"Ich hätte gerne eine Frau im Weißen Haus", gesteht Rufus Wainwright.

Foto: Tony Hauser

Rufus Wainwright ist einer der begnadetsten Songwriter seiner Generation. Seine Liveauftritte gelten als legendär, er wirkte in Filmen mit und schrieb zwei Opern. Mit bisher acht Alben begeisterte er Kritiker, im April hätte seine neue Platte erscheinen sollen. Der Release wurde Corona-bedingt verschoben. Nun kommt am 10. Juli mit Unfollow the Rules Wainwrights erstes Pop-Album seit sechs Jahren heraus.

Noch vor dem Lockdown trafen wir den Musiker in Berlin. Gut gelaunt setzt er sich auf die Couch im Büro seiner Plattenfirma, greift in ein Sackerl mit Gummibären und behauptet, da sei Vitamin C drin, was ja gut für ihn sein müsse. Er lacht sein Rufus-Lachen, ein kurzes lautes Gackern, streicht über den grau melierten Bart, und los geht das Gespräch über Heldinnen, Vaterschaft und das Älterwerden.

Fotograf Tony Hauser hat den kanadisch-US-amerikanischen Singer-Songwriter und Komponisten Rufus Wainwright abgelichtet.
Foto: Tony Hauser

STANDARD: Mister Wainwright, Ihr neues Album knüpft an Legenden wie Frank Sinatra oder Leonard Cohen an. Bisher waren eher Judy Garland und Joni Mitchell Ihre Ikonen. Werfen Sie die Frauen nun über Bord?

Rufus Wainwright: Nein. Wenn man diesen Damen einmal verfallen ist, bleiben sie einem für immer erhalten. Joni Mitchell und ihre Gesangsqualitäten sind auf dieser Platte genauso präsent wie die Tonsprünge von Judy Garland.

STANDARD: Diesen "geistig verwirrten Damen", wie Sie die Sängerinnen einmal nannten, haben Sie sich immer nahe gefühlt. 2006 haben Sie sogar ein spektakuläres Konzert von Garland aus dem Jahr 1961 komplett nachgesungen.

Wainwright: Damals war ich besessen von Judy. Dieser Auftritt war mein Exorzismus. Ich lebte eine Zeit lang in Los Angeles und hatte mehr als einmal das Gefühl, Judy stünde leibhaftig vor mir – obwohl sie seit Jahren tot war.

STANDARD: Vielleicht haben Sie zu viele Drogen genommen?

Wainwright: Gut möglich. Mit den Konzerten spülte ich das alles aus meinem Körper heraus. Und dann stand ich zehn Jahre später wieder mit ihren Liedern auf der Bühne und fühlte mich männlich, stark, beinahe aggressiv. Ich hatte den Eindruck, ich sei mehr Frank Sinatra als Judy Garland – und ich bin nicht einmal Fan von ihm.

STANDARD: Woran lag das?

Wainwright: Dass ich mich schon in meinen Vierzigern befand und nun bestimmte Verantwortungen übernommen hatte. Ich war nicht mehr die gebrochene tragische Judy-Figur von einst. In den Jahren zwischen beiden Konzerten war ich Vater einer Tochter geworden, hatte meinen Freund geheiratet. Das waren fundamentale Einschnitte.

STANDARD: Was hat sich dadurch verändert?

Wainwright: Sehen Sie, als Vater eines Kindes müssen Sie Ihr Ego vergessen, sensibel und fürsorglich sein. Als Ehemann sollten Sie treu und mitfühlend sein. Das sind sehr positive Eigenschaften, die nicht immer einfach aufrechtzuerhalten sind. Früher handelte ich eher nach der Kehrseite dieser Medaille: wollte nie erwachsen werden, dachte nur an mich und besaß nicht immer den nötigen Takt in bestimmten Situationen.

STANDARD: Männern lässt man das eher durchgehen, oder?

Wainwright: Ja, Mädchen sind gezwungen, schneller erwachsener zu werden, weil sie um mehr Sachen kämpfen müssen als Buben.

STANDARD: Mittlerweile haben Frauen die Popwelt übernommen, Billie Eilish, Taylor Swift, Lady Gaga. Sind die Männer aus diesem Paradies vertrieben?

Wainwright: Es gibt vielleicht einen Sänger wie Harry Styles, der jedoch nicht denselben Ikonenstatus wie die Frauen genießt. Wo ist ein Michael Jackson? Ich verehre Billie Eilish, mir gefällt ihre Haltung, wie sie trotz ihres jungen Alters die Kontrolle über ihre Karriere behält. Ich bemängle nur eine Sache, und das beziehe ich auf die gesamte Popmusik: Mir fehlen die Lieder. Wo sind die brillanten Songs für die Ewigkeit, die mit Stücken aus einer Oper mithalten können? Die habe ich bei keiner dieser Frauen gehört.

STANDARD: Gehören diese Sängerinnen überhaupt zu Ihren Heldinnen?

Wainwright: Ich habe vor einigen Wochen drei Konzerte für Audible aufgenommen. Zu den Gästen im Publikum zählten tolle Schauspielerinnen wie Anjelica Huston oder Jessica Chastain, aber am meisten habe ich mich gefreut, dass Burt Bacharach und Mike Stoller gekommen waren. Beide sind Songschreiberlegenden, Letzterer hat Is That All There Is für Peggy Lee geschrieben, ein tolles Lied. Zu diesen Menschen schaue ich auf. Wenn Sie so wollen, lege ich meine Chips auf ihre Felder im Spiel. Die Wettchancen stehen im Moment gegen mich, aber auf lange Sicht hoffe ich, mit dieser Strategie Erfolg zu haben.

STANDARD: Joni Mitchell sagte einmal, dass unsere Kultur eine romantische Sucht nach Unsicherheit fördern würde: "Ob man sich mit dem Objekt seiner Begierde je vereint oder nicht, ist der Rausch, an dem die Menschen hängen." Galt das auch für Ihre jungen Jahre?

Wainwright: Höre ich mir meine alten Lieder an, spüre ich, dass es für den jungen Rufus immer etwas Besseres gab, was um die Ecke lauerte. Die Türen der U-Bahn schlossen sich gefühlt in jenem Moment, in dem ich gerade hinaustreten und auf meine wahre Liebe zugehen wollte. Es gab eine Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, die nie erfüllt werden konnte. Dieses Album hat damit abgeschlossen. Mein Leben kennzeichnet inzwischen ein anderes Gefühl: Hast du die Liebe deines Lebens gefunden, musst du damit rechnen, sie eines Tages zu verlieren. Spätestens der Tod wird sie dir nehmen.

STANDARD: Macht Ihnen das Angst?

Wainwright: Es bringt mich jedenfalls durcheinander. Ich erinnere mich an einen frühen Film von Woody Allen. Als er einen frisch Verliebten spielte, einen total glücklichen Menschen, der mit einem Mal ausrief: Moment mal, ich werde eines Tages sterben? Diese Erkenntnis ist schon beängstigend. Das korrespondiert auch mit einer künstlerischen Sorge, einem Gedanken, der mich umtreibt. In letzter Zeit finde ich, dass es mir besser geht als je zuvor. Ich bin gesund, meine Stimme ist kräftig, ich habe eine weltweite Karriere, doch was kommt danach? Der Vorhang geht langsam runter. Und dann befällt mich eine neue Traurigkeit.

STANDARD: Jagt Ihnen als selbsterklärter Romantiker auch die moderne Dating-Kultur Angst ein?

Wainwright: Vor 15 Jahren war ich noch Single, es gab keine Smartphones, der Schatten von Aids hing über uns Schwulen. Wenn man jemanden kennenlernte, musste man aus dem Haus gehen, Menschen in Echtzeit treffen, man traf jemanden, hatte eine tolle oder nicht so tolle Zeit. Aber es hatte immer den Ruch des Riskanten. Heute ist es leichter, jemanden über Apps kennenzulernen, und sicherer, weil es Medikamente zur HIV-Vorsorge gibt. Ich finde das grundsätzlich befreiend.

Allerdings habe ich das Gefühl, das Dating frisst viel mehr Zeit. Weil die Technologie so schnell und die Belohnung greifbarer ist, hat sie einen hohen Suchtfaktor. Früher bist du zur Bar gegangen, und dir ist möglicherweise auf dem Weg dorthin etwas Unerwartetes passiert. Heute triffst du diese Menschen gar nicht mehr, die Parameter sind durch die Technik festgesetzt. Ich kenne Menschen, die Online-Dating depressiv gemacht hat. Es ist klinisch geworden, man macht immer dasselbe, es gibt keine Tiefe, keine Geschichten dahinter mehr.

Für die Leadsingle "Trouble in Paradise" seines neuen Albums "Unfollow the Rules" verwandelt sich Rufus Wainwright in eine von "Vogue"-Chefin Anna Wintour inspirierte Kunstfigur.
Foto: Richmond Lam

STANDARD: Fürchten Sie als Vater einer neunjährigen Tochter bereits um ihre Dates in der Zukunft?

Wainwright: Nein, ich glaube, ihre Generation hat ein anderes Verhältnis zur Technik, sie handelt instinktiver damit. Es ist keine Anomalie wie für Menschen meiner Generation. Und außerdem freut sie sich, wenn sie Zeit mit mir und meinem Mann verbringt, auf dem Spielplatz ihre Freundinnen trifft oder schwimmen geht. Ich würde mir höchstens Sorgen machen, wenn sie allein in ihrem Zimmer hockt.

STANDARD: Ihren Job als Vater haben Sie einmal so beschreiben: Ihre Tochter zu verwöhnen.

Wainwright: Ich denke nach wie vor, dass das wichtig ist. Wenn ich unterwegs bin, kaufe ich ihr gern Sachen. Wir teilen dieselbe Faszination für Schmuck. Ringe, Armreifen, Broschen, Stirnreife, hat sie alles schon.

STANDARD: Als Sie mit 21 Jahren in den Clubs von New York oder Toronto ausgingen, hatten Sie damals schon den geheimen Wunsch, einmal Vater zu sein?

Wainwright: Nein, ich hätte nie gedacht, dass es passieren könnte. Es gab über die Jahre immer einige Angebote von Frauen, die Kinder mit mir haben wollten. Ich habe mit der Idee gespielt, nahm sie jedoch nie so ernst.

STANDARD: Erst als Ihre Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle, im Sterben lag und Sie dazu aufforderte, änderten Sie Ihre Meinung. Hätte der Rat Ihres Vaters dasselbe Gewicht gehabt?

Wainwright: Nein, wir standen uns nicht so nahe. Meine Eltern haben sich ja getrennt, als ich klein war. Als sich die Gesundheit meiner Mutter verschlechterte, erzählte ich ihr von den Baby-Angeboten und fragte sie nach ihrer Meinung. Sie hat mich auf der Stelle dazu verdonnert. Sie wusste, dass sie sterben würde, und wollte, dass ich jemanden in meinem Leben hätte, der dieselbe Macht über mich habe wie sie. Und das kann nur ein Kind erreichen.

STANDARD: Lange lebten Sie in Toronto, Ihre Tochter wohnte mit der Mutter in Los Angeles. Erst als Sängerin Chrissie Hynde Ihnen auf einer Kreuzfahrt riet, ein guter Vater zu sein, zogen Sie nach Kalifornien. Mögen Sie es, von Frauen Befehle zu empfangen?

Wainwright: Absolut. Ich hätte auch gern eine Frau im Weißen Haus gesehen. Deshalb bin ich traurig, dass Elizabeth Warren ihre Kandidatur für die Demokraten zurückgezogen hat.

STANDARD: Nehmen Sie Ratschläge von Frauen ernster?

Wainwright: Ich bin eher gewillt, ihnen zuzuhören. Ich bin in einem Matriarchat aufgewachsen, meine Mutter hat mich und meine Schwester allein erzogen. Daher hatte ich immer einen guten Draht zu Frauen.

STANDARD: Und zu anderen schwulen Künstlern. Elton John hat Ihnen geholfen, einen Entzug zu machen. Hat er Ihnen auch für die Ehe etwas geraten?

Wainwright: Nein, wir reden meist über Musik, wenn wir einander treffen. Er ist ein reizender Mensch, ich würde gern mehr Zeit mit ihm verbringen, möchte ihm aber gleichzeitig nicht das Gefühl geben, dass ich ihn ausnütze. Deshalb ziehe ich mich bewusst zurück. Ich will nicht Teil dieser Elton-Entourage sein.

STANDARD: Das war doch Ihr Lebenstraum als Teenager: einmal mit ihm aus dem Helikopter zu steigen und direkt auf die Bühne zu gehen.

Wainwright: Hey, ich bin einmal in seinem Privatjet mitgeflogen. Das ist also abgehakt. (Ulf Lippitz, RONDO, 3.7.2020)