt jetzt die zweite Welle?

Frage: Wie stark ist der Anstieg tatsächlich?

Antwort: Auskunft darüber gibt die effektive Reproduktionszahl, sie lag laut Ages im Zeitraum von 12. bis 24. Juni bei 1,1 und gibt an, wie viele weitere Menschen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Solange der Wert über eins liegt, steigt die Zahl der Erkrankten – liegt die Zahl darunter, stecken einzelne Patienten keine weiteren Personen mehr an, auf Dauer verschwindet das Virus. Die jüngste Steigerung der effektiven Reproduktionszahl sei auf den Ausbruch bei dem Rotary-Club-Treffen in Salzburg zurückzuführen, auf Fallhäufungen bei Reiserückkehrern aus den Westbalkanländern und auf zwei Zusammenkünfte einer Glaubensgemeinschaft in Oberösterreich, so die Ages.

Frage: Ist bekannt, wo die jüngsten Ansteckungen in Österreich stattgefunden haben?

Antwort: Die Ages arbeitet derzeit daran, diese Infektionsketten nachzuvollziehen. Laut Gesundheitsministerium sind die Infektionsketten in Familien und den anderen Clustern bis dato alle rekonstruierbar.

Frage: Wann wird der Anstieg der Fallzahlen kritisch?

Antwort: Wenn es kontinuierliche Ansteckungen gibt, die über die ganze Bevölkerung verteilt sind. Aktuell geht Wiedermann-Schmidt nicht davon aus, dass diese Art der Virusverbreitung in Österreich existiert. Ändert sich das, "müssen Lockerungen aber zurückgenommen werden".

Wenn der Sicherheitsabstand zu anderen Menschen nicht eingehalten werden kann, raten Experten dazu, eine Maske zu tragen.
Foto: istock

Frage: Wie sollte man sich jetzt verhalten?

Antwort: Es gilt weiterhin, sich an Vorsichtsmaßnahmen wie Hände waschen und die Abstandsregeln zu halten. Wo kein Abstand möglich ist – etwa in den Öffis oder Supermärkten – ist das Tragen von Masken ratsam. "Leider nehmen das viele nicht ernst. Jeder sollte sich im Klaren sein, dass er oder sie Teil des Ganzen ist. Wenn die Verhaltensregeln in die Köpfe der Menschen gehen, können die Fälle nicht überhandnehmen", so Wiedermann-Schmidt.

Wie reagiert man aufseiten der Politik?

Frage: Ab Mittwoch gelten weitere Lockerungen. Was genau ist nun zusätzlich erlaubt?

Antwort: Es darf wieder uneingeschränkt gesportelt werden – auch in Kontakt- und Mannschaftssportarten. Die Mindestabstandsregeln gelten bei der Ausübung sowohl drinnen als auch draußen nicht mehr. Hygieneregeln müssen jedoch beachtet, Anwesenheitslisten müssen geführt werden. Bei zugewiesenen, gekennzeichneten Sitzplätzen sind in geschlossenen Räumen bis zu 250, im Freiluftbereich bis zu 500 Zuseher erlaubt. In der Gastronomie müssen Kellner und Kellnerinnen keine Masken mehr tragen, bei Veranstaltungen unten 100 Teilnehmenden wird die Sperrstunde um ein Uhr gestrichen.

Frage: Bereitet die steigende Zahl an Neuinfektionen dem Gesundheitsminister Sorge?

Antwort: Nur bedingt. Die Entwicklung der Covid-19-Pandemie in Österreich bewertet Minister Rudolf Anschober (Grüne) weiterhin positiv. Nachdem er am Montag seine Sorge wegen des Fallzahlplus geäußert hatte, verwies Anschober am Dienstag darauf, dass es in den vergangenen 24 Stunden mehr Genesene als Neuinfizierte gegeben habe. Die Zahl der aktuell Erkrankten sei dadurch um 17 von 600 auf 583 gesunken. Die Situation sei eigentlich recht stabil, zumal sich nur noch 64 Patienten im Spital befänden – davon sechs auf einer Intensivstation. Kritisch bewertet Anschober jedoch das sinkende Risikobewusstsein bei Teilen der Bevölkerung. Er appellierte daher, weiter Mindestabstand und Hygienebestimmungen einzuhalten.

Frage: In Tirol ist die Zahl der Infizierten binnen kurzem von nur mehr drei auf 16 angestiegen. Ist das bereits eine zweite Welle?

Antwort: Nein, sagt Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Doch er mahnt angesichts der steigenden Neuinfektionen zur Vorsicht: "Man muss die Situation weiter beobachten. Das Virus ist weiter in Tirol und Österreich." Wenn sich der Trend fortsetze, müsse man sich neue Maßnahmen überlegen, so Platter. Als "kritische Marke" nennt er 50 bis 60 Neuinfektionen pro Tag. Den aktuellen Anstieg der Fallzahlen führt er auf die jüngsten Lockerungen der Schutzmaßnahmen zurück. Noch laufe die Abklärung der Hintergründe der Fälle, die unabhängig voneinander auftraten.

Wie schaut es mit Reisen ins Ausland aus?

Frage: Sind Reisen in die beliebten Urlaubsländer am Mittelmeer wieder möglich?

Antwort: Während für die Lombardei noch eine Reisewarnung besteht, besteht für den Rest Italiens die Warnstufe 4. Reisen sind seit Anfang Juni wieder möglich. Dieselbe Stufe ("Hohes Sicherheitsrisiko") gilt auch für Spanien und Griechenland – obwohl in Letzterem nur wenige Coronafälle nachgewiesen wurden.

Frage: Welche Möglichkeiten gibt es für Reisen nach Griechenland?

Antwort: Seit 15. Juni sind schon die Flughäfen von Athen und Thessaloniki offen, mit 1. Juli gilt dies auch für alle anderen Flughäfen. Die Häfen von Patras und Igoumenitsa stehen für Fähren aus Italien wieder offen, auch Kreuzfahrtschiffe dürfen wieder Häfen anlaufen.

Frage: Welche Regeln gelten bei der Einreise nach Griechenland?

Antwort: Die griechischen Behörden verlangen, dass Reisende spätestens 48 Stunden vor der Einreise ein Formular auf einer Webseite der Zivilschutzbehörde ausfüllen. Danach erhält man einen QR-Code, den man vorweisen muss. Ein Algorithmus bewertet dann, ob man aus einem Risikogebiet kommt und getestet werden soll. Dies erfährt man erst nach der Ankunft – es besteht also das Risiko, dass man bis zum Vorliegen des Ergebnisses in Quarantäne gehen muss.

Frage: Von welchen Ländern aus darf man in die EU einreisen?

Antwort: Die EU koppelt die Einreisestopps an die Infektionsraten der Herkunftsländer. Für Bürger von 14 Staaten (Serbien, Montenegro, Georgien, Australien, Neuseeland, Kanada, Uruguay, Algerien, Tunesien, Marokko, Ruanda, Thailand, Japan, Südkorea) sind ab 1. Juli Reisen in die EU künftig wieder möglich. Auch für China gilt das Ende der Einreisesperre – allerdings geknüpft an die Bedingung, dass Peking zuerst die Einreise für EU-Bürger ermöglicht. Für jene Staaten, deren Infektionsraten höher liegen, gelten weiterhin Einreiseverbote in die EU – insbesondere die USA, Brasilien oder Russland. (Steffen Arora, Irene Brickner, Sigi Lützow, Bernadette Redl, Michael Vosatka, 30.6.2020)